SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N 21
französischen Einsprengseln, eine damals
durchaus nicht selbstverständliche Geste
war. »It will help the French people to under
stand what is GDR«, erklärt er seinen Inter
viewern weiter. »And you know better than
me that the next future will be difficult for
GDR people, and most of that difficult for
those of the GDR people who don’t want
GDR to be a colony of the Bundesrepublik.«
Jack Lang, der notorische Kulturminister
von Mitterrand, hatte eingeladen, ein Mann
mit exzellenten Deutschkenntnissen. Orga
nisiert hatte es dann der Ostberliner Ku
rator Christoph Tannert, der mehr oder
weniger die komplette Untergrundszene
vom Prenzlauer Berg einfliegen ließ, um
den Franzosen vor Augen zu führen, dass
diese ostdeutschen Kunstberserker tatsäch
lich von einem völlig anderen Stern kamen
als die bundesdeutschen Kulturati, die sich
zu dem Zeitpunkt in ihren Zweithäusern in
der Provence schon lange nichts mehr vor
machen ließen, was dassavoir-vivrebetrifft.
Auf den Filmaufnahmen von damals sieht
man jedenfalls den späteren Documenta
Teilnehmer Via Lewandowsky sehr hager
und mit weitem Feldmantel in der Ausstel
lung stehen, als wäre er eben zu Fuß aus
einer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt,
und eine Dolmetscherin übersetzt dem
ernst dreinblickenden Meister verschreckte
Journalistenfragen: »Viele ausgestellte Bil
der zeigen grausame Szenen. Sehr viel Blut.
Auch im Kino gibt es eine Menge sehr hoff
nungsloser Szenen. Ist das repräsentativ für
Ostdeutschland?«
Es ist dabei wichtig, sich diese Frage in
dem Akzent jener jungen Frau vorstellen,
die einst in den Showpausen bei »’arald
Schmidt« die Werbung mit dem Weizenbier
im Bauchnabel angesagt hat.
Es muss für beide Seiten eine zutiefst
irritierende Erfahrung gewesen sein. Das
soignierte französische Kunstpublikum auf
seinem feinen Schuhwerk dürfte den Ein
druck gehabt haben, dass da ein bisher
unentdeckter Stamm von besonders natur
belassenen Germanen über den Rhein ge
rudert ist.Und die Ostberliner Punkmusiker
Christian Lorenz, genannt Flake, und Paul
Landers berichteten nachher, dass sie dort
dauernd von der Polizei angehalten wur
den, weil ihr Aufzug nach Pariser Modevor
stellungen mit Punk schon nichts mehr zu
tun hatte, sondern eher mit Landstreicherei.
Um der Verhaftung zu entgehen, mussten
sie dann jedes Mal die Einladungskarte der
Präsidentengattin aus ihren modernden
Lumpen ziehen: »Madame Danielle Mitter
rand prie Monsieur Christian Lorenz de lui
faire l’honneur de venir déjeuner au Palais
de l’Elysée«, stand in schwungvollen Lettern
auf der von Flake. Nämlich: »le Samedi 20
Janvier 1990 à 13 heures 15«.
Was unter diesen Bedingungen an jenem
- Januar 1990 um Viertel nach eins ge
schah, war entsprechend bizarr: »Die Butler,
die da rumstanden, haben sofort die Krise
gekriegt, die waren so angeekelt«, gab Paul
Landers später zu Protokoll. »Dann kam
Mitterrand selbst, er sah schon wie einbal
samiert aus, und schüttelte allen noch mal
die Hand. Selbst die här
testen Staatsfeinde hatten
plötzlich ein dümmliches
Grinsen im Gesicht. Auch
die, die immer ›Anarchie‹
und ›Nieder mit der Regie
rung‹ riefen.«
Die DDR wurde dann,
wie bekannt ist, trotzdem
nicht an Frankreich ange
schlossen, sondern an die
BRD. Aber den Lauf der ge
meinsamen Geschichte be
einflusst haben diese Ereig
nisse doch. Dadurch näm
lich, dass sich die erwähnten
Punkmusiker Landers und
Lorenz damals die UBahn
nicht leisten konnten, jede noch so weite
Strecke zu Fuß zurücklegten, darüber zu
großen Kennern des Pariser Stadtplans wur
den, dabei wiederum befanden, dass die
französische Hauptstadt zwar ganz schön
teuer war, aber auch ganz schön schön –
und dass es sich lohnen könnte, noch ein
mal in anderer Verfassung wiederzukom
men.
Das taten sie dann auch. Ihre Band hieß
nun Rammstein und war sehr erfolgreich,
nicht zuletzt in Frankreich, und am liebsten
tritt sie nach einhelliger Auskunft der
Mitglieder bis heute wo auf? In Paris! Weil
das Pariser Publikum regelmäßig am eupho
rischsten auf das spektakelhafte Teutonen
Theater reagiere, das diese Band so berühmt
und so berüchtigt gemacht hat. Erst vor ein
paar Wochen haben wieder Zehntausende
offensichtlich sehr glückliche Menschen bei
ihrem Auftritt in der Pariser La Défense
Arena laut »Du ’ast« skandiert, dann »Du ’ast
mich« und schließlich »Du ’ast mich gefragt«.
So kann man den Gleichklang der zwei
ten Person Singular bei den deutschen
Verben ’assen und ’aben natürlich auch un
terrichten. Die Rockgruppe Rammstein ist
so gesehen im Moment vielleicht Deutsch
lands effektivster Beitrag zur Erfüllung des
ElyséeVertrags, in dem sich beide Länder
1963 verpflichtet haben, »konkrete Maß
nahmen« zu ergreifen, um die Zahl der
Schüler zu erhöhen, die die jeweils andere
Sprache lernen. Damit hapert es auf der
französischen Seite traditionell fast noch
mehr als auf der deutschen.
»Die starke Verbreitung des Franzö
sischen in der Welt überhob den Franzosen
die Notwendigkeit, Fremdsprachen zu erler
nen«, schrieb Artur Rosenberg, der dama
lige Frankreichkorrespondent derZeit, 1953
aus Paris: »Dadurch aber
verkümmerten die Organe
zur Aneignung fremder
Sprachen ganz auffallend.«
Ausgerechnet der verlorene
Krieg von 1870/71 habe die
Bereitschaft, Deutsch zu ler
nen, dann gehörig angekur
belt: »Von 1872 bis zum
Ausbruch des ersten Welt
krieges stand das Deutsche
mit 58 bis 60 von Hundert
weitaus an erster Stelle der
Fremdsprachen in den
Gymnasien. Erst 1915 über
nahm Englisch die führen
de Rolle.« Seitdem sind die
Zahlen so weit zurückge
gangen, dass man von Glück sagen kann,
wenn zumindest hin und wieder ein Stadi
on voller Franzosen im Chor einfache, klare
Aussagesätze wie »Ich tu dir weh« und »Tut
mir nicht leid« aufsagt. Umgekehrt ist es
schließlich so, dass die letzten Chansonniers
aus Frankreich, die in Deutschland einen
ähnlich großen Erfolg hatten, Daft Punk
hießen, und zwar vermutlich nur deshalb,
weil die Discomusik machten, in deren Tex
ten nicht eine Silbe Französisch vorkommt.
Das also wäre, mal so ganz grob, der kul
turgeschichtliche Rahmen, in den auch mei
ne ganz private Liaison mit dem Franzö
sischen eingebettet war, mitsamt den üb
lichen Erwartungen, Enttäuschungen,
Kommunikationsproblemen.
Die Revolution von 1989 hatte neben
vielem anderen auch die starre Regelung
hinweggefegt, dass man an den Schulen der
DDR immer nur entweder Englisch oder
Französisch lernen konnte, aber nicht
beides. Das ging dann auf einmal, und zu
mindest für die letzten zwei Jahre bekamen
wir eine junge Französischlehrerin, die, wie
offenbar alle, die dieses Fach lehren, sehr
hinreißend war und sehr engagiert, die es
aber auch nicht einfach hatte. Immer mal
Rammstein ist
vielleicht
Deutschlands
effektivster
Beitrag zur
Erfüllung des
Elysée-
Vertrags