28 SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N
ier sollen die zwei sich entlang
gehangelt haben, im Ernst? Der
Pfad ist dreißig Zentimeter breit,
links Felsen, rechts geht’s hun
dert Meter steil in die Tiefe, zum Festhalten
ein kümmerlicher Draht, mit fragwürdigen
Schrauben befestigt. Und da sind Franz Josef
Strauß und Helmut Kohl mit ihren durchaus
kapitalen Bäuchen rumgestiegen und haben
währenddessen die Grundpfeiler der deut
schen Politik besprochen? Kann ja wohl
nicht sein. Oder eben doch: Wenn man Zeit
zeugen glauben darf, fanden die beiden das
herrlich. Keine Leibwächter, keine Journa
listen, nicht mal Staatssekretäre oder sonst
irgendwelche Mitarbeiter, einfach nur zwei
Männer, allein mit sich, ihren Konflikten
und ihren Bäuchen.
Strauß und Kohl sind in den Achtziger
jahren regelmäßig zusammen im Wald ver
schwunden, viele Große der Geschichte sind
gemeinsam wandern gegangen. Um unter
sich zu sein, um zu reden, um gemeinsam
Abstand zur Welt zu finden. Die Frage ist:
Kommt man tatsächlich auf andere Gedan
ken, wenn man zusammen wandert? Dis
kutiert man anders, wenn man es auf Berg
pfaden versucht? Wir sind keine Großen
der Geschichte, nur zwei Redakteure desSZ-
Magazins, aber wir haben uns vorgenommen,
mal den Lieblingsweg von Strauß und Kohl
zu gehen, um das herauszufinden.
Also stehen wir sehr früh sehr müde an
einem sehr heißen Sommertag an der süd
lichen Grenze Deutschlands, noch hinter
RottachEgern, in der Valepp, einem Gebirgs
tal auf 878 Meter Höhe. Hinter uns ein Berg
gasthof, der seit Jahren leer steht. Vor uns ein
Fußweg, der zwei Stunden lang durch dich
ten Wald führt, an steilen Hängen entlang,
hinunter in eine Klamm, am Gebirgsbach
entlang zur ErzherzogJohannKlause, einer
Bergwirtschaft auf österreichischem Gebiet
- die auch seit Jahren leer steht. Erste
Erkenntnis: Von Geisterhaus zu Geisterhaus
auf den Spuren verstorbener Politiker, das
wird eine Geistertour. Zweite Erkenntnis:
weit und breit kein Handynetz, das heißt,
keine Ablenkung, keine Büromails, kei
ne Fragen aus der Schlussredaktion. Nur
wir zwei, der Wald, der Fels, das Wasser.
Auf geht’s.
Der Weg beginnt sanft, noch ist es lang
hin bis zu den Pfaden, jetzt erst mal breite
Forststraßen, der Tau hängt in den Wiesen,
wir marschieren vor uns hin und reden.
Über den Alltag, über das Leben. Über
Kinder, Beruf, Träume, Sorgen, Hoffnungen.
H
STIL LEBEN
Weggenossen
TextMA X F ELLMANN und L ARS REICHARDT