ler ging auf ihn zu, stellte sich mit seinen
ganzen 1,93 Metern vor ihn, um nach dem
Weg zu fragen – da drehte sich der Bauer
um und sprach die unsterblichen Worte: »Ja,
bist du’s oder bist du’s ned?« Kohl sagte, ja,
isch bins, und jetzt pass emol uff, wer da
hinne noch kommt. Der Bauer wies ihnen
den Heimweg, und vermutlich bekamen sie
bald darauf eine schöne Brotzeit aufgetischt.
Die Möglichkeit haben wir nicht, ist ja
alles geschlossen. Hat den Vorteil, dass wir
stundenlang niemandem begegnen. Gut so
- je einsamer der Pfad, umso weniger Ablen
kung. Irgendwann erreichen wir zwei zusam
men eine fast buddhistische Ruhe, ab und zu
reden wir, ab und zu stapfen wir stumm hin
tereinander her, und doch ist es etwas, was
wir zusammen tun. Um uns Stille.
Der Weg führt hinunter an den Fluss.
Schroffe Felsen, unfassbar klares Gebirgs
wasser, grün leuchtende Stromschnellen, ein
magischer Ort. Es würde einen nicht wun
dern, wenn hier ein Einhorn aus dem Wald
träte. Wir setzen uns in den Sand und halten
die Füße ins Wasser. Eiskalt. Klingt nach
schlimmer Bergromantik, aber: Wir würden
glatt behaupten, die Klarheit des Wassers er
zeugt Klarheit in unseren Köpfen. Für einen
Moment scheinen alle Probleme lösbar. Der
Nahe Osten. Der Klimawandel. Die Trainer
frage beim FC Bayern. Leider vergessen wir,
alles aufzuschreiben, und gehen den rest
lichen Weg weiter zur ErzherzogJohann
Klause. Die Weltrettung ist fürs Erste ver
schoben, wir setzen uns vor die kleine Holz
kapelle, die wenige Meter vom verlassenen
Wirtshaus entfernt steht, und blinzeln in die
Sonne.
Erkenntnis sechs: Man wächst zusammen
auf so einer Wanderung. Früher waren wir
nicht gerade Kollegen, die einander viel zu
sagen gehabt hätten. Jetzt, während wir da
erhitzt in der Sonne sitzen und auf den ge
meinsam gegangenen Weg blicken, entsteht
Solidarität. Teamgeist. Logisch. Auf einer der
ValeppWanderungen vor 35 Jahren musste
Kohl den älteren Strauß angeblich mal auf
dem Rücken aus dem Wald tragen. Würden
wir jetzt ohne Zweifel auch füreinander tun.
Nicht alle Wanderungen führen zur Ver
brüderung. Als Gerhard Schröder und Oskar
Lafontaine zusammen an der Saarschleife
herumstiegen, gab das schöne Bilder, später
passten trotzdem ganze Papierfabriken zwi
schen sie. Guido Westerwelle und Friedrich
Merz wanderten vor elf Jahren demonstrativ
durch Merz’ Wahlkreis im Sauerland, es blieb
bei einer Geste für die Presse. Eher diskret
läuft es bei den sogenannten Similaunern:
Wirtschaftsgrößen wie Jürgen Schrempp,
Klaus Zumwinkel, Wolfgang Reitzle und
viele wechselnde andere gehen seit Jahren
zusammen in die Berge, sozusagen zum
Wirtschaftsgipfel in der Gipfelwirtschaft.
Was die da oben so besprechen, bleibt top
secret, immerhin weiß man, dass sie sich als
Bergführer de luxe niemand Geringeren als
Reinhold Messner gönnen.
Wir machen selber den Messner, verlaufen
uns kein einziges Mal (na ja gut, so kompli
ziert ist der Weg nicht) und halten auf dem
Rückweg noch mal die Füße ins Wasser. Dann
stapfen wir durch den Hochwald und kom
men nach insgesamt fünf Stunden wieder am
Startpunkt an, müde und mit heißen Köpfen.
Wir setzen uns ins Auto, drehen die Klimaan
lage voll auf wie die Idioten – und haben am
Tag drauf beide den gleichen Idiotenschnup
fen. Erkenntnis sieben: Wer zusammen wan
dern geht, bleibt über den Tag hinaus verbun
den. Im Guten wie im Schlechten. Foto Seite 28/29: Richard Schulze-Vorberg/Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
© (Consemüller, Erich) Consemüller, StephanStiftung Bauhaus Dessau (I 46144/1-2) / Klassik Stiftung Weimar, Bauhaus-Museum (Dauerleihgabe aus Privatbesitz)