Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

(Brent) #1

34 S Ü D D E U T S C H E Z E I T U N G M A G A Z I N


Seit einiger Zeit heißen urbane Wirtshäuser nicht mehr
Wirtshäuser, sondern zum Beispiel »Eatery«. Wenn sich
etwas Eatery nennt, kann man davon ausgehen, dass die
Speisekarte auf Klemmbrettern gereicht wird, dass man
nicht auf Stühlen, sondern auf Hockern sitzt und dass auf
Kreidetafeln steht, man könne für einen zweistelligen Betrag
ein Glas hausgemachte Limonade erwerben. Auf den Tellern
sind gern Blüten und Blütenblätter verstreut. Das sieht schön
aus, hat aber oft nichts mit der geschmacklichen Abrundung

zu tun. Nein, man soll das fotografieren, und ja, man kann
die Blüten auch essen. Der aufgeklärte Stadtbewohner weiß
das und wird nicht müde, es zögerlichen Umsitzenden zu
erklären. Trotzdem bleiben Ringelblumen und Stiefmütter­
chen meistens auf dem Teller zurück. Irgendwie spürt man
ja doch so eine kleinbürgerliche Beißhemmung. Das kann
man aber nicht zugeben, wäre ja unmodern. Routinierte
Urbanisten lassen die Blüten deshalb heimlich in extra mit­
geführten Handtaschen verschwinden. M A X S C H A R N I G G

KOSMOS

Blüttransfusion


Gute Gesellschaft:Handtasche »Boxyz« von Salvatore Ferragamo.Foto:Allyssa Heuze

Foto: Allyssa Heuze/Industry Art
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