Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

(Brent) #1

38 SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N


enn man ein neues Produkt in den Markt ein­
führt, setzt man sich Ziele, an denen man den
Erfolg später misst. Verkaufszahlen sind so ein
Ziel. Wie dynamisch die Verkaufszahlen steigen. Umsatz,
klar. Für Hafermilch, die mit Milch im Grunde überhaupt
nichts zu tun hat, diese aber ersetzen will, gibt es noch ein
scheinbar gefühliges Ziel: von den Menschen wie Milch be­
handelt und gesehen zu werden. Das ist witzig, denn im
Grunde basiert der Erfolg von Milchersatzgetränken ja da­
rauf, dass sie gerade keine Milch sind. Dass sie mit alledem
nicht assoziert werden, mit dem Milch inzwischen von eini­
gen Menschen assoziiert wird: mit unglücklichen Kühen,
die Antibiotika bekommen, um auszuhalten, was man mit
ihnen macht, damit sie noch mehr Milch geben. Mit Treib­
hausgasen, die bei der Tierhaltung entstehen, mit eigenen
Gasen, die entstehen, weil man keine Laktose verträgt.
Hafermilch will keine Milch sein, aber genauso ernst ge­
nommen werden. Und das funktioniert. Allein der Welt­
marktführer Oatly hat den Umsatz nach eigenen Angaben
von rund 60 Millionen Euro im Jahr 2017 auf etwa 97 Mil­

lionen Euro 2018 gesteigert. Man kann den Aufstieg aber
auch daran erkennen, wo dieser Getreidedrink steht. In
Schweden etwa ist Hafermilch schon am Wahrnehmungs­
ziel angekommen: Sie steht im Kühlregal, neben der Milch,
obwohl sie vor allem aus Haferfasern und Wasser besteht,
pasteurisiert wurde und gar nicht gekühlt werden muss.
In Deutschland ist es noch nicht so weit, man findet sie
oft in den Supermarktgängen in den Ecken mit den Reis­
waffeln, bei den veganen Brotaufstrichen oder braunen
Mehlen. In den drei Supermärkten, in die ich regelmäßig
gehe, stehen sie in dem Gang mit der Säule. Das ist der Weg,
den ein Produkt zurücklegen muss: von der Ökoecke in
Hocktiefe in die Kühltheke auf Augenhöhe – im Laden, aber
auch in der Gesellschaft.
Und von der Gesellschaft anerkannt zu werden ist un­
gleich schwieriger, als von Mitarbeitern die paar Meter vom
Säulengang ins Kühlregal geräumt zu werden. Denn in die­
sem hochnervösen Land kommt manchmal leichte Panik
auf, wenn sich am Horizont höchst schemenhaft abzeichnet,
dass womöglich in vierzig Jahren, also für die meisten nach
dem eigenen Ableben, ein neuer Standard etabliert werden
könnte. Dann ist Futterfuror. Und es wird angenommen, dass
das, was einige Menschen – aka Tugendkonsumisten – nett
und höflich auf ihr Supermarktband legen und von ihrem
selbst verdienten und versteuerten Geld in ihrer Freizeit kau­
fen, schon morgen zur Zwangsernährung mutiert.
Um mit seiner Hafermilch gar nicht erst zum Symbol zu
werden, bevor man Geld gemacht hat, schaltet Oatly in
Deutschland Anzeigen auf Englisch, vor allem in Großstäd­
ten und europaweit auf selbstironisch (»If we had hired a
food stylist, a photographer and an ad agency, this poster
would probably have been more successful«). Ganz so, als
wolle man ausschließen, dass diejenigen, die man nicht zur
potenziellen Käuferschaft rechnet, das Produkt überhaupt
verstehen. Ich finde spalterische Distinktionswerbung un­
sympathisch, aber das kann man sicher auch lockerer sehen.
Die härteste Kühlschranktür hat übrigens meine Mutter,
und die sagte neulich sehr schön zu meiner kleinen Schwes­
ter: »Ich habe dir diese Hafermilch gekauft, die du jetzt
trinkst. Dein Vater kann sie dir morgen früh auch schäumen.
Aber nimm sie bitte mit, wenn du wieder fährst.«

GETRÄNKEMARKT

Hafermilch


Im Supermarkt muss sich das Milchersatzgetränk noch einige Meter bewegen –
und in der Gesellschaft noch wesentlich weiter

W


schreibt hier im Wechsel mit Simone Buchholz, Verena Mayer und
Tobias Haberl über Getränke, die es verdient haben.

L ARA FRITZSCHE

Foto: Maurizio Di Iorio
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