Kältewüste gewesen, deren dünne Böden vor
allem mit Beifuß bewachsen waren.
Stattdessen schloss Zimow aus den reich-
lichen Fossilienfunden von Mammuten und
anderen großen Tieren in Duvanny Yar und an-
derswo, dass Sibirien, Alaska und der Westen
Kanadas einst von fruchtbarem Grasland voller
Kräuter bedeckt waren. Nach dem Tod von
Pflanzen und Tieren verlangsamte die Kälte
deren Zersetzung. Mit der Zeit wurden die Reste
unter Sedimenten begraben und im Permafrost
eingeschlossen. Der ist daher viel kohlenstoff-
haltiger als angenommen.
Neue Erkenntnisse zeigen, dass der Kohlen-
stoff in Form von Kohlendioxid aufgrund der
Erderwärmung überdies schneller freigesetzt
wird. Das überraschende Tempo, mit dem sich
die Arktis erwärmt, und die besorgniserregende
Weise, wie sich Schmelz wasser in der dortigen
Landschaft verhält, lassen vermuten, dass der
Permafrost mit jedem Ein-Grad-Anstieg der glo-
balen Durchschnitts temperatur das Äquivalent
von vier bis sechs Jahren der heutigen Kohle-,
Erdöl- und Erdgasemissionen freisetzen wird.
Das ist zwei- oder dreimal so viel wie gedacht.
Wenn wir die Nutzung fossiler Brennstoffe nicht
reduzieren, könnte der Permafrost innerhalb
weniger Jahrzehnte eine ebenso große Quelle
für Treibhausgase sein wie China, momentan
der weltweit größte Kohlendioxidemittent.
D
ER WELTKLIMARAT be-
zieht den Permafrost
erst seit Kurzem in
seine Vorhersagen mit
ein. Noch immer wird
aber unterschätzt, wel-
che Verheerungen des-
sen Auftauen anrichten
könnte. Wenn wir die
Erd erwärmung auf deutlich unter zwei Grad
begrenzen wollen, wie 195 Staaten auf der
UN-Klimakonferenz in Paris 2015 vereinbarten,
müssen wir aktuellen Forschungsergebnissen
zufolge unsere Emissionen womöglich acht
Jahre früher reduzieren als in den bisherigen
Modellen des Weltklimarats vorgesehen. Und
nur, um das Abtauen des Permafrostes zu kom-
pensieren, das sich nun vollzieht.
Sergej Zimow kam in den Siebzigerjahren als
Student nach Tscherski, wo er bei der Kartierung
der Region mitarbeitete. Er verliebte sich in die
karge Landschaft, die Einsamkeit und Abge-
schiedenheit fernab der sowjetischen Machtzen-
tren. Ein paar Jahre später kehrte er zurück und
gründete die Northeast Science Station, zu-
nächst unter Schirmherrschaft der Russischen
Akademie der Wissenschaften. Heute betreibt
er sie gemeinsam mit seinem Sohn Nikita. Es ist
eine improvisierte Angelegenheit, mit minima-
lem Budget und gebrauchter Ausrüstung. Aber
sie zieht Wissenschaftler aus aller Welt an.
Wenn man mit Sergej Zimow in seinem alten
Boot zu einer Monitoring-Station fährt, an der
die Konzentration von Treibhausgasen in der
Atmosphäre gemessen wird, gelangt man zur
Am bar tschikbucht. Hier mündet die Kolyma ins
Nordpolarmeer. Man passiert zahlreiche Relikte
aus der Sowjetzeit. Einst befand sich hier ein
Lager für Gefangene, die in Stalins Gulags ge-
bracht werden sollten. Man läuft über einen Steg
aus verrosteten Radiatoren. Zimow, breitschult-
rig, den grauen Zopf unter einem Barett, testet
beim Gehen den Boden mit einem langen Me-
tallstab. In letzter Zeit tut er das oft, um den
Zustand des Permafrostes zu prüfen.
Über dieser Bodenschicht, die das ganze Jahr
gefroren bleibt, befinden sich bis zu vier Meter
Erde und verrottete Pflanzen. Diese sogenannte
aktive Schicht taut jeden Sommer auf und ge-
friert im Winter wieder, sodass der Permafrost
vor der zunehmenden Wärme darüber geschützt
ist. Aber im Frühjahr 2018 stellten Mitarbeiter
von Nikita Zimow fest, dass der Erdboden nahe
Tscherski an einigen Stellen nahe der Oberfläche
selbst während der langen Polarnacht nicht ver-
eist war. Das war neu. In Sibirien ist es im Janu-
ar so kalt, dass der menschliche Atem mit einem
klirrenden Geräusch gefriert, dem „Flüstern der
Sterne“, wie es die indigenen Jakuten nennen.
In der Sowjetzeit landeten schwere Flugzeuge
auf der vereisten Kolyma. Der Boden hätte über-
all 75 Zentimeter tief gefroren sein müssen. Nun
war er hier und da wie Brei.
„Vor drei Jahren lag die Temperatur im Boden
über dem Permafrost bei minus drei Grad“, sagt
Sergej Zimow. „Dann bei minus zwei, bei minus
einem Grad. Dieses Jahr sind es plus zwei Grad.“
Eigentlich ist das nicht überraschend: Die fünf
wärmsten Jahre seit Ende des 19. Jahrhunderts
wurden nach 2014 verzeichnet, und die Arktis
erwärmt sich mehr als doppelt so schnell wie der
Rest des Planeten, seit das Meereis schwindet,
das zu ihrer Kühlung beiträgt.
Seit etwa 50 Jahren steigen die Perma frost-
temperaturen weltweit – in der Region North
112 NATIONAL GEOGRAPHIC