National Geographic Germany - 09.2019

(Ann) #1
Nichts definiert uns mehr als unsere Vorlieben. Ob
beim Essen, beim Wein, bei der Partnerwahl oder
in der Politik – unser Geschmack steht für unsere
Identität. Deshalb war ich immer der Meinung, dass
meine Neigungen und Abneigungen durch sorg-
fältige Überlegungen und rationale Willensbildung
zustande kamen, also durch Entscheidungen, die
ich unter Kontrolle hatte.
Dann lernte ich Toxoplasma gondii kennen. Bei
meinen Forschungen an der Indiana University
School of Medicine beobachtete ich, wie dieser pa-
rasitäre Einzeller das Verhalten des infizierten Wirts
verändern kann. Er nimmt Ratten die Angst vor
Katzen und einigen Studien zufolge führt er auch
bei Menschen zu Persönlichkeitsveränderungen.
Wenn schon Einzeller unser Ich beeinflussen,
gibt es dann noch andere Dinge, die unbemerkt
unsere Vorlieben und Abneigungen programmieren?
Als ich in der wissenschaftlichen Literatur dazu
recherchierte, stieß ich auf eine ebenso verblüffende
wie beunruhigende Aussage: Wir haben wenig bis
null Kontrolle über unsere persönlichen Vorlieben.
Unsere Handlungen, unsere Verhaltensweisen und
Präferenzen werden von verborgenen biologischen
Kräften gesteuert: von unseren Erbanlagen, durch
unsere Umwelt und außerdem durch zahllose, in
uns lebende Mikroorganismen, die damit beschäf-
tigt sind, die Genaktivität in unseren Körpern zu
beeinflussen.

N


WIR KÖNNEN NICHTS FÜR UNSEREN GESCHMACK.
DEN VERDANKEN WIR UNSEREN GENEN, DER UMWELT UND MIKROBEN.

EXPLORER | ESSAY


TEXT: BILL SULLIVAN

Warum wir


Brokkoli hassen


28 NATIONAL GEOGRAPHIC FOTO: TERJE DOKKEN, GONZALES PHOTO/ALAMY
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