EXPLORER | JAGD AUF EIN REPTIL
KARTE: NGM MAPS
Leistenkrokdile dürfen pro Jahr im
Northern Territory erlegt werden, weniger
als zwei Prozent des Bestandes. Zusätzlich
werden jährlich 90 000 Eier in freier Wild-
bahn gesammelt; die geschlüpften Tiere
1200 werden in Krokodilfarmen großgezogen.
WAS NUN FOLGTE, WAR
FILMREIF: DAS KROKODIL
ZOG DAS BOOT MEHR
ALS ZWEI STUNDEN LANG
DURCH DIE LAGUNE.
Ich reiste im Laufe der Jahre achtmal ins Northern
Territory und verbrachte Monate mit den professio-
nellen Krokodiljägern Roger Matthews und Aaron
Rodwell, die auf dem Foto zu sehen sind. Sie fühlen
sich Krokodilen tief verbunden; die Tiere zu töten
ist für sie kein Grund zum Feiern, wenngleich sie
einräumen, dass sie einen gewissen Nervenkitzel
spüren. Die Jagd ist für die Jäger nicht unge-
fährlich: Wollen sie ein Krokodil erlegen,
müssen sie nah heran, denn aus der Ent-
fernung gelingt das nicht. Trifft der
Schuss nicht exakt – ungefähr einen
Zentimeter hinter dem Ohr, sodass er
geradewegs ins Gehirn geht –, taucht das
Krokodil ab und verblutet irgendwo unter
Wasser. Um das zu verhindern, setzen die
Jäger ihr Leben aufs Spiel.
Das Tier auf meinem Foto war ein „Problemkro-
kodil“: In Arnhemland, einem Siedlungsgebiet der
Aborigines, hätte es am Ufer einer Lagune beinahe
eine Frau getötet. Ihr Mann Samuel Nayinggul be-
antragte, das Tier beseitigen zu lassen, und so erhielt
Rodwell eine behördliche Ausnahmegenehmigung.
Die Jagd begann vor Sonnenuntergang und dau-
erte bis drei Uhr morgens. Matthews steuerte das
kleine Aluminiumboot durch die Lagune, und Rod-
well leuchtete mit einem starken Halogenschein-
werfer die Wasseroberfläche aus. Nayinggul diente
als Führer. Ich saß hinten. Nach vier Stunden hatten
wir das Krokodil endlich ausfindig gemacht. Rodwell
traf es mit einer selbst gebauten Harpune, aber das
Krokodil konnte sich befreien und verschwand im
Wasser. Eine weitere Stunde verging.
Dann sagte Matthews zu mir: „Setz dich.“ Rodwell
ging zum Bug des Bootes, in der einen Hand die
Lampe, in der anderen die Waffe, mit der er das Tier
zunächst nur an den Haken bekommen wollte. Er
richtete den Scheinwerfer auf das Krokodil, während
Matthews im Schleichtempo weiterfuhr. Als wir bis
auf knapp einen Meter herangekommen waren,
rammte Rodwell dem Tier die Harpune in den Hals.
Es drehte nun völlig durch. Das Boot wurde her-
umgewirbelt, und Rodwell fiel hin. Was folgte, war
filmreif: Das Krokodil zog das Boot hinter sich her
- nicht gewaltsam, sondern gerade so, dass wir spür-
ten, wie stark es war. Mehr als zwei Stunden lang
schleppte uns das Reptil. Als es endlich an die Ober-
fläche kam, war es offenbar erschöpft. Matthews griff
nach einem Seil und versuchte es dem Krokodil über
den Oberkiefer zu ziehen.
Das Tier aber stürzte sich auf unser Boot, verbiss
sich in dessen Wand und schleuderte unser fünf
Meter langes Gefährt hin und her wie ein Hund sein
Spielzeug. Glücklicherweise zerstörte es das Boot
nicht, und niemand fiel ins Wasser. Mit großer Mühe
gelang es Matthews und Rodwell schließlich, den
Kopf des Krokodils mithilfe des Seils seitlich
am Boot in die Höhe zu ziehen und die
Kiefer mit Klebeband zu umwickeln.
Nachdem das Tier gesichert war, legten
die Männer ihm zur Beruhigung ein
Stück Sackleinen über die Augen, und
Matthews tötete es mit einem Schuss aus
seinem Revolver.
Ich spürte große Trauer darüber, dass
dieses gewaltige Tier nicht mehr lebte. Diese
Empfindung versuchte ich auch in dem Foto auszu-
drücken, das ich nach der Jagd machte. Eines wuss-
te ich: Hätten Matthews und Rodwell triumphierend
gewirkt, wäre es mir nicht möglich gewesen, sie zu
fotografieren. Aber es war nicht so.
Dann wurde das Krokodil zerlegt. Die Jäger trenn-
ten Kopf, Haut und Schwanz ab. Rodwell salzte die
Haut, rollte sie auf und legte sie zusammen mit dem
Kopf in eine Kühlbox. Später wurde der Kopf in Dar-
win, der größten Stadt des Northern Territory, che-
misch so behandelt, dass sich das Fleisch entfernen
ließ. Der Schädel wurde für etwa 2 000 Euro verkauft.
Die Haut ging an eine Gerberei in Südaustralien und
brachte mehr als 4 000 Euro ein. Das war der Lohn
für die Jäger. Nayinggul, der Mann, der die Jagd
beantragt hatte, fand seinen Seelenfrieden wieder - und bekam das Fleisch aus dem Schwanz.
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Der NATIONAL GEOGRAPHIC-Explorer Trevor Beck Frost ist Foto-
graf und Dokumentarfilmer. Für die April-Ausgabe 2017 dokumen-
tierte er das Leben der Dschelada-Affen im äthiopischen Hochland.
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