National Geographic Germany - 09.2019

(Ann) #1

Federn. Das Skelett und die Befestigungen der Federn wurden mit einem


3-D-Drucker hergestellt. „PidgeonBot“ ist mit Beschleunigungsmesser,


Gyroskop, Barometer, Luftgeschwindigkeitsmesser, GPS, Kompassen und


Transceiver ausgestattet. Letzterer überträgt Fluginformationen per Funk


auf einen Laptop.


Der Testflug des „PidgeonBot“ startet an einem bewölkten Morgen im


hügeligen Buschland in der Nähe von Stanford. Auf das Kommando „Los!“


wird der Roboter in die Luft geworfen. Mit zehn Metern pro Sekunde fliegt


der „PidgeonBot“ durch die Luft, bis er wieder zur Landung gebracht wird.


Der detailreiche Nachbau soll ermöglichen, die Flugmechanik echter


Vögel Schritt für Schritt zu studieren und die Funktion endlich besser zu


verstehen. „Ich glaube, wir schaffen das“, sagt David Lentink.


ZU DA VINCIS LIEBSTEN BESCHÄFTIGUNGEN gehörte das Improvisieren von


Melodien auf der Lira da Braccio, einem Saiteninstrument der Renais-


sance. In seinen Notizbüchern untersuchte er außerdem die Feinheiten


der Akustik und der musikalischen Ausgestaltung. Im Jahr 2009 ent-


deckte Sławomir Zubrzycki darin auch Skizzen für ein Tasteninstrument


mit gebogenen Saiten. Sie sind im „Codex Atlanticus“ und in mehreren


kleineren Notizbüchern enthalten und inspirierten den polnischen Pia-


nisten zu weiteren Nachforschungen.


Der Musiker war völlig fasziniert von da Vincis Idee, zwei Instrumen-


tengruppen in einem Instrument zu verbinden. Also machte sich Zubr-


zycki daran, es zu bauen – mit dem Ziel, damit Musik erklingen zu lassen,


wie der Mann aus Vinci sie wohl gerne hören wollte.


Da Vincis Notizbücher stecken zwar voller Klarheit, doch sie enthalten


mitunter auch einfach nur Gedankenspiele – und dazu gehörten auch die


Zeichnungen zu diesem geheimnisvollen Musikinstrument. Es gibt keinen


Bauplan. Vier Jahre lang verbrachte Zubrzycki darum mit Recherchen


und Ausarbeitungen der Viola Organista. Er testete verschiedene Hölzer,


kam zu dem Schluss, das Instrument bräuchte 61 Tasten, und tüftelte aus,


wie er vier mit Pferdehaaren bezogene Räder bauen könnte, die über Sai-


ten streichen und Klänge produzieren. Zubrzycki schaffte es am Ende


tatsächlich, das Instrument zum Leben zu erwecken – mit der gleichen


Kraft, die auch da Vinci antrieb: seinem Vorstellungsvermögen.


Das Ergebnis ist beeindruckend. Zubrzyckis von Hand gefertigte, strah-


lend blaue Viola Organista mit ihrem roten Innenleben verbindet die


polyphonen Eigenschaften eines Klaviers – also das gleichzeitige Spielen


verschiedener Melodien – mit dem Nuancenreichtum, der das Spiel und


den Klang von Saiteninstrumenten kennzeichnet. Es ist ein weiterer Be-


weis dafür, dass da Vinci niemals mit der Norm zufrieden war. „Er war


immer interessiert, neue Möglichkeiten auszuloten“, sagt Zubrzycki.


An einem Sommerabend an der Südostküste Schwedens gibt Zubrzycki


schließlich im Schloss Kalmar ein Konzert mit Musik der Renaissance.


Für da Vinci rangierte die Musik an zweiter Stelle gleich hinter der Male-


rei, noch vor der Bildhauerei. Er beschrieb sie als „figurazione delle cose


invisibili“, die Gestaltung des Unsichtbaren. Solch einen erhabenen Mo-


ment erlebten die über hundert Zuhörer nun in Zubrzyckis Schlosskon-


zert. Seine Viola Organista klang wie ein ganzes Streicherensemble. Der


vielschichtige Klang und der volle Ton erinnert an die Leuchtkraft von


da Vincis Gemälden – ein musikalisches Sfumato mit weichen Rundungen


und nachklingenden Tönen. Die Notizen aus da Vincis Aufzeichungen


hatten sich auf grandiose Weise in Musik verwandelt.


LEONARDO DA VINCI 73
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