Weltwoche Nr. 35.19 21
Letztlich stellt sich die Frage, wie einseitig ei-
ne Verwaltungsstelle Umweltpolitik im Sinne
von maximalem Schutz betreiben darf. Die
Nulltoleranzpolitik – wie sie vor allem auch
Umweltorganisationen vertreten –, zu der das
Bafu neigt, trifft in erster Linie die Landwirt-
schaft. Da die Analyseverfahren laufend raffi-
nierter werden und man heute immer mehr
Substanzen in geringster Konzentration mes-
sen kann, winzigste Teilchen in minimaler
Zahl, findet man auch immer mehr Anhalts-
punkte, die Beseitigung von Stoffen verschie-
denster Art zu fordern – bis zu einem Ausmass,
bei dem ein Bewirtschaften von Land nur noch
sehr eingeschränkt möglich ist.
Wettbewerb zwischen Bundes ämtern
Klar, in der Bundesverwaltung gibt es eine Art
Gegenpol. Dem von Marc Chardonnens ge-
führten Bundesamt für Umwelt steht das Bun-
desamt für Landwirtschaft (BLW) gegenüber,
bis vor kurzem unter der Leitung von Bernard
Lehmann und künftig von Christian Hofer.
Das BLW hat unter anderem den Auftrag, sich
um eine sichere Versorgung der Bevölkerung
zu kümmern und die Kulturlandschaft zu
pflegen. «Das Bafu will die Umwelt schützen,
das BLW will sie nutzen», lautet ein Spruch,
der in der gegenwärtigen Ausein andersetzung
um die Trinkwasser- und die Pestizid-Initia-
tive neue Aktualität erhält.
Soeben hat das BLW ge meldet, im Rahmen
des von der Landwirtschaft mitgetragenen
Aktionsplans Pflanzenschutzmittel – gedacht
als Gegenstück zu den Initia tiven – habe man
mittlerweile sechzehn Massnahmen zur Ver-
ringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes
eingeführt. Immerhin gibt es einen Wett-
bewerb zwischen Bundesämtern, der gänzlich
einseitige Lösungen verhindert.
gen Entwicklung einigermassen möglich ist.
Die Untersuchungen decken den Zeitraum
2007 bis 2016 ab – und das wirft die Frage auf,
weshalb die Analyse erst jetzt veröffentlicht
wurde. Die jüngsten Daten sind drei Jahre alt,
und nun fallen diese quasi wie neue Informa-
tionen zur Schädlichkeit der Landwirtschaft
in die politische Auseinandersetzung.
In der Medienmitteilung ist von einer Ver-
schlechterung der Grundwassersituation die
Rede. Worin zeigt sich diese konkret? Im Vor-
dergrund stehen grundsätzlich zwei Arten der
Belastung: einerseits der Nitratgehalt und
anderseits Rückstände von Pflanzenschutz-
mitteln im Wasser. Nitrat gelangt vor allem
dadurch ins Grundwasser, dass die Stickstoff-
düngung von den Pflanzenwurzeln nicht
rasch genug vollständig aufgenommen wird
und deshalb Stickstoffverbindungen durch
den Boden nach unten gespült werden. Laut
Bafu-Bericht wurde der in der Gewässer-
schutzverordnung festgelegte Interventions-
wert von 25 Milligramm Nitrat pro Liter Was-
ser in der Berichtsperiode jährlich an gut 15 bis
20 Prozent der Messstellen überschritten. Dies
ist die Schwelle, bei der man im Gewässer-
schutz handeln muss, um die Lebensmittelg-
renzwerte nicht zu verletzen. In aus geprägten
Ackerbaugebieten werde dieser Interventions-
wert sogar bei 40 Prozent der Messstellen er-
reicht. Damit sei Nitrat diejenige Substanz mit
der weitaus häufigsten Grenz wertverletzung.
Im Mittelland würden an 80 Prozent der Mess-
stellen 10 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser
überschritten. Letz teres liest sich dramatisch,
aber die 10 Milligramm stellen keinen Gren-
zwert dar, sondern wurden in der Mitteilung
einfach so erwähnt.
Zahlen, die dramatisch wirken
Aber hat sich die Nitrat-Situation wirklich ver-
schlechtert, wie dies vom Bafu in der Medien-
mitteilung suggeriert wird? Schaut man die
Zahlen der Studie an, zeichnet sich über die
Jahre eher eine Verbesserung ab: 2007 zeigten
21,8 Prozent der Messstellen eine Konzentra-
tion über dem Interventionswert, 2014 waren
es noch 13,6 Prozent. Der Tonfall der Medien-
mitteilung trifft die Realität nicht, eine Ver-
schlechterung ist jedenfalls beim Stickstoff
nicht erkennbar. Die Nitratkonzentration ist
laut den Angaben an vielen Messstellen zwi-
schen 2003 und 2006 zwar gestiegen, dann
aber meistens wieder auf das Niveau von 2002
gesunken.
Dennoch warnt das Bafu: In den letzten Jah-
ren seien keine weitergehenden Massnahmen
ergriffen worden, um die Stickstoffüberschüsse
der Landwirtschaft wirksam zu verringern. Ein
übermässiger Eintrag von Nitrat ins Grund-
wasser sei nur zu verhindern, wenn die Bewirt-
schaftung vor allem im Acker- und im Gemüse-
bau optimiert und an die Trag fähigkeit des
Standortes angepasst werde. Dies ist natürlich
ein richtiger Ratschlag, aber in jüngerer Zeit
forcieren viele Bauern bereits Programme zur
effizienteren Stickstoff versorgung, da ja eine
Überdüngung mit Auswaschverlusten auch
wirtschaftlich unsinnig ist.
Ist wenigstens bezüglich Pflanzenschutzmit-
teln behördlicher Alarmismus gerecht fertigt?
Auch da zeigen sich im Prinzip keine Ver-
schlechterungen. Laut Studie ist bei Pflanzen-
schutzmitteln die Gesamtsituation seit 2010
unverändert, die Zahl der Messstellen, an de-
nen Rückstände in Konzentrationen von mehr
als 0,1 Mikrogramm pro Liter Wasser nachge-
wiesen wurden, ist demnach seit 2001 praktisch
stabil. Stabil ist das Bild auch, wenn man neben
Wirkstoffen die Abbauprodukte davon – so-
genannte Metaboliten – berücksichtigt. Auch
bei den Pflanzenschutzmitteln bringt das Bafu
eine ganze Palette von Ver unreinigungszahlen
ins Spiel, die zunächst dramatisch wirken:
Deutlich über 50 Prozent der untersuchten
Messstellen wiesen zum Beispiel Rückstände
von Wirkstoffen wie auch von Abbauprodukten
auf. Das tönt dramatisch, aber da werden Mess-
werte aufgezählt, für die es keine offiziellen
Grenzwerte gibt – also sind auch keine Über-
schreitungen zu registrieren.
Einige Zeilen weiter unten in der Studie
findet man schliesslich den konkreten Befund,
der sich auf klare Grenzwerte bezieht: «An
etwa 2 Prozent der Messstellen überschritten
Pflanzenschutz-Wirkstoffe 2014 den von der
Gewässerschutzverordnung vorgegebenen
Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter.»
Mit andern Worten: An 98 Prozent der Mess-
stellen lag die Belastung durch Pflanzen-
schutzmittel nicht über den Limiten. Das
Hauptresultat des Bafu-Berichts lautet also:
Der überwiegende Teil der Grundwasser-
vorkommen ist in einem Zustand, der nicht zu
beanstanden ist. Das Bundesamt brachte in
der Mitteilung von Mitte August Argumente
und Vorwürfe gegen die Landwirtschaft vor,
die durch die Messdaten der Studie nicht zu
be legen sind.
Sechzehn Massnahmen
Ins Bild passt, dass die Grundwasserpro bleme,
die mit dem Bevölkerungswachstum und der
zunehmend dichteren Besiedelung der
Schweiz zusammenhängen, vom Bafu erst in
zweiter Linie angesprochen werden, obwohl
Siedlungen und Strassen den Schutz des
Trinkwassers oft stärker behindern als die
Landwirtschaft. Auch nur am Rande erwähnt
wird die Wasserwirtschaft der Gemeinden, die
in vielen Fällen Schutzpflichten vernachlässi-
gen und veraltete Kläranlagen betreiben.
Schaut man die Zahlen der Studie
an, zeichnet sich über die Jahre
eher eine Verbesserung ab.