22 Weltwoche Nr. 35.19
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A
n der SP kritisierte FDP-Präsidentin Petra
Gössi wiederholt deren «Wörding». Mit
diesem «Wörding» bewies die Urschwyzerin
ihre Weltläufigkeit. Danach schimpfte sie in
der «Arena» des Schweizer Fernsehens wie ein
Rohrspatz über das neuste Plakat der SVP:
«Wenn die, die befehlen, anfangen, unanstän-
dig zu sein, verlieren die, die gehorchen müs-
sen, den Respekt.» Anders ausgedrückt: Die
herrschende Classe politique soll sich gefäl-
ligst um einen guten Stil bemühen. Sonst lei-
det das Ansehen der hochwohlweisen Obrig-
keit bei ihren Untertanen. Petra Gössi setzte
sich mit diesem Satz auf ein überraschend
hohes Ross. Und enthüllte ihr Politikverständ-
nis zur Kenntlichkeit: Die Politiker befehlen,
das Volk muss parieren. Noch haben wir aber
eine Demokratie. Und die sollte eigentlich
umgekehrt funktionieren.
Noch deutlicher wegen der roten, grünen
und orangen Würmer auf dem SVP-Plakat
wurde Nationalrat Kurt Fluri (FDP): Damit
erweise sich die SVP als «totalitär». Wer hat’s
erfunden? Franz Steinegger, Rudolf Friedrich
und Frank A. Meyer. Oder alle drei zusammen.
Kurt Fluri ist allerdings der Allerletzte, der
sich über Totalitarismus beklagen sollte. Denn
er hat sich einen Platz in den Geschichts-
büchern gesichert als jener Antidemokrat, der
eine vom Souverän angenommene Massen-
einwanderungsinitiative ganz einfach nicht
umgesetzt, ja, ins Gegenteil verkehrt hat. Was
sich ziemlich totalitär anfühlt.
Kurt Fluri wollte sich bei der parlamentari-
schen Diskussion seines Verfassungsbruchs die
Argumente der Gegenseite nicht anhören: «Es
gibt Votanten aus Ihren Kreisen, da stellt man
die Ohren am besten auf Durchzug.» Wer ande-
re Ansichten nicht duldet, entfernt sich von der
Demokratie. Und wird totalitär. So wie Fluris
Solothurner Freisinn, welcher Vertreter der
wählerstärksten SVP systematisch vom Ober-
gericht aussperrt. Obwohl die Kantonsverfas-
sung vorschreibt, bei öffentlichen Ämtern seien
«die politischen Richtungen angemessen zu
berücksichtigen». Ist das etwa nicht totalitär?
Jurist Fluri hat einem Ordnungsbussengesetz
zugestimmt, bei dem die Fahrzeughalter für
die Widerhandlungen von unbekannten
Tätern haften müssen. Das ist die Kollektiv-
und Sippenhaft der Nazis, die jedem Rechts-
staat spottet. Ist Kurt Fluri jetzt totalitär? Er ist
jedenfalls ein Einbahnstrassenpolitiker, der
keinen Gegenverkehr duldet.
T
oni Locher gehört zu jenen Achtund-
sechzigern, die den Freiheitskampf
Eritreas unterstützten. Die meisten seiner Mit-
streiter zogen sich irgendwann desillusioniert
zurück. Einer widerstand allen Zweiflern und
jedem Zweifel. Der Oberwalliser Toni Locher,
der Frauenarzt aus Baden.
In der Burgdorfer Viehhalle feierten Ende
Juli 800 Menschen aus Eritrea. Kurzfristig wur-
de auch der Aussenminister Eritreas eingeflo-
gen. Leider weilten unsere Bundesräte in den
wohlverdienten Sommerferien.
In der «Rundschau» unterbreitete Honorar-
konsul Toni Locher das Angebot Eritreas an die
Schweiz. Zwangsausschaffungen würden nicht
akzeptiert. Aber man nehme abgewiesene Asyl-
suchende zum Preis von 25 000 bis 50 000 Fran-
ken zurück. Diesen Betrag brauche es aus zwei
Gründen. Die Flucht habe die abgewiesenen
Asylsuchenden seinerzeit 10 000 bis 15 000
Franken gekostet. Dieses Geld hätten sich die
Jugendlichen links und rechts ausgeliehen und
müssten es deshalb zurückzahlen. Und zwei-
tens brauche es eine Starthilfe. Vielleicht alles
nicht ganz falsch, aber einen solchen Deal wird
unsere Madame Keller-Sutter nie eingehen
können und wollen.
Mehr als in Eritrea bewegt sich politisch in
Äthiopien. Auf allen Ebenen. So lässt die Regie-
rung vier Milliarden Bäume pflanzen. Weil die
Bevölkerung auf der Suche nach Brennholz in
den letzten hundert Jahren 90 Prozent der
eigenen Wälder abholzte.
Ein Baum speichert pro Jahr im weltweiten
Durchschnitt 100 Kilogramm CO2. Im Regen-
wald mehr, in Äthiopien weniger. Jede Schwei-
zerin und jeder Schweizer bläst im Inland pro
Jahr 5000 Kilogramm CO2 in die Luft. Um die-
sen Ausstoss zu kompensieren, müssten pro
Schweizer hundert Bäume gepflanzt, gehegt
und gepflegt werden. Die Holzernte dürfte man
nicht zu Pellets verarbeiten, sondern müsste sie
als Bauholz verwenden oder exportieren. Dies
in der Logik von Myclimate, der Stiftung für Kli-
maschutz. Um pro Jahr tausend Tonnen CO2 zu
kompensieren, braucht es einen Waldarbeiter.
Somit 40 000 neue Arbeitskräfte in der Wald-
wirtschaft, um den CO2-Ausstoss der Schweiz
vollständig in Äthiopien zu kompensieren.
Selbst wenn die Waldarbeiter das Zehnfache des
äthiopischen Durchschnittslohnes bekommen,
kostet dies die Schweiz 7,5 Prozent dessen, was
unsere Bauern pro Jahr direkt und indirekt als
Subventionen einstreichen.
Ablasshandel im und mit dem Ausland – wie
ihn auch Myclimate anbietet – hat in der
Schweiz keinen guten Namen. Vorab nicht bei
den rigiden Protestanten. Wegen des Geldes,
das unterwegs versickert. Dabei gäbe es ohne
Ablasshandel keinen Petersdom in Rom.
Mörgeli
Wörding, Wahlen,
Würmer
Von Christoph Mörgeli
Bodenmann
Ohne Ablasshandel kein Petersdom
Von Peter Bodenmann _ Toni Locher, der Honorarkonsul Eritreas
in der Schweiz, fordert pro Rückkehrer mindestens 25 000 Franken.
Besser wäre ein Deal mit Äthiopien. Bäume pflanzen lassen, um den CO2-Ausstoss der Schweiz zu kompensieren.
Der Autor ist Historiker und ehemaliger SVP-Nationalrat.
Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident
der SP Schweiz.