Weltwoche Nr. 35.19
Bild: Christophe Petit Tesson (Pool, EPA, Keystone); Illustration Bianca Litscher (www.sukibamboo.com)
23
A
ls ich ein junger Reporter bei der Schweizer
Illustrierten war, da zitierte unser Chef gern
seinen liebsten Lehrsatz. Der Lehrsatz lautete:
«Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.»
In den achtziger Jahren war in unserer Bran-
che die Kraft des Bildes unbestritten. In den
Texten schwindelten zwar damals schon die
Journalisten mit mehr als tausend Worten.
Die Bilder aber waren so etwas wie die Garan-
ten der Wahrheit.
Heute ist dem Bild nicht mehr zu trauen.
Neuste Beispiele sind etwa die Politiker Boris
Johnson und Jair Bolsonaro. Beide wurden
eben Opfer von optischen Fakes.
In den achtziger Jahren gab es das nicht. Es
gab keine Photoshop- und Deepfake-Soft-
wares, mit denen sich Bilder am Computer
leichthändig manipulieren
liessen. Es gab für Farbfotos
keine elektronische Übermitt-
lung, man musste sie als Dias
per Post oder per Kurier um
die Welt schicken.
In der Mediengeschichte gal-
ten Bilder darum lange als fäl-
schungssicher. Nur Geheim-
dienste wie CIA und KGB
schafften es mitunter, ein
getürktes Bild in der Presse un-
terzubringen. Privaten Anbie-
tern gelang das kaum je, mit
Ausnahmen wie dem Foto des
Ungeheuers von Loch Ness.
Heute ist das Bild eine Ma-
nipulationsware wie alles an-
dere auch in der Medienindus-
trie. Ein hübsches neues Beispiel war die Visite
des britischen Premiers Boris Johnson bei sei-
nem Kollegen Emmanuel Macron in Paris.
Macron machte die scherzhafte Bemerkung,
das Tischchen zwischen den beiden liesse sich
auch als Fussbank nutzen. Johnson tippte
nun mit dem Schuh eine halbe Sekunde auf
den Tisch, und beide lachten.
Törichte Manipulationen
Für manche Medien explodierte nun der Skan-
dal. Die halbe Sekunde der Tischberührung,
ein Ausschnitt aus einem längeren Video,
wurde zum Bild des Grauens festgefroren. Die
Zentralredaktion des Tages-Anzeigers erregte
sich sogleich über eine «putinhafte Sitzhal-
tung» Johnsons, womit auch ein anderer Böse-
wicht gleich angegangen wurde. Das Schwei-
zer Radio und Fernsehen stimmte sofort ein
und wusste: «Boris Johnson provoziert.» Auch
Le Monde hob die optische Verzerrung auf die
Titelseite.
Natürlich waren es Redaktionen links der
Mitte, die sich im politischen Eifer zu solch
törichten Manipulationen hinreissen liessen.
Journalisten von BBC, Blick oder Welt, die der
Realität weniger ideologisch gegenüberste-
hen, beschrieben das Johnson-Intermezzo als
das, was es war, als kleinen Scherzartikel.
So wie Johnson ist auch Brasiliens Präsi-
dent Jair Bolsonaro ein Hassobjekt der Jour-
nalisten, weil auch er nicht auf ihrem gelieb-
ten Rotkurs segelt. Auch hier wurde soeben
der Trick der Bildmanipulation gegen ihn
verwendet.
Zu den Bränden in seinem Amazonasgebiet
publizierte etwa der britische Guardian als Be-
leg Fotos aus den achtziger Jahren, weil es da-
mals so schön loderte. Auch das Onlineportal
Watson aus der Schweiz verwendete zur Lage
in Brasilien erst Brandbilder eines Fotografen,
der schon vor fünfzehn Jahren gestorben ist.
In anderen Medien wiederum mussten Bilder
aus Kalifornien als Brandbeschleuniger für
Brasilien herhalten.
Auch hier ist die politische Unterfütterung
interessant. Die grössten Brände und Rodun-
gen in Brasilien gab es zuletzt unter Ex-Prä-
sident Lula da Silva. Aber der war ein Links-
sozialist, damit in den Mainstream-Medien
kein Zielobjekt und folgerichtig auch kein
Opfer von Bildmanipulation.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, hiess
es früher in unserer Branche. Wir müssen, um
aktuell zu bleiben, nur ein einziges Wort
ersetzen.
Ein Bild lügt mehr als tausend Worte.
Medien
Optische Täuschung
Von Kurt W. Zimmermann _ Eine neue Maxime im Journalismus:
Ein Bild lügt mehr als tausend Worte.
Kleiner Scherzartikel: Macron, Johnson.
L
enin wird der Satz
zugeschrieben, eine
Revolution in Deutsch-
land könne es nie ge-
ben; wenn die Deut-
schen einen Bahnhof
stürmen wollten, wür-
den sie vorher «noch ei-
ne Bahnsteigkarte kau-
fen». Der Satz ist so wahr, wie es wahr ist, dass
der Doppelkammer-Teebeutel in Deutschland
erfunden wurde. Hier der Beweis.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissen-
schaft (GEW) in Rheinland-Pfalz ruft ihre Mit-
glieder auf, am «internationalen Klimastreik»
teilzunehmen, der von der Bewegung «Fridays
for Future» auf den 20. September terminiert
wurde. Denn: «Die Klimakrise ist eine reale
Bedrohung für die menschliche Zivilisation,
deren Bewältigung die zentrale Herausforde-
rung des 21. Jahrhunderts ist.» Für die «Bil-
dungsgewerkschaft» und die in ihr organisier-
ten «Pädagogen und Pädagoginnen» bedeute
das: «Wir können den Kampf um die Zukunft
der menschlichen Zivilisation nicht den Schüle-
rinnen und Schülern alleine überlassen und
selbst dabei nur zuschauen. Auch wir müssen
unsere Stimme erheben und uns einsetzen, da-
mit es endlich zu deutlichen Verbesserungen
des Klimaschutzes kommt.» Allerdings müsse
dabei einiges beachtet werden. Grundsätzlich
gelte für die Lehrkräfte «ein Neutralitätsge-
bot», es sei «nicht erlaubt, Schüler und Schüle-
rinnen im Sinne erwünschter Meinungen zu
überrumpeln», freilich sollte «die politische
Neutralität» nicht «mit Werteneutralität» ver-
wechselt werden. Die «Ermunterung zur Teil-
nahme» dürfe «nicht als Aufruf» erfolgen. Es
sei aber «keinesfalls verboten, sich mit verschie-
denen politischen Themen kritisch auseinan-
der zu setzen». Zum Beispiel «im Rahmen eines
Projektes, als Unterrichtsgang oder Ähnliches
könnte eine Beteiligung durchaus denkbar und
sinnvoll sein». Diese «sollte aber mit der Schul-
leitung entsprechend abgestimmt werden».
So wird das Unmögliche möglich, Schüler
und Lehrer können den «Kampf um die Zu-
kunft der menschlichen Zivilisation» gemein-
sam führen, ohne disziplinarische Massnah-
men befürchten zu müssen. Der Anarchist
Erich Mühsam, der 1934 im KZ Oranienburg er-
mordet wurde, hat so etwas schon früh kom-
men sehen. 1907 schrieb er das Lied über einen
«Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer»,
der sich Sorgen machte, im Zuge der Revoluti-
on könnten seine Laternen beschädigt werden.
Die Deutschen
«Ermunterung»
Von Henryk M. Broder _ Revolution
der Lampenputzer.