Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

28 Weltwoche Nr. 35.19
Bild: Alessandro della Valle (Keystone)


nahmen zu treffen».
Weil bald Wahlen
anstehen und das
Thema Klima weit
oben auf der Agenda
steht? Vonlanthen
streitet das nicht ab.
Der Wahlkampf
habe «sicher einen
Einfluss» auf die
Beratungen der
Kommission gehabt.
Wichtig sei dabei
aber, dass die Lösungen mehrheitsfähig sei-
en. Wie die SP meint der Multi-Industrie-Prä-
sident, das «Fiasko» im Nationalrat – ge-
meint ist die Abfuhr für das CO 2 -Gesetz im
letzten Dezember – müsse nun «korrigiert»
werden.
Ähnlich flexibel politisiert der Zürcher
Ruedi Noser. Auf der Website seiner Partei, der
FDP, postuliert er: «Weniger Regulierungen –
mehr eigenverantwortliches Handeln». Den-
noch trägt er jetzt die etatistische Regulie-
rungspolitik der Urek mit – samt den neuen
Einschränkungen für die Finanzindustrie. Als
Verwaltungsrat einer CS-Tochter wird er das
seinen Bankkollegen sicher genau erklären
können. Ebenso der kantonalen Handelskam-
mer, die sich in der Vergangenheit konsequent
gegen gängelnde Klimavorschriften gewehrt


hat. So bekämpfte sie im vergangenen Jahr die
Teilrevision des kantonalen Energiegesetzes.
Als «Stimme der Wirtschaft» (Eigenwerbung)
zeigte sie auf, «dass verschiedene vorgeschla-
gene Änderungen zu weit gehen und sich das
Ziel einer Reduktion des CO2-Ausstosses auch
mit sanfteren Massnahmen erreichen liesse».
Und nun propagiert ihr Vorstandsmitglied
Noser noch viel radikalere Einschränkungen.
Gerne hätte die Weltwoche von Noser erfahren,
was er sich dabei gedacht hat. Bis Redaktions-
schluss blieb trotz mehrmaliger Anfragen eine
Antwort aus.
Und so geht es nun weiter: In der dritten
Woche der Herbstsession wird der Ständerat
über die Vorschläge der Urek beraten. Später
kommen sie vor den Nationalrat. Dort dürf-
ten ihnen mehr Widerstand erwachsen. Auf
Anfrage droht Walter Wobmann (SVP):
«Wenn alle diese Massnahmen im Gesetz
drinbleiben, ziehen wir wieder einmal in ei-
nen Abstimmungskampf.» Zusammen mit
Parteikollegin Nadja Pieren hatte er schon
das Referendum gegen die Erhöhung der
Auto bahnvignette ergriffen – und gewon-
nen. Damals ging es um 60 Franken, jetzt
aber geht’s ans Eingemachte. g


Nun propagiert FDP-Ständerat


Ruedi Noser noch viel radikalere


Einschränkungen.



  1. Inlandziel und CO 2 -Abgabe. Die Kom-
    mission verlangt, dass mindestens 60 Pro-
    zent der CO 2 -Reduktionen im Inland er-
    zielt werden müssen. Konkret wird dies
    über die CO 2 -Abgabe auf Brennstoffe (Hei-
    zöl, Erdgas, Kohle et cetera) erreicht. Diese
    steigt stärker an, als dies ohne Inlandziel
    der Fall wäre. Heute beträgt die Abgabe
    96 Franken pro Tonne und bringt zirka
    1,2 Milliarden Franken ein. Die weitere
    Entwicklung zum Erreichen des Inland-
    ziels ist vorgespurt. Ab 2022 soll die Abga-
    be auf 120 Franken und ab 2025 auf
    160 Franken pro Tonne erhöht werden. Ab
    2028 könnte der Bundesrat sie gar auf
    210 Franken pro Tonne anheben. Geht man
    davon aus, dass die Nachfrage nach Brenn-
    stoffen konstant bleibt, dann summiert
    sich die Abgabe zwischen dem Jahr 2020
    und 2030 auf über 18 Milliarden Franken.

  2. Flugticketabgabe. Letztes Jahr verwarf
    der Nationalrat die Einführung einer
    Flugticketabgabe. Die damals besproche-
    ne Flugsteuer sollte für Flüge ab der
    Schweiz, je nach Entfernung und Bu-
    chungsklasse, zwischen 12 und 50 Fran-
    ken betragen und schätzungsweise
    900 Millionen Franken bis 1,7 Milliarden
    Franken pro Jahr einbringen. Die Stände-
    ratskommission plant jetzt eine Abgabe
    zwischen 30 und 120 Franken. Das ist
    mehr als das Zweifache des ursprüngli-
    chen Wertes. Geht man davon aus, dass die
    Kosten doppelt so hoch ausfallen, dann
    kommt man auf zwischen 1,8 Milliarden
    und 3,4 Milliarden Franken im Jahr.
    Nimmt man davon den Durchschnitt, so
    ergeben sich jährliche Kosten von 2,6 Mil-
    liarden Franken. In zehn Jahren sind das
    26 Milliarden Franken.


3. CO 2 -Grenzwerte im Strassenverkehr.
Für Neuzulassungen von Fahrzeugtypen
will die Kommission über das Jahr 2024 hi-
naus die «Zielwerte» der «EU-Regelung»
übernehmen. Dabei müssen die Fahrzeu-
gimporteure (respektive ihre Kunden) eine
Strafe zahlen, wenn die von ihnen impor-
tierten Fahrzeuge im Durchschnitt über
dem Zielwert liegen. Aktuell liegt dieser
bei 130 Gramm pro Kilometer, was die Im-
porteure beinahe erfüllen. Dementspre-

chend waren die Strafzahlungen relativ ge-
ring. Sie betrugen im letzten Jahr 31,1
Millionen Franken. Allerdings ist die von
der EU vorgezeichnete Senkung des Ziel-
werts extrem ambitioniert. Schon nächstes
Jahr soll der Zielwert von 130 Gramm pro
Kilometer auf 95 Gramm gesenkt werden.
Ab 2025 darf der Flottenausstoss noch gut
80 Gramm und ab 2030 nur noch 59,4
Gramm betragen. Schätzungen aus der
Branche zufolge könnten die Strafzahlun-
gen dadurch auf rund 700 Millionen Fran-
ken jährlich steigen – oder 7 Milliarden in
einem Zeitraum von zehn Jahren.


  1. Kompensationspflicht für Treib-
    stoffimporteure. Teure Verschärfungen
    sieht die Kommission für die Importeure
    fossiler Treibstoffe wie Benzin und Diesel
    vor. Momentan müssen sie zehn Prozent
    der CO 2 -Emissionen kompensieren, was
    den Liter Treibstoff um rund 1,5 Rappen
    verteuert. In Zukunft darf der Bundesrat
    bis zu 90 Prozent Kompensation verlan-
    gen, solange die Massnahmen den Liter
    Benzin nicht um mehr als 10 Rappen (bis



  1. respektive 12 Rappen (ab 2025) ver-
    teuern. Im Jahr 2017 wurden in der Schweiz
    5 158 937 Tonnen Benzin und Diesel ver-
    kauft. Sofern der Bundesrat seinen Spiel-
    raum voll ausschöpft, lägen die Kosten der
    Kompensationsmassnahmen demnach bei
    rund 500 Millionen Franken jährlich. Über
    zehn Jahre: mehr als 5 Milliarden Franken.



  1. Anschluss an das EU-Handelssystem
    für Emissionsrechte. Firmen aus beson-
    ders energieintensiven Branchen sind ver-
    pflichtet, über sogenannte CO 2 -Zertifikate
    Emissionsrechte zu erwerben. Die Kom-
    mission will das Schweizer Versteigerungs-
    mit dem Handelssystem der EU koppeln,
    was zu einer Angleichung der Preise für die
    Zertifikate führt. Letztes Jahr betrug der
    CO 2 -Preis in der Schweiz im Mittel Fr. 6.58
    pro Tonne CO 2. Der Preis in der EU
    schwankte zwischen 20 und 30 Euro. Mit
    neuer Regulierung kann die EU in die Hö-
    he treiben. Die Rede ist von Werten um 110
    Franken pro Tonne. Statt heute knapp 5
    Millionen Franken im Jahr könnten in Zu-
    kunft durchaus auch über 80 Millionen
    Franken jährlich fällig sein.


Politik


Horrende Kosten


Die Vorschläge der Ständeratskommission dürften bis ins Jahr
2030 mit über 55 Milliarden Franken zu Buche schlagen. Das sind
über 6500 Franken pro Kopf der Bevölkerung. Von Florian Schwab

Ständerat Eberle.
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