Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

Weltwoche Nr. 35.19 29
Bild: Gaetan Bally (Keystone)


Es ist eine Angelegenheit, die das Vertrauen in
die Behörden nicht gerade fördert. 2015 hielt das
Bundesgericht auf Beschwerde einer Privatper-
son fest, dass das Bundesamt für Kommunikati-
on (Bakom) den Konsumenten jahrelang zu ho-
he Beträge für den Radio- und Fernsehempfang
in Rechnung gestellt habe. Das Bakom bezie-
hungsweise die in seinem Auftrag handelnde
Billag hatte jeweils die Mehrwertsteuer auf die
Gebühren geschlagen, was laut den Lausanner
Richtern nicht zulässig war; gut 30 Millionen
Franken jährlich kamen so unrechtmässig zu-
sammen, das sind pro
Haushalt und Jahr 11 Fran-
ken zu viel. Nach dem Ur-
teil passte das Bakom die
neuen Rechnungen an. Das
Amt, dem Departement der
damaligen Bundesrätin
Doris Leuthard unterste-
hend, weigerte sich aller-
dings durch alle Instanzen,
den Konsumenten die jah-
relang zu Unrecht einkas-
sierten Beträge zurückzu-
zahlen. Erst ein weiteres
Urteil des Bundesgerichts
von 2018 brachte das störri-
sche Bakom zur Räson und verpflichtete es zur
Rückerstattung der Mehrwertsteuer ab 2010.


Vieles liegt im Dunkeln


Vor kurzem hat das Bakom, das derzeit mit Tau-
senden von Rückforderungsgesuchen konfron-
tiert ist, eine Gesetzesvorlage präsentiert, die
regelt, wie die Rückerstattung geschehen soll.
Der Einfachheit halber ist vorgesehen, dass je-
der Haushalt eine einmalige Gutschrift von
50 Franken erhält. Dieses Geld – das sind rund
165 Millionen Franken – soll aus der all-
gemeinen Bundeskasse geholt werden. Beim
Bakom hofft man, auf diese Weise einen Strich
unter die leidige Affäre ziehen zu können.
Damit würde das Amt allerdings gar einfach
davonkommen. Denn rund um die Steueraffäre
gibt es mehrere offene Fragen, die beantwortet
werden sollten, bevor man die Sache ad acta
legt. So würde man gerne erfahren, ob die
Bakom- Verantwortlichen tatsächlich nicht
schon vor 2015 wussten, dass sie die Empfangs-
gebühren zu Unrecht besteuerten. Das Bundes-
gericht hatte notabene schon 1995 erklärt, dass


die Empfangsgebühren leistungsunabhängig
seien. Damit fehlte von Beginn weg die Grund-
lage für die Einforderung der Mehrwertsteuer,
denn ohne Leistungsaustausch gibt es keine
Besteuerung. Das Amt, so sieht es aus, konnte
bei den Konsumenten allein deshalb ungestört
abkassieren, weil sich vor dem Jahr 2015 nie
jemand gegen seine Steuerpraxis gerichtlich
zur Wehr gesetzt hatte.
Vor allem aber interessiert, ob das Bakom die
unrechtmässig erhobene Mehrwertsteuer tat-
sächlich richtig abgerechnet hat. Hier liegt eini-
ges im Dunkeln, bis heute
hat keine unabhängige
Verwaltungsstelle und
kein Gericht diese Frage
untersucht. Es gibt einige
Punkte, die darauf hin-
deuten, dass die Mehr-
wertsteuerbeiträge nicht
der Bundeskasse zugute-
gekommen sind, sondern
faktisch in den Gebühren-
topf geflossen sind, der zur
Hauptsache die SRG ali-
mentiert. Das Bakom sel-
ber behauptet, dass alles
korrekt abgerechnet wor-
den sei. Gleichzeitig räumt es allerdings ein,
dass nicht nur die Empfangsgebühren im Ge-
bührentopf gelandet sind, sondern auch der so-
genannte Vor steuer über schuss, bei dem es sich
ebenfalls um Millionenbeträge handelt.
Stimmt das? Und, falls ja, durfte das Bakom so
vorgehen und diese Mittel kurzerhand zum
Nutzen der SRG einsetzen?
Wie auch immer das Ganze abgelaufen ist:
Die SRG hat auf die eine oder andere Weise
nicht nur ihren gesetzlich definierten Gebüh-
renanteil erhalten, sondern darüber hinaus zu-
sätzliche «Subventionen», die aus den jahre-
lang zu Unrecht bezahlten Steuern stammen.
Umso stossender ist es, wenn die SRG nun, da es
um die Rückzahlung geht, ungeschoren davon-
kommt und statt ihrer die allgemeine Bundes-
kasse für den Fehler aufkommen soll. Letztlich
läuft der Vorschlag des Bakom darauf hinaus,
dass die Steuerpflichtigen den Gebührenzah-
lern – und damit sich selbst – das Geld zurück-
erstatten und für ein behördliches Fehlver-
halten geradestehen sollen, von dem einzig die
SRG profitiert hat. Katharina Fontana

Profiteure behördlichen Fehlverhaltens.

Gelackmeierte


Steuerzahler


Die Konsumenten haben jahrelang zu hohe Radio- und TV-Gebühren


bezahlt und sollen nun aus der Bundeskasse entschädigt werden.


Die SRG, die eigentliche Profiteurin, kommt ungeschoren davon.


Justiz


Langes Warten


Das Bundesgericht
verzögert den Einsatz
von Sozialdetektiven.

D

as Ergebnis war eindeutig: 64,7 Prozent
der Stimmbürger stimmten im November
2018 für die Observierung von mutmasslichen
Versicherungsbetrügern. Das war zwar in der
Vergangenheit bei der IV und der Unfallver-
sicherung gang und gäbe – bis der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte 2016 die
fehlende gesetzliche Grundlage kritisierte.
Bundesrat und Parlament mussten in der Folge
ein spezielles Gesetz dafür ausarbeiten.
Das ist nun geschehen und vom Stimmvolk
abgesegnet, aber nun kann der Bundesrat die
Sozialdetektive trotzdem nicht wie geplant
und versprochen auf den 1. September 2019 von
der Kette lassen, weil sich das Bundesgericht bei
der Behandlung von drei Beschwerden gegen
das Gesetz viel zu lange Zeit liess. Insgesamt
sind es drei ellenlange Eingaben, die am 23. Juli
2018, am 29. September 2018 und unmittelbar
nach der Abstimmung am 28. November 2018
von den Gegnern der Vorlage, dem Komitee
«Nein zu Versicherungsspionen», eingereicht
wurden. Es ging darin um falsche Zahlen im
Abstimmungsbüchlein oder die Observation
von Versicherten in Privaträumen.

Ab November erlaubt
Die in den Beschwerden monierten Punkte hat
der Bundesrat korrigiert und in der Verord-
nung entsprechend präzisiert – zum Beispiel

dürfen Versicherte in Privaträumen nicht über-
wacht werden. Grünes Licht darf der Bundesrat
aber erst geben, wenn das Bundesgericht in der
Sache entschieden hat. Vergangenen Dienstag-
mittag, über ein Jahr nach der ersten Beschwer-
de, rang sich das Bundesgericht endlich zu
einem Entscheid durch und wies zwei von drei
Beschwerden ab. Auf die Dritte trat die oberste
Gerichtsinstanz nicht ein. Jetzt kann das Gesetz
frühestens auf den 1. November 2019 in Kraft
treten, so viel Vorlaufzeit braucht die Ver-
waltung für die Inkraftsetzung.
Wie wichtig indessen solche Observierungen
sind, zeigt der Fall einer Kosovarin beispielhaft
auf, über die das Kreisgericht Rheintal in den
letzten Tagen befinden musste. Sie soll sich mit
falschen Angaben bei der IV insgesamt über
Jahre 688 000 Franken erschlichen haben.
Hubert Mooser

Am Dienstag, über ein Jahr nach
der ersten Beschwerde, rang sich das
Gericht zu einem Entscheid durch.
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