Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

30 Weltwoche Nr. 35.19
Bilder: Peter Schneider (Keystone)


Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga
gibt sich die Ehre: Die SP-Bundesrätin lädt die
Medien diese Woche ins Tessin, wo sie den
neuen Tunnel am Ceneri der Öffentlichkeit
präsentiert. Die Flachbahn durch die Alpen sei
ein Jahrhundertbauwerk, begründet Somma-
rugas Sprecherin Annetta Bundi den Ausflug.
Wie im Vorfeld der Gotthard-Basistunnel-
Eröffnung nutzen der Bund, die SBB und die
Alp Transit Gotthard AG die anstehende Er-
öffnung des Ceneri-Basistunnels, um mit
verschiedenen Veranstaltungen darauf auf-
merksam zu machen. Der vom Infrastruktur-
departement Uvek organisierte PR-Anlass
dürfte SBB-Chef Andreas Meyer sehr gelegen
kommen.
Der Ceneri-Tunnel lenkt von den Fehlern
und Unzulänglichkeiten etwas ab, für die der
oberste Bähnler in den letzten Wochen den
Kopf hinhalten musste: Ärger mit den neuen
Bombardier-Zügen, verspätete und ausfal-
lende Züge, geschlossene Schalter, fehlende
Lokomotivführer, gebrochene Anschlüsse,
Häufung von Baustellen, Propaganda statt
Information, und jetzt noch der schwere Un-
fall eines Zugsbegleiters wegen einer defekten
Zugtüre – das alles trug Meyer und den SBB
eine schlechte Presse ein. Das Einzige, was da-
bei überraschenderweise nicht wirklich zur
Debatte stand, war ein Rücktritt von Meyer.


Er sagt, was die Politiker hören wollen


Im Gegenteil: Vor der Verkehrskommission
des Ständerates (KVF-S), deren Präsident
Claude Janiak den SBB-Chef eingeladen hatte,
legte Meyer vergangene Woche laut dem Urner
Ständerat Josef Dittli einen selbstbewussten
Auftritt hin. Er habe überzeugend aufzeigen
können, dass die SBB viel für die Sicherheit
tun würden. Vergangenen Freitag doppelte
Meyer vor den Medien nach und gestand: «Ich
war überrascht, als ich gesehen habe, wie viele
Fehler wir gefunden haben.» Es seien mehr
Mängel festgestellt worden, als von den SBB
erwartet, darunter teils sicherheitsrelevante.
Kommende Woche folgt nun ein weiterer Auf-
tritt vor der KVF des Nationalrates. Viel be-
fürchten muss Meyer auch hier nicht. Kom-
missionspräsidentin Edith Graf-Litscher sagt,
man erwarte von ihm Erklärungen dazu, wie
er die Zuverlässigkeit der Bahn in Zukunft
sicherstellen wolle.
Meyer zeigte sich bisher politisch gewandt
im Umgang mit Bundesbehörden und Politi-
kern. Im Parlament gibt es niemanden, der


offen zu sagen wagt, dass der SBB-Chef lang-
sam den Hut nehmen sollte – nicht einmal die
Linken, die Meyer nicht ins Herz geschlossen
haben.
Er hat auch gelernt, wie er sich politischen
Ärger vom Halse halten kann: indem er nur
das sagt, was Politiker hören wollen. Über die
geplante, 13  Milliarden Franken teure Ange-
botsverdichtung des Bahnverkehrs sagte er ge-
genüber dem Sonntagsblick: «Die Schweiz hat
sich entschieden, das Bahnnetz weiter auszu-
bauen. Diese Mobilität ist ein Teil der Lebens-
qualität der Schweiz.» Dabei weiss keiner bes-
ser als der SBB-Chef, dass das Bahnnetz längst
am Limit funktioniert und dass dies auch eine
der Ursachen ist, weshalb derzeit vieles schief-
läuft. Er und seine Leute wiederholen das
Argument jedenfalls nach jeder Pannenserie.
Schon beim Abgang von Meyers Vorgänger
Benedikt Weibel hiess es, dieser habe die Bahn
bis zu einem Punkt weiterentwickelt, der
kaum noch überschritten werden könne. Eine
zusätzliche Verdichtung sei fast nicht mehr zu
erreichen, die Pannenanfälligkeit sei drama-
tisch gestiegen. Seither wurde das Angebot
noch mehr verdichtet, und so soll es auch nach
dem Wunsch des Parlamentes in den nächsten
Jahren praktiziert werden.
Die grösste Herausforderung dürfte für
Meyer aber die Zusammenarbeit mit der
neuen Verkehrsministerin Simonetta Somma-
ruga darstellen. Deren Sprecherin streicht
zwar hervor, dass Sommaruga und die SBB-
Spitze sich regelmässig treffen und eine gute
Zusammenarbeit pflegen würden. Aber Meyer
wird sich daran gewöhnen müssen, dass seine
politische Vorgesetzte genauer hinschaut.
Anders als für Vorgängerin Doris Leuthard,
die der Bahn ihre unternehmerische Freiheit
liess und mit Meyer gut zurechtkam, spielt
die Bahn für die SP-Bundesrätin vor allem bei
ihren Überlegungen zum Klimaschutz eine
zentrale Rolle. Das untermauert sie auch
mit ihrem Auftritt im Ceneri-Tunnel diese
Woche. Bereits hat sie angekündigt, dass sie
den Güterverkehr mit einem Massnahmen-
paket stärken will. Und dem Ceneri-Tunnel
kommt bei der Verlagerung des Schwerver-
kehrs von der Strasse auf die Schiene eine
grosse Bedeutung zu.
Aber das Teamwork Sommaruga–Meyer
hat schlecht begonnen. Kaum im Amt, wollte
Sommaruga Meyers Millionensalär um 4 Pro-
zent kürzen, der Gesamtbundesrat schlug
sich aber auf die Seite Meyers. «Wenn ich je-

manden loswerden will, würde ich genau so
vorgehen», kommentieren bundesratsnahe
Kreise die Kontroverse um den Lohn des SBB-
Chefs. Beim Streit zwischen SBB und BLS um
lukrative Fernverkehrskonzessionen zwang
Sommaruga Meyer gewissermassen einen
Kompromiss auf. Bisher hatten die SBB ein

Chronik eines Zerwürfnisses


Die grösste Herausforderung für SBB-Chef Andreas Meyer dürfte die Zusammenarbeit


mit Verkehrsministerin Sommaruga werden. Ihr gegenseitiges Verhältnis ist vorbelastet.


Von Hubert Mooser


Schaut genauer hin: Bundesrätin Sommaruga.
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