Weltwoche Nr. 35.19 31
Bild: Alessandro della Valle (Keystone), Marcel Bieri (Keystone)
Monopol auf Fernverkehrsstrecken. In Zu-
kunft wird die BLS die Verbindungen Bern–
Biel und ab Dezember nächsten Jahres die
Strecken Bern–Olten sowie Bern–Neuen-
burg–La Chaux-de-Fonds betreiben. Das ist
für die SBB verschmerzbar, nach aussen hin
aber ein starkes Zeichen, dass die neue Ver-
kehrsministerin nicht davor zurückschreckt,
die SBB in die Schranken zu weisen.
Meyer blieb ruhig, noch einen Streit mit der
Departementsvorsteherin kann der SBB-Chef
derzeit nicht brauchen – zumal er schon mit
dem Direktor des Bundesamts für Verkehr
(BAV), Peter Füglistaler, seinem eigentlichen
Ansprechpartner beim Bund, verkracht ist.
Die beiden verstehen sich nicht und sind
schon einige Male aneinandergeraten,
manchmal während Sitzungen der KVF. Die
frühere Uvek-Chefin Leuthard, zu der Meyer
stets einen guten Draht hatte, sorgte bisher
für einen Ausgleich. Aber vor allem hielt sich
die etwas konfliktscheue Leuthard aus dem
Streit heraus. Die neue Verkehrsministerin
Sommaruga steht dagegen nicht im Ruf, dass
sie Konflikten aus dem Weg geht. Und sie ist
Sozialdemokratin – wie BAV-Direktor Peter
Füglistaler auch.
Dazu muss man wissen: Die SBB waren
lange Jahre die Spielwiese der Genossen und
des einflussreichen Eisenbahnerverbandes.
Meyers Vorgänger Weibel gehörte zum Ber-
ner SP-Klüngel, wie der langjährige SBB-Ver-
waltungsratspräsident Ulrich Gygi. 2006
kam Meyer an die Spitze der Bundesbahnen,
krempelte den Laden komplett um und
drängte einen Apparatschik nach dem ande-
ren hinaus. Das machte ihn nicht unbedingt
zu einem Sympathieträger. Gegenüber Politi-
kern wirkt er kompetent und fachkundig,
aber auch etwas arrogant und abgehoben. Mit
seinem forschen Stil stiess er zu Beginn seiner
Amtszeit einige vor den Kopf.
Nicht neu, aber noch frisch
Nach wenigen Jahren im Amt prasselten schon
von allen Seiten Vorwürfe auf ihn ein. Die Ber-
ner Zeitung kritisierte seinen als autoritär be-
schriebenen Führungsstil und die sich meh-
renden Abgänge aus der Geschäftsleitung.
Dann wurde ihm vorgeworfen, dass er Dut-
zende Millionen für Berater ausgebe. Dazu ka-
men ein paar verpatzte Personalentscheide
wie die Anstellung des langjährigen
Schweiz-Tourismus-Chefs Jürg Schmid, den
Meyer als Chef Personenverkehr zu den SBB
holte und der nach wenigen Wochen bereits
wieder ging. Dennoch hat sich Meyer bis heute
fest im Sattel gehalten. Die neue SBB-
Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar
hält eisern zu ihm. Das stärkt seine Position
gegenüber Sommaruga etwas.
Vieles, was zurzeit rund um die SBB abgeht,
erinnert an das Karriereende von Benedikt
Weibel. Eine nicht enden wollende Serie von
Pannen, Dauerbeschuss in den Medien, tragi-
sche Todesfälle. Schliesslich ging Weibel mit
sechzig Jahren vorzeitig in Pension, wird
heute in SP-Kreisen aber beinahe wie ein Säu-
lenheiliger verehrt. Als Meyer kürzlich ge-
fragt wurde, ob er nicht langsam genug habe,
liess er durchblicken: Er sei zwar nicht neu,
aber noch frisch. Vielleicht hat der 58-Jährige
ganz einfach noch nicht den passenden Er-
satzjob gefunden. g
«Ich war überrascht, als ich
gesehen habe, wie viele Fehler
wir gefunden haben.»
Gesundheit
Mehr Psychotherapie
Psychologen sollen Zugang
zu Krankenkassen erhalten.
Gibt es Widerstand?
D
er Bundesrat
will im Gesund-
heitswesen mit einem
Systemwechsel den
Zugang zur Psycho-
therapie verbessern,
vor allem für Kinder
und Jugendliche
sowie Erwachsene in
Krisensituationen.
Gemäss Alain Bersets
Vernehmlassungs-
entwurf sollen psy-
chologische Psychotherapeuten künftig ihre
Leistungen im Rahmen der obligatorischen
Krankenversicherung selbständig abrechnen
dürfen, wenn ein Arzt dies für Patienten so an-
ordnet. Es soll also etwa gleich laufen wie heute
in der Physiotherapie. Das heisst, dass die Psy-
chologen plötzlich einen direkten Zugang zum
Krankenversicherungssystem erhalten würden.
Bisher wurden die Leistungen nur dann über-
nommen, wenn die Psychologen unter Anstel-
lung und Aufsicht eines Arztes oder Psychiaters
mit entsprechendem Ausweis zur Delegation in
der Psychotherapie tätig waren. Psychiater
haben eine längere Ausbildungszeit als Psycho-
logen. Der Vorschlag für einen Systemwechsel
vom Delegations- zum Anordnungsmodell lässt
eine Angebotsausweitung samt Ausgaben-
wachstum erwarten, zumal heute von einem
Angebotsmangel die Rede ist. Es liegt nah, dass
die Föderation der Schweizer Psychologinnen
und Psychologen diesen Schritt begrüsst, den
sie seit langem fordert und auch wirksam mit
Medienarbeit unterstützt hat.
Die Reaktion der Psychiater ist weniger ein-
deutig. Sie würden durch den Systemwechsel
unter stärkeren Konkurrenzdruck geraten und
müssten sich eigentlich wehren. Eine Mengen-
ausweitung bei den Leistungen würde gemäss
Bundesratsvorschlag ja dann auf die Tarife
drücken. Pierre Vallon, Präsident der Schweize-
rischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psycho-
therapie, hat sich öffentlich gegen die Vorlage
ausgesprochen. Die Psychiatrie-Fachorgani sa-
tionen von Swiss Mental Health Care dagegen
sind für den Systemwechsel, aber mit flankie-
renden Massnahmen. Ihnen schwebt ein koor-
diniertes Anordnungsmodell vor mit erhöhten
Qualifikationsanforderungen, weiterhin spe-
zieller Rolle der Psychiater und Sicherung der
Kostendeckung, also mit gemildertem Konkur-
renzdruck. Alles in allem ist der Widerstand
gegen Bersets Vorschlag schwach. Beat Gygi
Pierre Vallon.
Selbstbewusster Auftritt: SBB-Chef Meyer.