Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

32 Weltwoche Nr. 35.19
Bild: Alessandro Della Valle (Keystone)


Wer einen solchen Allianznamen trägt, sucht
die Aufmerksamkeit. Und Elisabeth Schneider-
Schneiter ist in dieser Hinsicht recht erfolg-
reich. Die Nationalrätin aus der kleinen Basel-
bieter CVP, die seit 2013 in der Grossen Kammer
sitzt, geniesst eine beachtliche Medienpräsenz.
Vergangenen Herbst stand sie als Bundesrats-
kandidatin ein paar Wochen im Scheinwerfer-
licht, hatte aber gegen die Walliserin Viola
Amherd keinen Stich. Als Präsidentin der Aus-
senpolitischen Kommission des Nationalrates
absolvierte Schneider-Schneiter wegen des
hochumstrittenen Rahmenabkommens mit
der EU in den letzten Monaten so manchen
öffentlichkeitswirksamen Auftritt. Und wie
keine andere hat die 55-Jährige ein Gespür da-
für, mit dem Strom zu schwimmen: Niemand
im Nationalrat stimme häufiger mit der Mehr-
heit als sie, meldete die Sonntagszeitung vor kur-
zem.


Keine typische CVP-Frau


Elisabeth Schneider-Schneiter zählt zu jenen
Politikern, die man schnell einmal als intellek-
tuelle Leichtgewichte einordnet und bei denen
man gleichzeitig nicht weiss, ob man ihnen da-
mit ein Unrecht tut. Sie ist keine Redekünstle-
rin, und im Gespräch weicht sie gerne auf jene
Allgemeinplätze aus, die für Politiker typisch
sind. Doch Schneider-Schneiter hat in ihrem
Leben gezeigt, dass sie sich durchsetzen kann.
Aufgewachsen ist sie im solothurnischen
Hofstetten, in einer Bauernfamilie, als drittes
von fünf Kindern. Sie musste sich gegen ihren
Vater behaupten, der von ihren Plänen, die Ma-
tura zu machen und zu studieren, nichts wissen
wollte: Sie solle besser ins Welschland gehen
und eine Berufslehre absolvieren, hiess es.
Es kam anders: Die junge Frau studierte
Rechtswissenschaften an der Universität Basel.
Ihre Ausbildung finanzierte sie sich mit Putz-
stellen und anderen Jobs, und da sie nach ihrem
Studienabschluss sofort Geld verdienen muss-
te, trat sie eine Stelle bei einer Gemeindeverwal-
tung an. Später wurde sie Gemeindeverwalte-
rin in Biel-Benken, wo sie wohnt, einem Dorf
nahe an der französischen Grenze, das trotz
vieler Stadtpendler seinen ländlichen Charme
nicht verloren hat. Sie ist Mutter von zwei Kin-
dern – die neunzehnjährige Tochter kandidiert
auf der Nationalratsliste der Jungen CVP. Das
Nationalratsamt hat die Tür zu weiteren Posten
geöffnet: Schneider-Schneiter ist Präsidentin
der Handelskammer beider Basel und Vor-
standsmitglied der Economiesuisse. Dass ihr


bei dieser Wirtschaftsnähe der Ruf anhaftet, po-
litisch links zu stehen, versteht sie nicht. Tat-
sächlich ist Schneider-Schneiter nicht die typi-
sche CVP-Frau, die ihre Allianzen zuverlässig
links sucht und vom «bürgerlich-sozialen» Eti-
kett, das sich die CVP selber angeheftet hat, nur
den zweiten Teil gelten lässt.
Anders als vor vier Jahren, als die Baselbiete-
rin ihren Nationalratssitz nur knapp verteidi-
gen konnte, startet sie diesen Herbst aus einer
komfortablen Position. Dank einer Listenver-
bindung mit der EVP, der BDP und den Grün-
liberalen stünden die Chancen für ihre Wieder-
wahl gut, meint sie. Dass die Protestantin bei
der CVP gelandet ist, hat mit ihrer familiären
Herkunft zu tun. Ihre protestantischen Gross-
eltern seien ins erzkatholische Schwarzbuben-
land gezogen und dort der CVP beigetreten –
«für die Bauern gab es die CVP, für die
Zugezogenen, die in der Chemischen arbeite-
ten, die FDP». Der religiöse Graben war tief, die
Katholiken durften bei den Protestanten nicht
einkaufen. Das führte dazu, dass ihre Gross-
mutter, die eine Gärtnerei führte, häufig erst
nach Einbruch der Dunkelheit katholische
Kunden empfangen und Setzlinge verkaufen
konnte.
In der Baselbieter CVP spiele die Religions-
zugehörigkeit heute keine Rolle mehr, sagt
Schneider-Schneiter. Das C der CVP findet sie
aber nach wie vor wichtig, man müsse den

christlichen Werten Sorge tragen. Apropos
Werte: Wie steht sie zur «Ehe für alle»? «Da bin
ich liberal. Wenn zwei Menschen heiraten
wollen, sollen sie dies tun. Jeder soll so leben,
wie er will – es ist allerdings nicht nötig, die
sexuelle Orientierung dauernd an die grosse
Glocke zu hängen.» Einen willkommenen
Kontrapunkt setzte die CVP-Frau bei jenem
Thema, das neben dem Klima das beherrschen-
de des Wahljahres 2019 ist: den Frauen. So teilte
sie in der «Arena», die das Schweizer Fernsehen
zum Frauenstreik im Juni durchführte, tüchtig
aus und wandte sich gegen das Klischee, dass
Frauen heute noch systematisch diskriminiert
seien. «Natürlich gibt es Ungerechtigkeiten,
und ich bin die Erste, die für Lohngleichheit
und für Frauen in Führungspositionen eintritt.
Doch Frauen sollen mit ihrer Stärke überzeu-
gen und sich nicht in eine Opferrolle drängen
lassen.» Schneider-Schneiter hat wie ihr Mann
immer Vollzeit gearbeitet und sieht darin das
Modell für gleiche Chancen. «Teilzeitarbeit ist
ein Karrierekiller. Frauen bekommen nur dann
Kaderstellen, wenn sie sich beruflich voll enga-
gieren.» Nun entspricht es nicht unbedingt
dem Idealbild jeder Mutter, einen Vollzeitjob
zu haben und die Kinder nur noch abends zu
sehen. «Es gab auch bei mir Momente, wo ich
lieber zu Hause mit den Kindern gewesen wäre.
Kinder und Beruf zu haben, ist anstrengend –
ich habe oft nach einem langen Arbeitstag um

Die mit dem Strom schwimmt


Elisabeth Schneider-Schneiter schafft es wie niemand sonst, im Parlament stets in der Mehrheit


zu sein. Die protestantische CVP-Frau sieht sich als liberale Konservative und steht felsenfest zum


Rahmenabkommen. Von Katharina Fontana


Willkommener Kontrapunkt: Nationalrätin Schneider- Schneiter.
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