Weltwoche Nr. 35.19 33
Bild: Laurent Gillieron (Keystone)
Mitternacht noch einen Geburtstagskuchen
gebacken. Doch umgekehrt bietet ein solches
Leben auch enorm viele Chancen für die ganze
Familie.»
Überhaupt sollten gleiche Rechte und Pflich-
ten eine Selbstverständlichkeit sein, findet
Schneider-Schneiter, «das gilt beim AHV-Alter,
aber auch beim Militär- oder Zivildienst.»
Braucht es mehr Frauen im Parlament? «Diver-
sität ist ganz wichtig, das sorgt für eine ausge-
wogene Politik. Die Frauen haben es selber in
der Hand, dafür zu sorgen, indem sie Frauen
wählen.» Nebenfrage: Wie steht es mit dem
Sexismus im Bundeshaus, ein Thema, das vor
zwei Jahren heftig diskutiert wurde? «Das gibt
es leider, doch man hat die jMeToo-Debatte im
Bundeshaus auf die Spitze getrieben. Es gibt
Parlamentarier, die sich heute kaum mehr ge-
trauen, einer Kollegin den Koffer zu tragen.»
Einseitige Erklärungen
Dass Schneider-Schneiter als mit der Wirtschaft
verbundene Politikerin aus dem Raum Basel
zum Rahmenabkommen mit der EU steht, ver-
wundert nicht. Erstaunlich ist aber, mit welcher
Leichtigkeit sie die Einwände gegen den Ver-
trag abtut. Es gehe um den Fortbestand der
Bilateralen, dafür sei das Rahmenabkommen
unabdingbar, sagt sie und findet, dass die
Schweiz die strittigen Punkte notfalls auch
allein mit einseitigen Erklärungen entschärfen
könne. Dass sich der Europäische Gerichtshof
im Streitfall kaum nach den einseitigen Erklä-
rungen der Schweiz richten wird, ficht die CVP-
Frau nicht an. «Die Schweiz muss gelassener
werden im Umgang mit der EU, wir dürfen
nicht alles zur Schicksalsfrage hochstilisieren.»
Gegenfrage: Was nützt Gelassenheit, wenn die
EU bei Streitigkeiten mit der Schweiz das
Schiedsgericht und damit den Europäischen
Gerichtshof anrufen kann? «Jedes EU-Mit-
gliedsland hat Rügen am Hals, damit muss man
pragmatisch umgehen.» Macht ihr die Vor-
stellung denn keine Sorgen, dass sich die
Schweiz derart eng an eine Organisation bin-
det, die selber in der Krise ist und institutionell
völlig anders tickt? «Wir sind schon heute eng
vernetzt und schon längst nicht mehr unabhän-
gig. Da wird sich nicht viel ändern.»
Kürzlich wurde Elisabeth Schneider-
Schneiter von ihrem SVP-Ratskollegen und
Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel in den
Spalten dieser Zeitung kritisiert, weil sie eine
Kommissionssitzung ins heimische Baselbiet
verlegt hatte: Sie habe damit persönlichen
Wahlkampf betrieben. Ein ungerechter Vor-
wurf, findet die Baselbieterin. «Es ist üblich,
dass der Kommissionsvorsitzende am Ende
der Präsidialzeit die Sitzung im Heimatkan-
ton abhält. Das tun auch SVP-Kommissions-
präsidenten, und deren Ausflüge haben teils
schon mehr gekostet als bei mir.» Ob Wahl-
kampf oder nicht – geschadet hat ihr der Auf-
tritt auf Heimatboden sicher nicht. g
Bundeshaus
Wie es ihnen gefällt
Je länger, je mehr foutieren sich Bundespräsidenten um die Rolle,
die ihnen Verfassung und politische Kultur der Schweiz vorgeben.
Ueli Maurer ist nur das jüngste Beispiel.
D
der Bundespräsident ist ein Sitzungsleiter
mit schicker Visitenkarte. Ein Jahr lang
führt er den «Vorsitz im Bundesrat», wie es in
der Verfassung heisst, ohne dass ihm dadurch
besondere Kompetenzen erwachsen. Das hin-
dert Bundespräsidenten aber schon seit länge-
rem nicht mehr daran, dem Buchstaben des
Rechts ihren eigenen Geist einzuhauchen.
- Pascal Couchepin reiste 2003 in die Haupt-
städte der Nachbar länder, um französischen,
italienischen oder deutschen Staats präsidenten
als «Amtskollege» gegenüberzutreten. - Hans-Rudolf Merz berief sich 2009 auf einen
persönlichen «Führungsentscheid», um in
Libyen über die Freilassung von Schweizer
Geiseln zu verhandeln. - Alain Berset verlangte 2018 eine
stehende Begrüssung durch die
Parlamentarier, als der Gesamt-
bundesrat zu einer Sitzung der Ge-
schäftsprüfungsdelegation gela-
den war.
Dass die Bundesräte dem Parla-
ment unterstellt sind; dass ihr
Vorsitzender nicht über die Köpfe
seiner Kollegen hinweg entschei-
den kann und schon gar kein
Staatsoberhaupt ist – all dies
scheinen Bundespräsidenten für den Augen-
blick eines Jahres schon einmal zu vergessen.
Weniger für Merkel
Nun ist auch Ueli Maurer der Versuchung er-
legen, das Amt auszufüllen, wie es ihm gefällt.
Statt sich damit zu begnügen, seinen Kollegen
an den wöchentlichen Sitzungen das Wort zu
erteilen, plant er eine Ehrenfeier für Klaus
Schwab, der in Davos alljährlich das Weltwirt-
schaftsforum ausrichtet. Die Sonntagszeitung
schrieb, Maurer wolle sich bei Schwab für des-
sen «Lebenswerk erkenntlich zeigen» und
ihm das Schweizer Bürgerrecht verleihen. An
der Zeremonie teilnehmen solle der Bundesrat
in corpore, ganz so, als handelte es sich dabei
um den offiziellen Besuch eines Staatsober-
haupts. Angela Merkel, die deutsche Lands-
frau Schwabs, wird als Regierungschefin in
Bern weniger pompös empfangen.
Was Maurer vorhat, ist aber nicht nur dem
umfassenden Protokollreglement des Bundes
fremd, sondern auch der politischen Kultur
des Landes. Die republikanische Schweiz
kennt keine Orden oder sonstigen Auszeich-
nungen für Verdienste um die Allgemeinheit;
die föderalistische Schweiz vollzieht Einbür-
gerungen nicht auf Bundes-, sondern auf
Gemeindeebene; und die direktdemokrati-
sche Schweiz vertraut auf breite, langwierige
Diskussionen statt auf obrigkeitliche Ein-
schätzungen, um zu entscheiden, was dem
Land dient.
Allerdings ist Maurer nicht der erste Bundes-
präsident, der eine Einbürgerung dazu nutzt,
sich selber in Szene zu setzen. Als die ABB im
Herbst 2016 ihr 125-jähriges Bestehen feierte,
bekam Ulrich Spiesshofer, der deutsche CEO
des aargauischen Weltkonzerns, von Johann
Schneider- Ammann den Schweizer Pass über-
reicht. «Knorrig wie ein Samichlaus» habe der
Bundespräsident «that guy, Uli
Spiesshofer» auf die Bühne ge-
beten, schrieb die Schweiz am
Wochenende damals. Rückblickend
erscheint der Auftritt noch seltsa-
mer, als er an diesem Abend schon
gewirkt haben muss.
Im Dezember 2018 gab Spiess-
hofer den Verkauf der Stromnetz-
sparte an die japanische Hitachi
bekannt; im April 2019 wurde er
entlassen. Inzwischen wird sogar
über eine Aufspaltung der ABB
spekuliert. Abzuwarten bleibt
auch, ob Hitachi den Werkplatz Schweiz ähn-
lich hochhalten wird, wie Schneider-Ammann
dies in seinen Reden tat. Er ist Ende 2018
zurückge treten. Von seinem Präsidialjahr in
Erinnerung geblieben ist nicht sein Auftritt
bei der ABB, so ungewöhnlich dieser gewesen
sein mag, sondern seine verunglückte Rede
zum Tag der Kranken (ironischerweise ein
Anlass, zu dem tatsächlich ein paar Worte des
Bundespräsidenten erwartet werden).
Die Schweiz kennt das Prinzip des rotieren-
den Regierungspräsidiums. Es hat sich be-
währt, weil die Bundespräsidenten ihr Amt
meist so ausfüllten, wie es gedacht ist. Wenn
sie sich hingegen mit immer originelleren
Amtsinterpretationen hervortun, wie wäre es
damit: die Sitzungsleitung dem Bundeskanz-
ler übertragen und sich auf die eigentliche Ar-
beit konzentrieren? Dass Bundesräte freiwillig
auf den Glanz des Präsidiums verzichten wer-
den, ist allerdings nahezu ausgeschlossen
(bislang lehnte noch keiner das Amt ab). Es
bräuchte dafür schon einen «Führungsent-
scheid» – nur diesmal nicht vom Präsidenten,
sondern von den Bürgern. Erik Ebneter
Pompöse Ehrenfeier:
Maurer, Schwab.