Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

36


nerin. Von den neun Kindern zog es keines
langfristig in die Zuger Heimat. Erst Enkel
Andrew Philipp Müller, 1928 auf Tonga ge­
boren, kehrte in die Schweiz – zum Familien­
ursprung – zurück. Sein Sohn Luka repräsen­
tiert nun offiziell Tonga in der Schweiz.
Jetzt stellt mich Botschafter Vogelsanger für
die königliche Audienz vor, die ich mit «Your
Majesty» und einem ehrfürchtigen Nicken
begrüsse. König Tupou VI., mindestens einen
Kopf grösser und doppelt so breit wie ich,
streckt seine Hand entgegen. Ich frage, ob ich
ihn ans Schwingfest begleite dürfe. «Ja», sagt er.

Samstag, 7.15 Uhr _ Ich warte vor der Arena,
bis die Delegation erscheint. Er freue sich aufs

Weltwoche Nr. 35.19
Bild: Charly Keiser (Luzerner Zeitung)

Freitagmorgen, 8.30 Uhr _ «Honorary
Consulate of the Kingdom of Tonga» steht auf
dem Schild vor einer integrierten Zürcher
Anwalts­, Steuer­ und Compliance­ Unter­
nehmung. Drinnen empfängt mich ein junger
Anwalt und führt mich durch die Büros. Seine
Kollegen weisen ihn auf die Krawattenpflicht
hin, schliesslich komme ein König.
«Noch fünf Minuten», heisst es. Martin
Eckert, Mitgründer der Firma, steht auf und
informiert: «Den König spricht man mit ‹Your
Majesty› an, danach genügt ein leichtes Ver­
beugen.» Dann liege es am König, ob er einem
die Hand reicht oder nicht.


9.00 Uhr _ Luka Müller, ebenfalls Mit gründer
und Ehemann von Fernsehmoderatorin und
Sängerin Sandra Studer, betritt den Raum, be­
gleitet von einem Hünen, dem er einen Platz
anbietet mit einem Schild davor – «King of Ton­
ga» –, daneben sitzt Botschafter David Vogel­
sanger, der in Neuseeland stationiert und für
Tonga zuständig ist. Müller führt ein: «142 Kilo,
198 Zentimeter und Schuhgrösse 51», so lasse
sich Christian Stucki, der Berner Schwingerkö­
nig­Anwärter, umschreiben. «Das aber könn­
te», fährt er fort und blickt zum Ehrentisch,
«auch der König von Tonga sein.»
«Mein Urgrossvater», fährt er fort, «steht am
Ursprung für meine tongaischen Wurzeln.»
1885 erreichte Philipp Gotthard Müller die süd­
pazifische Insel und heiratete eine Inselbewoh­


Der andere König


Das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest in Zug setzte neue Massstäbe.


Ein Monarch aus Übersee beobachtete das Geschehen live. Wir begleiteten den König von Tonga


während dreier Tage und führten ihn in das Brauchtum ein. Von Roman Zeller


Prominente


Fürst bei den Eidgenossen


Wie sich am Eidgenössischen Albert von Monaco nach einem Bier
sehnte und warum Büezer Gölä plötzlich CS-Chef Tidjane Thiam
umarmte. Von Thomas Renggli

A

m Sägemehl sind alle gleich. Es gibt kei­
ne gesellschaftlichen Grenzen oder
Standesdünkel. Man duzt sich, auch wenn
man sich vorher noch nie begegnet ist und
nachher nie mehr sehen wird: «Das Schwin­
gen hat Wurzeln und Flügel», spricht der
Zuger Landammann Stephan Schleiss in
seiner Ansprache am offiziellen Empfang
im siebzehnten Stock des Uptown­Hoch­
hauses – und ruft dann quasi zum Separatis­
mus auf: «willkommen im Freistaat Zug.»

aber ohne Playback­Unterstützung als musi­
kalisch eher schmalbrüstig.
Derweil schaut Bundespräsident Ueli Mau-
rer immer wieder zum Fernsehapparat: «Ich
bin wegen des Schwingens hier und nicht we­
gen des Apéros.» In der ersten Reihe vor dem
Bildschirm steht Fürst Albert von Monaco mit
einem Baarer Bier in der Hand. Dass er endlich
zum Trinken kommt, darf er als persönlichen
Erfolg werten. Denn vor lauter Händeschüt­
teln und Fotoaufnahmen befand er sich zuvor
gastronomisch schwer im Abseits.

«Alle sind glücklich»
Seine Durchlaucht fand den Weg durch Ver­
mittlung von Künstler Stephan Schmidlin
und Ex­Bobfahrer Christian Meili ans Eidge­
nössische. «Ich wollte das schon immer einmal
sehen», sagt Albert gutgelaunt und lobt die
Schweiz für ihre Festkultur: «Ich war bereits

«Wrestling», sagt der König, der schräg vor
dem Bundespräsidenten sitzt. Um 7.50 Uhr er­
tönt die Nationalhymne. Ich, zehn Plätze ent­
fernt, beobachte, wie Tupou VI. aufsteht und
seinen Safarihut zieht. Durch den Feldstecher
kann er verfolgen, wie Joel Wicki das Publi­
kum in Ekstase versetzt. «Your Majesty», be­
ginne ich das Gespräch. «Was war Ihr High­
light?» Keine Antwort. «Die Nationalhymne,
gesungen von 56 000 Zuschauern?» – «Wrest­
ling», erwidert er kurz angebunden.
Wir spazieren übers Festgelände. Unauffällig.
Müller unterhält den König, wir gehen an den
Essständen vorbei. 10.15 Uhr. Müller: «Who
wants a Swiss sausage?» – sieben Leute. Bot­
schafter Vogelsanger fragt: «Ohne Brot?» «Das
sind Tongaer», entgegnet Müller und reicht
dem König seine Bratwurst, die ihm – wie er sagt


  • vertraut schmecke. Nachdem der Hunger ge­
    stillt ist, begeben wir uns in den Lift zum
    «Schwingerstübli», Etage siebzehn. Oben ange­
    kommen, zeigt Müller dem König ein Festzelt
    am Zugersee. Dort finde am Abend das exklu­
    sive Privatdinner statt – fern der Öffentlichkeit,
    wie auch der Rest des Tagesprogramms.


Sonntagmorgen, 7.45 Uhr _ Beginn des Aus­
stichs. Wo steckt der König? Ich frage ich
Freunde von Müller, ob die gestrige Party aus­
ge ufert sei. Sie berichten von einem schönen,
lockeren Abend, bei dem auch Fürst Albert II.
Bundesrat Maurer, König von Tonga, Fürst von Monaco. von Monaco anwesend war, in einem schwarz­

Sein Publikum ist vielschichtig und hoch­
karätig: vom König von Tonga über Fürst
Albert von Monaco bis zu CS­CEO Tidjane
Thiam quasi als Vertreter des Finanz­Adels.
Der Mann von der Elfenbeinküste kennt kei­
ne Berührungsängste. Zum Foto stellt er sich
zwischen die helvetischen Sägemehl­Barden
Gölä und Trauffer und lacht mit freundeid­
genössischer Herz lich keit in die Kameras.
Die beiden Sänger hatten zuvor einen kurzen
Auftritt im Akustik­ Jodeln – erwiesen sich
Free download pdf