Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

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bracht, wo ihm die Anklage (Kindersex handel)
verlesen wurde. Bei seiner richter lichen Ver-
nehmung am darauffolgenden Montag, dem


  1. Juli 2019, wurde Haftverschonung abgelehnt.
    Epstein, geboren am 20. Januar 1953 auf
    Coney Island, wuchs in einer Familie der Mittel-
    schicht auf. Zusammen mit seinem jüngeren
    Bruder Mark verbrachte er seine Kindheit in der


kleinen Siedlung Sea Gate am äussersten west-
lichen Ende von Coney Island. Er besuchte
mehrere staatliche Schulen – Public School 188,
Mark Twain Junior High School und Lafayette
High School, wo er als Sechzehnjähriger den
Abschluss machte, zwei Jahre vor dem in den
USA üblichen Alter. Schon früh hatte er sich als

begabter Pianist erwiesen und als jemand, der
gut mit Zahlen umgehen konnte.
Die beiden Brüder hatten ein enges Verhält-
nis. Ihr Vater, Seymour G. Epstein, war Gärtner
im Dienst des New York City Department of
Parks and Recreation, die Mutter Pauline war
Hausfrau. Es waren keine privilegierten Ver-
hältnisse, in die Epstein hineingeboren wurde.
Als junger Mann besuchte er zwei Colleges in
Manhattan – Cooper Union und das Courant

Weltwoche Nr. 35.19
Bilder: Jae Donnelly (The Sun, News Licensing), Twitter

er Epsteins Ex-Freundin, die Ärztin und Miss
Schweden 1980 Eva Andersson.
Andersson hatte Medizin am angesehenen
Karolinska-Institut in Stockholm studiert.
Interessanterweise wurden in diesem For-
schungskrankenhaus kürzlich Testversuche
für einen Testosteron- Blocker eines Schweizer
Pharmaunternehmens durchgeführt, der bei
der Therapie von Pädo philen eingesetzt
werden sollte. In den USA ist die Ver-
wendung von Testosteron- Blockern bei
Häftlingen und Patienten verboten,
doch mit Blick auf die langfristigen
Auswirkungen von Pädophilie sollte
eine sorgfältige Neubewertung des
Medikaments erwogen werden.
Im Jahr 2003 fungierten Harvey
Weinstein und Jeffrey Epstein als In-
vestoren bei dem erfolglosen Versuch,
das New York Magazine zu kaufen. Ein
bekannter Hollywoodproduzent und
Freund von Epstein sagte, dieser habe
Weinstein und andere Produzenten
auch bei diversen Filmprojekten dis-
kret finanziell unterstützt. Genauere
Details wollte er nicht nennen, aber er
meinte, dass Hollywood aus eben-
diesem Grund die Finger von der
Epstein-Story liess, die ich 2010 im
Daily Beast publik gemacht hatte.


Begabter Pianist, gut mit Zahlen


Seit seiner Verhaftung im Jahr 2005
und seiner anschliessenden Anklage im
Jahr 2007 waren die Mainstream-
Medien davon abgehalten worden, den
Umfang des Epstein- Strafverfahrens
offenzulegen, einschliesslich der Iden-
ti fizierung hochkarätiger Personen, die
in die Geschichte verwickelt sind.
Nach dem mutmasslichen Selbstmord
wurde Epstein am 10. August um 6.30 Uhr im
Metropolitan Correctional Center (MCC), einem
Hochsicherheitsgefängnis, für tot erklärt. Im
selben Trakt, nur drei Zellen entfernt, hatte
Joaquín «El Chapo» Guzmán, der berüchtigte
mexikanische Drogenbaron, eingesessen.
Eine Foto, am frühen Morgen aufgenommen,
zeigt Epstein auf einer fahrbaren Trage, die von
vier Sanitätern der New Yorker Feuerwehr aus
dem Gefängnis geschoben wird. Epstein war in
dem Moment offenbar noch am Leben. Er hatte
eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, und er
lag nicht in einem Leichensack, wie sonst
üblich, wenn ein Gefangener in der Haft stirbt.
Nur einen Monat zuvor, am Samstag, dem



  1. Juli 2019, war Epstein unmittelbar nach sei-
    ner Rückkehr aus Paris ein zweites Mal verhaf-
    tet worden. Während er, noch an Bord seiner
    G550, in Teterboro, einem Privatflughafen in
    New Jersey, auf die Zollabfertigung wartete,
    umstellten mehrere Beamte von FBI und
    Grenzpolizei sein Flugzeug und nahmen ihn
    fest. Anschliessend wurde er in das MCC ge-


Institute, ohne das Studium mit einem akade-
mischen Grad abzuschliessen.
Abgesehen von seiner Freundschaft mit Les-
lie Wexner und seiner anfänglichen Investi-
tion von einer Milliarde Dollar in den frühen
1980ern und desnTransfers mehrerer Ver-
mögenswerte ist unklar, wie Epstein sein Ver-
mögen zusammentrug. Wexners Vermögens-
gegenstände wurden zu einem nomi-
nellen Preis an Epstein abgetreten – da-
runter eine Boeing 727, die Stadtresi-
denz in Manhattan, ein Appartement
in der Avenue Foch in Paris, die Pri vat-
insel Little Saint James, die zu den Ame-
rikanischen Jungferninseln gehört, so-
wie die Zorro-Ranch in New Mexico.

Jagd auf junge Models
Nachdem Epstein in der Mitte der 1980er
zu Geld gekommen war, fungierte sein
Bruder Mark, obschon kein offizieller
Geschäftspartner, als Manager einiger
Immobilienholdings von Jeffrey, darun-
ter die berüchtigte Stadtresidenz 301 East
6 6th Street, wo mehrere Mädchen nach
ihren eigenen Angaben von Politikern
und Geschäftsleuten, die mit Epstein be-
freundet waren, missbraucht wurden.
Mark Epsteins New Yorker Immobilien-
firma Ossa Properties war zumindest
auch an diesem Anwesen beteiligt.
In einem Interview mit dem Wirt-
schaftsjournal Crain’s New York Business
bestritt Mark Epstein unlängst jede
Verbindung zwischen Ossa Properties
und dem Unternehmen seines Bru-
ders, J. Epstein & Co. Die Information,
er sei Miteigentümer des Anwesens in
der East 66th Street, bezeichnete er als
«falsch». In einem später erschiene-
nen Artikel schrieb das Wall Street Jour-
nal, dass «die beiden [Epsteins] tatsächlich
Geschäftspartner waren».
Ungeachtet seiner fragwürdigen Geschäfts-
praktiken, seiner erratischen Karriere und
seiner geschäftlichen Beziehungen umgab
sich Jeffrey Epstein mit einem Netzwerk von
mächtigen Partnern und Politikern, welche
seine Finanzstruktur schützten, förderten
und mittrugen, was ihm erlaubte, seine In-
vestitionstätigkeit weiter fortzusetzen und
jahrzehntelang wie ein König zu leben – aus-
serhalb von Gefängnismauern.
Epsteins Verfehlungen beginnen in den
späten 1970ern, vielleicht auch schon früher,
jedenfalls lange vor meinen zehnjährigen
Recherchen (2009–2019) und meiner Be-
kanntschaft mit ihm.
Seine berufliche Karriere begann, kurz nach-
dem ihn die Dalton Academy, eine elitäre
Privatschule in Manhattans Upper East Side,
entlassen hatte. Während seiner kurzen Tätig-
keit dort als Mathematik- und Klavierlehrer
(1974–1976) lernte er einen jungen Schüler

Nur drei Zellen entfernt
hatte Drogenbaron «El Chapo»
Guzmán eingesessen.

... und mit Ex-Präsident Bill Clinton (r.), 2002.


Epstein (r.) mit Prinz Andrew, 2011...
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