Weltwoche Nr. 35.19 45
Bild: zVg
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork
Conchita Sarnoff ist Autorin von
«TrafficKing», dem ersten Buch, das
über den Fall Jeffrey Epstein
veröffentlicht wurde. Als investigative
Journalistin hat Sarnoff während
zehn Jahren die dunkelsten Winkel der
Korridore der Macht, von Harvard bis
zum Weissen Haus ausgeleuchtet.
Im Zentrum der Erkundung stand
Jeffrey E. Epstein, ein pädophiler Milliardär,
Wall-Street-Hedgefonds- Manager und registrierter
Sexualstraftäter. Trotz offerierter Bestechungsgeldern
beschloss sie, nicht zu schweigen. Um die brutale Realität
des Menschenhandels und das Ausmass des Falls Epstein
aufzuzeigen, riskierte sie ihr Leben. Für ihre Recherche
interviewte Sarnoff zahlreiche Opfer und Epstein selbst.
2010 veröffentlichte sie in The Daily Beast als erste
Journalistin Einblicke in das Netzwerk Epsteins. Kürzlich
wurde «TrafficKing» zur Verfilmung für das Fernsehen
freigegeben. Heute ist Sarnoff Geschäftsführerin der
Alliance to Rescue Victims of Trafficking, die sich um
Opfer von Menschenhandel kümmert. Sie ist ausserdem
Gründerin des Forschungszentrums
Menschenschmuggel an der Georgetown University.
Die US-Amerikanerin hat zwei Kinder und lebt
in Washington, D. C.
http://www.conchitasarnoff.com
Inside Washington
Maxwells
Geheimnisse
Jeffrey Epstein ist tot.
Promis wie Bill Clinton
leben in Furcht.
I
m gesamten politischen Spektrum hat
der Selbstmord des Sexraubtiers Jeffrey
Epstein in einer Gefängniszelle in Manhat-
tan weltweit zu Gerüchten geführt. Zu viele
mächtige und einflussreiche Verbündete
des millionenschweren Pädophilen konn-
ten von seinem vorzeitigen Tod profitieren.
Während Epstein viele seiner schmutzi-
gen Geheimnisse mit ins Grab genommen
hat, entgehen die Männer und Frauen sei-
ner korrupten Welt einem Urteil nicht.
Prinz Andrew brach letzte Woche sein
Schweigen über den Tod seines lang-
jährigen Freundes. Der Royal traf Epstein
über dessen Gespielin, Madame Ghislaine
Maxwell, Ende der 90er Jahre. Er streitet
jedes Fehlverhalten ab.
Der als «Randy Andy» bekannte Playboy-
Prinz behauptet mit seiner sorgfältig for-
mulierten Aussage: «Zu keinem Zeitpunkt
in der begrenzten Periode, die ich mit ihm
verbracht habe, sah oder vermutete ich ein
Verhalten dieser Art, das später zu seiner
Verhaftung und Verurteilung führte.» Star-
anwalt Alan Dershowitz ist überzeugt, dass
seine Verbindung zu Epstein nur profes-
sionell war. Der Harvard-Professor hat sich
in den Nachrichten erklärt, um seiner Frau
seine Unschuld und Treue zu beteuern.
Ex-Präsident Bill Clinton, für den Treue
eine flexible Angelegenheit ist, behauptet,
nur viermal im Privatjet des Pädophilen,
dem «Lolita Express», geflogen zu sein.
Flugprotokolle deuten indes darauf hin,
dass der Politiker mindestens zwei Dutzend
Mal an Bord war.
Ghislaine Maxwell hatte Epsteins Netz-
werk von minderjährigen Opfern rekru-
tiert. Sie nannte die Mädchen «nubiles».
Epstein mag tot sein, aber viele seiner Ge-
heimnisse leben noch mit ihr. Seine Assis-
tentin wurde zuletzt in einer Fastfood-Bar
in Los An geles gesehen. Amy Holmes
kennen, Ted Greenberg. Dessen Vater, «Ace»
Greenberg, war ein Schwergewicht in der Welt
der Investmentbanker und später Chef von
Bear Stearns in New York.
«Ace» fand Epstein, der seinem Sohn zu
Hause Mathematiknachhilfe gab, sofort sym-
pathisch. Schon bald gab er ihm einen Job als
Junior Trader in der Abteilung für Optionen
seines Unternehmens. Das war 1976. 1981 stieg
Epstein zum Geschäftspartner auf, wurde aber
schon bald wegen Insiderhandels gefeuert.
Bear Stearns strengte keine Klage gegen
Epstein an, aber seine Karriere in dieser Invest-
mentbank war damit zu Ende. 2009 erfuhr ich
von einer Zeugin, einem früheren Model, dass
Epstein schöne junge Models (durchweg
volljährig) in New York für Geschäftszwecke
anbot. Ihre beste Freundin und Mitbewohne-
rin bestätigte diese Information.
Zuerst freundete sich Epstein mit den jungen
Models an, lud sie zu Partys und Dinners ein
und bot sich als Finanzberater an. Er machte
Vorschläge, wie sie mit Hilfe bestimmter Inves-
titionsstrategien ihre Einnahmen verdoppeln
konnten. Er verlangte dafür ihre Sozialver-
sicherungsnummer und einen Betrag in Höhe
von 10 000 Dollar. Die jungen Models, die oft
wenig vom Geschäftsleben und noch weniger
von Investitionen verstanden, liessen sich meist
auf Epsteins Bedingungen ein.
Er versprach ihnen die Rückzahlung der
zehntausend Dollar innerhalb kurzer Zeit
plus die Hälfte des erzielten Gewinns. Die an-
dere Hälfte würde er als «Kommission» einbe-
halten. Diese Vorfälle erklären, wie er aufflog
und seinen Job bei Bear Stearns verlor.
Offenbar dauerte diese Praxis mehrere Jahre.
Es erklärt auch, warum Epstein sich zu Beginn
seiner Karriere mit jungen Models umgab.
Vielleicht erklärt es auch, warum er sich mit
Donald Trump anfreundete, der von 1996 bis
2015 Eigentümer des Miss-Universe-Schön-
heitswettbewerbs war. Seine Jagd nach Opfern
verlief in vertrauten Bahnen.
2004 bot sich für Epstein eine neue Ge-
legenheit, mit jungen Models Geschäfte zu
machen. Er stellte dem Franzosen Jean-Luc
Brunel eine Million Dollar für die Gründung
einer Model-Agentur zur Verfügung. Brunel,
Mitbegründer der Model-Agentur MC2, hat
Büros in Florida, New York und Tel Aviv.
Indem Epstein in MC2 investierte, konnte er
ungehindert junge Mädchen akquirieren, sie
durch die ganze Welt transportieren, sie in
seiner Villa einquartieren und mit dem Ver-
sprechen einer Model-Karriere locken.
Zurück zu Bear Stearns. Obwohl Epstein
dort rausgeflogen war, unterhielt er weiterhin
enge Beziehungen zu Greenberg und Jimmy
Cayne, dem zeitweiligen CEO. Cayne, bekannt
als der erste CEO der Wall Street, der «Firmen-
aktien im Wert von mehr als einer Milliarde
Dollar besass», gilt in der Wall Street noch im-
mer als mythische Figur. 2007 (noch vor dem
Finanz- Crash von 2008) wurde gemeldet, dass
er seine gesamten Firmenanteile für 61 Millio-
nen Dollar verkauft habe.
Mit Leslie Wexner freundete sich Epstein
während seiner kurzen Zeit bei Bear Stearns an.
Wexner, Gründer und CEO von L Brands und
Eigentümer von Victoria’s Secret und vielen an-
deren amerikanischen Marken, war ein über-
zeugter Republikaner und einer der angese-
hensten Multimillionäre. Bis 2018 unterstützte
er die Republikanische Partei mit grosszügigen
Spenden, wandte sich dann jedoch der Ame-
rican Independent Party zu.
Wexner und Epstein wurden schon bald
enge Freunde. Epstein war es auch, der
Wexner mit Abigail Koppel bekannt machte,
dessen heutiger Ehefrau. Mrs Koppel, eine
Anwältin, ist die Mutter ihrer vier Kinder.
Derzeit wird gegen Wexner ermittelt.
Wall Street war schon immer eine geschlos-
sene Welt. Epstein selbst war zwar kein In sider,
aber er war gut mit Insidern bekannt. In Wall
Street führt eine Freundschaft zur anderen. Für
Akteure, die am Rand operieren, und für ein-
geführte Firmen wie Bear Stearns galt das mit
Sicherheit. In der goldenen Ära der Finanzwelt
soll «Ace» Greenberg die meisten seiner neuen
Mitarbeiter als «P. S. D.’s» bezeichnet haben –
arm, smart und benachteiligt. Für Epstein tra-
fen alle drei Charakterisierungen zu.
Als Mensch, der vielen jungen Frauen und Er-
wachsenen zu einem besseren Leben hätte ver-
helfen können, verlor Epstein seinen morali-
schen Kompass. Und wie Ikarus, der allzu hoch
hinauswollte, erlebte er einen tiefen Sturz.
Er hätte vielen helfen können,
doch Epstein verlor seinen
moralischen Kompass.