Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

48 Weltwoche Nr. 35.19
Bilder: Karwai Tang (WireImage, Getty Images), Samir Hussein (WireImage, Getty Images), Chris Jackson (WPA Pool, Getty Images)


In einer Rede, die sie 1992 hielt, bezeichnete
die Queen das vergangene Jahr rückblickend
als ihr annus horribilis – ein Jahr der Desaster.
Es war das Jahr, in dem der Prince of Wales
sich von Diana trennte, die ihrerseits an einer
Biografie mitgearbeitet hatte, die sich eher als
Autobiografie entpuppte. Darin stellte sie
sich mit gutem Grund als das betrogene Opfer
eines herzlosen Kerls und seiner kalten Fami-
lie dar. Bilder von Sarah Ferguson, der Ehe-
frau von Prinz Andrew, die sich von ihrem
«Finanzberater» die Zehen lutschen liess,
waren in allen Medien. Überdies hatte ein
Brand in Windsor Castle – einer der acht kö-
niglichen Residenzen der Queen – grosse Tei-
le des Schlosses zerstört und einen Schaden
von fast 55 Millionen Franken angerichtet.
Die Queen mag geglaubt haben, ihre Küm-
mernisse damit hinter sich gebracht zu haben.
Aber die öffentliche Abneigung gegen die bri-
tische Monarchie nahm in den folgenden Jah-
ren weiter zu. Die leidenschaftliche Diana –
fortwährend Leprakranke umarmend oder
nach Landminen Ausschau haltend – erinner-
te uns ständig daran, warum wir uns über das
Königshaus nicht länger nur ärgerten, son-
dern es nun hassten, weil es sein einziges lie-
benswertes Wesen vertrieben hatte.
Die Vorurteile erreichten mit Dianas Tod
1997 ihren Höhepunkt, als die Königin zur
Zielscheibe des öffentlichen Zorns wurde,
weil sie entschieden hatte, in Schottland zu
bleiben, statt in den Buckingham-Palast zu-
rückzukehren und an dem Trauer-Tsunami
teilzunehmen, der London erfasst hatte. Tau-
sende waren angereist, um Diana die letzte
Ehre zu erweisen. Mehr als eine Million Men-
schen säumten die Trauerroute, zwei Milliar-
den schalteten sich weltweit zu. Auf Dianas
Sarg lag zwischen den Blumen einzig ein klei-
ner weisser Briefumschlag mit der Aufschrift
«Mummy». Ihre beiden Söhne gingen hinter
dem Sarg.
Ihretwegen beschlossen wir Medienschaf-
fenden einen Waffenstillstand im Windsor-
Krieg. Wann immer wir versucht waren, Prinz
Charles zu peinigen, selbst als er die Frau hei-
ratete, die ihm geholfen hatte, Dianas Leben
auszuhöhlen, dachten wir an die Kinder. Als
Prinz William immer mehr aussah wie Diana
und Prinz Harry immer mehr handelte wie
sie, vergassen wir beinahe, wie wütend wir
auf die Familie gewesen waren. Dann wurden
die Buben erwachsen, und eine Reihe hüb-
scher Hochzeiten und entzückender Klein-


kinder schienen die öffentliche Unzufrieden-
heit endgültig besiegt zu haben.
Dieser stürmische Sommer 2019 veränderte
etwas. Die Queen mag geglaubt haben, schlim-
mer als 1992 und 1997 könne es nicht kommen,
aber wie der alte Song sagt: «You ain’t seen
nothin’ yet!», was so viel heisst wie «Das war
noch gar nichts!».

Konstante rhetorische Beträufelung
Im Januar war Prinz Philip, der 98-jährige
Ehemann der Queen, als Fahrer in einen
Autounfall verwickelt; die Fahrerin des
Wagens, mit dem er kollidierte, musste ins
Krankenhaus. Im Juni mähte ein Polizei-Kon-
voi, der Prinz William und seine Frau eskor-
tierte, eine 83-jährige Frau nieder. Ebenfalls
im Juni warnte Prinz Charles in einer Rede,
«dass die nächsten achtzehn Monate über
unsere Fähigkeit entscheiden werden, den
Klima wandel in einem solchen Ausmass zu
halten, dass wir ihn überleben können, und
die Natur wieder in das Gleichgewicht zu
bringen, das wir für unser Überleben benöti-
gen». Kurz danach wurde enthüllt, dass sich

der CO 2 -Fussabdruck der königlichen Fami-
lie in den letzten achtzehn Monaten nahezu
verdoppelt hatte.
Dennoch mutet die erste Hälfte von 2019,
verglichen mit den heutigen Problemen der
Familie, wie eine königliche Gartenparty an.
Harry und Meghan benutzten vier private Jets
in elf Tagen, nachdem sie uns einen Sommer
lang Lektionen über den Klimawandel erteilt
und sich geweigert hatten, ihr Kind dem zah-
lenden Publikum zu zeigen. Das war kurz
nach Harrys Spritztour zum Klimawandel-
gipfel von Google, für die er vermutlich eben-
falls einen Helikopter benutzte, wie er das ge-
wöhnlich für Kurzstrecken tut, während sich
die Queen mit dem Zug begnügt.
Dass ausgerechnet eine notorisch selbst-
süchtige und schlechtgelaunte Figur wie Elton
John Harry und Meghan verteidigte, half
nicht. Es machte nur noch deutlicher, dass die
Sussexes sich eher als internationale Stars
denn als öffentliche Bedienstete unseres Staa-
tes begreifen. Aber immerhin ist ihre junge
Liebesehe in keiner Art schmierig – für diese
Seite der Dinge sorgt kompetent Prinz

Alibi des göttlichen Rechts


Prinz Andrew verstrickt sich im Epstein-Skandal. Prinz Charles hält scheinheilige Klimapredigten.


Harry und Meghan brauchen vier Privatjets in elf Tagen. Die arme Queen fragt sich in schlaflosen Nächten,


warum ihr ein derart unnützer Haufen Heuchler beschert wurde. Von Julie Burchill


Zu lange in Schottland geblieben: Queen mit Gatte.

Partys mit einem Zuhälter: Prinz Andrew. CO2-Fussabdruck verdoppelt: Prinz Charles.
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