Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

Weltwoche Nr. 35.19 49
Bild: Samir Hussein (WireImage, Getty Images)


Institution, die danach zu beurteilen sei, was
sie zum Dienst an der Öffentlichkeit und zum
Gemeinschaftsgefühl beitrage». Die Kehr-
seite davon ist, dass den Windsors nicht wie in
der Vergangenheit mehr das Alibi des gött-
lichen Rechts gewährt wird. Sie werden viel-
mehr nach ihrem Verhalten beurteilt – eine
Abteilung, in der sie heute an allen Ecken zu
versagen scheinen.

Gnadenlose Entlarvung
Dennoch waren Berichte über den Tod des
Hauses Windsor masslos übertrieben. Als ich
in den Siebzigern aufwuchs, gab es ein schot-
tisches Parlamentsmitglied der Labour Party
namens Willie Hamilton, der von seinem
Bezirk offenbar mehrfach wiedergewählt
wurde, um die Windsors im Fernsehen zu
beschimpfen. Prinzss Margaret war «ein
Flittchen», Prinz Charles «ein blöder Heini»,
sogar die Queen wurde als «Aufziehpuppe»
gebrandmarkt. Heute gibt es keine vergleich-
baren republikanischen Hardiner unter den
öffentlichen Figuren mehr. Die Politiker
haben das öffentliche Vertrauen zunehmend
verloren, weil sie sich als genauso lüstern,
faul und verlogen wie die Schlimmsten unter
den Windsors erwiesen mit ihren Spesen-
skandalen und ihrer Unfähigkeit, eine ein-

fache demokratische Entscheidung zu fällen.
Die Idee, dass wir freudig einen von ihnen
zum Präsidenten wählen würden, scheint et-
wa so wahrscheinlich wie die Vorstellung,
dass sich die Pferde, die vor die königliche
Kutsche gespannt werden, in fliegende Ein-
hörner verwandeln.
Aber es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass
diese Haltung ewig andauern wird. Die kö-
nigliche Familie galt in diesem Land immer
als einigende Kraft, während Politiker ihrer
Natur nach entzweiend sind. Inzwischen
allerdings ist das Benehmen von Charles,
Andrew, Harry und Meghan Thema von Mil-
lionen hitziger Arbeitspausendiskussionen.
Die Queen fragt sich vermutlich bei ihren
nächtlichen Gebeten zu der Gottheit, deren
angeblichen Segen sie so ernst nimmt, was
um Himmels willen sie getan habe, um einen
derart unnützen Haufen egoistischer Ange-
ber zu verdienen.
Doch vielleicht weiss es die anständige
Frau, die sie ist, schon lange und will es ein-
fach nicht wahrhaben. Ein Königshaus ist per
Definition einfach ein Trupp von Leuten, die


  • trotz allem Pomp und allen Gefühlen, die
    um sie herum aufgebaut werden – schmutzi-
    ger und härter kämpften als alle andern, um
    ihre Vormachtstellung im Land zu erreichen
    und zu festigen. Das ist der Grund, weshalb
    trotz des unbestreitbaren Pflicht gefühls der
    Queen die Monarchie ihr wirk liches Gesicht
    dann zeigt, wenn sie sich schlecht benimmt.
    Prinz Charles, Prinz Andrew, Prinz Harry und
    seine amerika nische Frau sind nicht die Aus-
    nahme. Historisch gesehen sind sie die Norm:
    anmassend, habgierig und vor allem schein-
    heilig.
    Die Queen erfüllte ihre Pflichten bewun-
    dernswert. Aber sie machte einen einzigen
    grossen Fehler, und er bestand nicht darin, zu
    lange in Schottland geblieben zu sein. Es war
    der, ihre Untertanen glauben zu machen, die
    Monarchie sei naturgemäss so bescheiden,
    hart arbeitend und selbstverleugnend wie sie
    selber. Aber das war immer schon eine Lüge,
    die zurzeit gerade gnadenlos entlarvt wird.
    Eine alte Redewendung besagt: «Keine
    gute Tat bleibt unbestraft.» Indem sie so her-
    vorragende Arbeit leistete, die Monarchie re-
    spektwürdig erscheinen zu lassen, und uns
    dazu brachte, die Royals an ihren eigenen
    hohen Standards zu messen, entfachte die
    Queen unabsichtlich ein Feuer, dass jeden
    Tag auflodern kann.


Spritztour zum Klimawandelgipfel: Prinz Harry, Ehefrau Meghan.


Andrew, der sich schwertut, genau zu er-
klären, warum er es für angemessen hielt,
freundschaftlichen Umgang mit dem verur-
teilten und jetzt verstorbenen Pädophilen
Jeffrey Epstein zu pflegen. Selbst wenn der
Duke völlig unschuldig ist und keinen Sex
mit minderjährigen Mädchen hatte, sieht es
nie gut aus, mit einem Zuhälter Partys zu
feiern. Und all das vor dem Hintergrund
einer konstanten rhetorischen Beträufelung
durch Prinz Charles, der uns erzählt, wie
grausam die menschliche Rasse ist!
Was die drei sehr unterschiedlichen Prinzen
gemeinsam haben, ist ihre Heuchelei. Eine
Heuchelei, die der Prüfung durch das grelle


Licht der heutigen 24-Stunden-Medien, ob
soziale oder andere, nicht standhalten kann.
2012 sagte der Verfassungsexperte Vernon
Bogdanor, die Queen habe ihre Herausforde-
rungen erfolgreich überlebt, indem sie den
Wandel «von einer magischen Monarchie zu
einer Monarchie im öffentlichen Dienst» voll-
zogen habe, «einer sehr viel utilitaristischen


Die Monarchie zeigt dann ihr


wirkliches Gesicht, wenn sie sich


schlecht benimmt.


Aus dem Englischen von Beatrice Schlag
Julie Burchill, 60, arbeitet seit ihrem 17. Altersjahr
als Autorin. Heute ist sie Kolumnistin des Sunday
Telegraph. Ihre Hobbys sind Boshaftigkeit, Philanthropie
und das Studium von modernem Hebräisch.
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