Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

59 Weltwoche Nr. 35.19
Illustration: Wieslaw Smetek; Bild:


E

wig blauer Himmel. 26 Grad. Palmen.
Pazifik. «Niemand weiss Bescheid!»,
seufzte Drehbuch-Guru William Goldman,
87 plus, vor dem Fade-out. «Die Suche nach
dem heiligen Gral», philosophiert Nicolas
Cage. «Wir produzieren Träume für kleine
Penisse!», brummt ein Filmboss. «Der
Traum vom Glück!», lächelt Legende Kirk
Douglas, 102, bevor mittags sein
Personaltrainer klingelt. Hollywood ist das
Epi zentrum unserer Kinoträume – das
Sprungbrett unserer Fluchten. Eine
«Dreissigmeilenzone» (Tmz.com) voller
Talente. Eine Schlangengrube aus Gier, Geld
und Sex. Ein Babylon, das um 5.30 Uhr auf-
steht. Ein Mekka der Selbstoptimierung. Eine
Daily Show, die schon beim «Hello» lügt.

Diese neue Weltwoche-Kolumne soll Ihr
Schlüsselloch sein zu dieser irre wunder-
baren Welt des Seins, des Scheins und der
Sehnsüchte. Kino zum Lesen. Es wird dun-
kel. Vorhang auf. Lehnen Sie sich zurück.
Menschen zaubern Hollywood.

Filmfestspiele Cannes – das «Hollywood
d’Azur»! Hundert Stars, tausend Holly-
wooder, 5000 Journalisten, 10 000 Film-
Profis – zwölf Nächte und Tage Irrsinn. Es
regnet. Mitternacht. Ich sitze mit einem
Oscar-Star auf der leeren Terrasse des
«Charlton»-Hotels. Er bestellt einen Rot-
wein für 2000. Wir trinken auf das Leben.
Er sagt: «Norbert – ich habe Krebs!» Stille
und Regentropfen. «Aber es war ein wun-
derschönes Leben.. .» Und er lebt noch
heute.

«The Beverly Hills Hotel». Bungalow 7 B.
Nach dem letzten, leider enttäuschenden

Oscar schlendere ich mit coffee to go zum Pool
(unter Wasser: klassische Musik – oder mexi-
kanische). Der Manager lächelt: «Sie sind der
allerletzte Gast, der im Original-Bungalow
von Marilyn Monroe, 37 plus, geschlafen hat!
Wir renovieren alles neu! Muss sein!» Me-
lancholie? Lachen! Das Neue schlägt das Alte.
Hollywood ist ewige Neugeburt. Würde
Shakespeare heute leben – dann in L. A. Leo
DiCaprio, 44 («Titanic»), der hier geboren
wurde und eine deutsche Hippie-Mutter hat
(sie taufte ihn Leonardo, als sie schwanger vor
einem da Vinci stand), sagt mir: «Ich halte
Kino für die grösste Kunstform, die es heute
gibt!» Hollywood ist der Kino-Louvre der
Menschheit. Hollywood ist die Traumfabrik
für Milliarden. Als ich mich vor dreizehn Jah-
ren in Hollywood verliebte, lag ich auch am
Pool – im coolen weissen In-Hotel «Mon-
drian» (sunset, Traumblick über L. A., nicht so
preisintensiv). Eine herrliche Woche lang
wartete ich an der Sky Bar bei Budweiser auf
den grössten Star der Welt – Tom Cruise, der
Fünf-Milliarden-Kino-Kasse-Mann. «Warten
auf Tom Cruise» ist existenzieller Holly-
wood-Way-of-Life. Ich war Vize-Chefredaktor
von Bild – und kümmerte mich – als Hobby –
um die Kinoseiten –, als ein Fax eintraf: «Tom
Cruise würde Sie gerne treffen – in Los An-
geles.»
Wer? Wann? Warten! Regie-Genie und
Holly wood-King Steven Spielberg («Schind-
ler’s List» etc.) drehte mit Tom den faszinie-
renden SF-Thriller «War of the Worlds». Jeden
Tag brachte ein Chauffeur DVDs von Tom – ich
guckte mich filmsüchtig (lange vor Netflix).
Meine Frau rief an (im Jahre fünf des iPhone):
«Was machst du denn da in Hollywood?» Ich:
«Warten auf Tom C.!» Aber ich hatte auch
schon in Beirut einen Monat auf Terrorgeiseln
gewartet. Hollywood ist relaxter.
Ein Festnetzanruf erlöste mich: «Morgen
holt Sie ein Chauffeur ab – Tom möchte mit

Körzis Hollywood


Warten auf Tom Cruise


Wie ticken die Stars? Von Norbert Körzdörfer


Ihnen zum Barbecue fliegen! In seinem
Privatjet!»
Es war ein russischer Fahrer in einem
Lincoln Town Car, der mich zum Privat-
Airport Burbank (Bob-Hope-Flughafen)
brachte – und vor zwei (!) Privatjets
stoppte.
Toms Schwester begrüsste mich: «Tom
fliegt selbst, mit seiner neuen Freundin
Katie Holmes, im ersten Jet [Gulfstre-
am IV, 26 Meter] – wir nehmen den zwei-
ten Jet.» So begann eine Freundschaft –
und eine Faszination. Seitdem war ich
Stammgast bei den Oscars.
Als Florian Henckel von Donnersmarck
seinen ersten Oscar bekam für «Das Leben
der Anderen», fragte mich Spielberg beim
Governors Ball: «Können Sie ihn mir vor-
stellen – ich kann mir den Namen nicht
merken!» Die Seele fährt Limo.
Mein Hollywood-Pate? Die Kinolegen-
de Arthur Cohn (sechs Oscars)! Er ent-
schlüsselt alle Geheimnisse Hollywoods


  • mit Witz, Weisheit und Güte.
    Seit zehn Jahren frühstücken wir ge-
    meinsam nach der Oscar-Nacht an seinem
    runden Ecktisch in der «Polo Lounge»
    (die booth, in der sonst Johnny Depp sitzt).
    Rosa-Grapefruit-Scheiben, Rührei mit
    Kartoffelbrei, Filterkaffee, Eiswasser —
    und schmunzelnde Insider-Geheimnisse.
    Das «Beverly Hills Hotel» ist sein Büro,
    sein home away from home – und der Nabel
    der Power-Broker von Hollywood. Arthur
    ist sein eigenes Denkmal – und wer in
    seinem Schatten sitzen darf, wird erleuch-
    tet.
    Ich wartete einmal auf Comic-Genie
    Stan Lee, damals 95 plus («Spiderman»
    und Co.), und las in der dunklen Bar seine
    Biografie beim eisigen Bier, als sich bedro-
    hend alle Augen auf mir bündelten. Ich
    hörte eine lachende Stimme über mir:
    «Norbert – was machst du denn hier?» Es
    war Action- Ikone.
    Bruce Willis im T-Shirt und in weissen
    Turnschuhen: «Darf ich dir meine Frau
    und unsere Baby-Tochter vorstellen?!»
    Willkommen in «Körzis Hollywood».


Norbert Körzdörfer ist Journalist
und Schriftsteller.
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