Die Weltwoche - 29.08.2019

(Chris Devlin) #1

60 Weltwoche Nr. 35.19
Illustration: Jonathan Németh


Die Bibel


Parlamentswahlen


Von Peter Ruch


Z

wanzig Jahre alt war Achas, als er König wurde,
und sechzehn Jahre lang war er König in Jeru­
salem. Und anders als David, sein Vorfahr, tat er nicht,
was recht war in den Augen des Herrn, seines Gottes
(2. Könige 16, 2 ). Die baldigen Parlamentswah­
len werden in den kommenden Wochen stark
präsent sein. Man könnte fast von einer Wahl­
chilbi sprechen, denn auch auf der Chilbi winkt
man einander zu, macht ordentlich Lärm und
dreht sich im Kreis. Das Medieninteresse ist
mitsamt der Kandidatenschar seit Jahrzehnten
kräftig angewachsen. Offensichtlich steht in
unserer Demokratie die Frage «Wer soll den
Staat regieren?» an oberster Stelle. Diese Frage
geht auf den griechischen Philosophen Platon
zurück. Er fürchtete, die Menschen würden die
Freiheit missachten und schliesslich einem
Tyrannen verfallen. Solche Fälle gab’s ja oft ge­
nug. Deshalb müssten die edelsten und wei­
sesten Philosophen den Staat regieren. Das
Individuum war für Platon unwichtig. In die­
sem Denkschema dreht sich tatsächlich alles
um die Frage, wer den Staat regieren soll.
Die Bibel öffnet eine völlig andere Sicht.
Rund drei Viertel der Könige von Israel und
Juda bekommen ein schlechtes Zeugnis, wie
eingangs zitiert. Man muss also davon ausge­
hen, dass der Staat zeitweise von völlig ungeeig­
neten Leuten geleitet wird. Und weil die Macht­
hebel charakterschwache Personen besonders
unbändig anlocken, könnte die Dubel­ und
Schurkenquote unter den Politikern sogar
höher sein als im Volk. Der Philosoph Karl
Popper hielt es für «Wahnsinn, alle unsere
politischen Bemühungen auf die schwache
Hoffnung zu gründen, dass die Auswahl
hervorragender und kompetenter Herrscher
erfolgreich sein wird». Viel wichtiger sei es,
dafür zu sorgen, dass die Staatsmacht eng be­
schränkt ist, um den Schaden trotz der vielen
Fehlbesetzungen zu begrenzen. Deshalb mein
theologischer Rat an alle Stimmberechtigten:
Gehen Sie wählen, aber verplempern Sie nicht
zu viel Zeit mit der Wahlchilbi. Kämpfen Sie
lieber dafür, den Staat zu beschränken!


Peter Ruch war reformierter Pfarrer in drei Gemeinden.


H

umor ist bekanntlich ein schwarzes Men­
talitätsloch: Jeder Witz kann in den natio­
nalen Abgrund fallen. Die Qualität einer Komö­
die hängt vom heimatlichen Milieu­Nährboden
ab. Der kann – im Idealfall – weit über die hei­
matlichen Grenzen hinaus wirken. Beim Erst­
lingswerk «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei»
der Zürcherin Natascha Beller ist der Milieu­
Nährboden schweizerisch, was die positiven
Kritiken, von «verspielte Komödie» bis «tolle
Einfälle», erklären. Leider aber versinkt der
Humor im Mentalitätsloch wie in einem tiefen
Brunnen, weil er ganz, ganz weltläufig sein will
und Stereotype wahnsinnig ironisch aneinan­
derreiht. Der Einfall von Natascha Beller, die
auch das Buch schrieb, lautet: Drei Frauen, alle
über dreissig – Leila (Michèle Rohrbach) will ein
Kind, Amanda (Sarah Hostettler) erwartet eins,
und Sophie (Anne Haug) hat schon eins.
Sophie, alleinerziehend, eine Tochter, hat im­
mer mal Ärger mit dem Kindsvater. Der kommt,
wann’s ihm gerade passt, um das Kind zu holen
oder es zur unmöglichen Zeit einfach abzulie­
fern: Tja, diese Männer, seufz! Amanda, hoch­
schwanger, kann es nicht erwarten, ihr Kind zu
bekommen (sie ist Architektin und will wieder
arbeiten). Ist das Baby dann da, wird’s zum Pro­
blem bei der Arbeit. Der Gatte mault und murrt,
wenn er sich um den Wonneproppen kümmern
muss: Tja, diese linkischen Väter, seufz! Und

Leila wiederum will ein Kind, aber der poten­
zielle Samenspender macht sich vom Acker, wo­
rauf sie alle gängigen Stationen durchläuft, die
man halt so ausprobiert, um an einen Mann zu
kommen; von Partnervermittlungen über Dis­
co­Besuche bis zum Speed­Dating: Alles Hänf­
linge, diese Kerle, seufz!
Leila ist die Schwester von Amanda und So­
phie die beste Freundin von Leila. Das wär’s.
Missverständnisse, Täuschungen, Verwicklun­
gen, die DNA einer jeden Komödie, gibt es
nicht. Sketchartig wird präsentiert: Leilas wilde
Suche, Amandas Mutter­Arbeit­Gatte­Hin­
und­Her und Sophies Probleme mit dem Lufti­
kus­Papa ihrer Tochter. Alles wild geschnitten
und zugleich ordentlich abgehakt. Ins Gehege
kommt man sich nicht, und soziale Probleme
werden nur kokett angedeutet. Ob das nun
lustig ist, wenn beim Speed­Dating die Männer
an Leila vorbeiziehen wie Sushi auf einem Lauf­
band oder im Szene­Klub die Männer einen
Bogen um sie machen, wenn sie ihr Alter erfah­
ren, muss jeder mit sich selber ausmachen.
Da kann sich der Verdacht einstellen, Nata­
scha Beller sei sich der Schlichtheit ihres Stoffs
bewusst gewesen und habe ihre Story deshalb
ins Neckische hochgejazzt, um wenigstens aus
diesem Liebe­Triebe­Saft­und­Kraft­Gequirl
ein Quantum Lustigkeit zu pressen. Dass allein­
erziehende Mütter Stress haben – Mamis, die

Kino


Drei Frauen über dreissig


«Die fruchtbaren Jahre sind vorbei»möchte eine wilde Komödie
sein. Das Erstlingswerk von Natascha Beller entlarvt das Di lemma
des Schweizer Filmschaffens. Von Wolfram Knorr

Männer wie Sushi auf einem Laufband: Michèle Rohrbach als Leila.
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