64 Weltwoche Nr. 35.19
Illustrationen: Jonathan Németh
B
eim Wein gibt es einen Kult des Alten. Erst
einmal den Irrglauben, jede Flasche werde
je länger, je besser. Gilt leider auch bei den
Weinkolumnisten nicht, erst recht nicht aber
bei der Materie ihrer Wahl oder Qual. Einmal
abgesehen von der Tatsache, dass der Genuss
alter oder sehr alter Weine eine Kunst für sich
ist, gibt es cadaveri eccellenti, Weine, die, wie alles
Lebendige, irgendwann das Zeitliche segnen:
ein grosser Süsswein unter Umständen sehr
spät, ein strukturierter, gerbstoffreicher Bor-
deaux eventuell spät; ein in seiner Jugend
fruchtduftender Pinot nimmt im Herbst seiner
Jahre Noten von nassem Laub oder Waldboden
an, was auch seinen Reiz hat. Wie auch immer:
Hier meine ich nicht die Verehrung alter Weine,
sondern die alter, zum Teil fast verschwunde-
ner Rebsorten, der sogenannten autochthonen.
Sie haben uns fabelhafte Entdeckungen be-
schert. Aber nicht alle Funde der Reb-Archäo-
logie sind per se eine Erleuchtung.
Wein ist eine lebendige Angelegenheit, die
sich im Hier und Jetzt beweist, im Glas. Da zeigt
sich, ob neue Anbau- und Ausbautechniken ein
neues Licht auf eine verdrängte Sorte werfen
und ihr zu einer Renaissance verhelfen können.
Das eben ist mit der Tessiner Urväter-Sorte Bon-
dola der Fall, die vor dem Siegeszug des Merlot
namentlich im Sopraceneri zu den einhei-
mischen Rotweinen gekeltert wurde, mit viel
Säure und viel adstringierenden Gerbstoffen,
ideale Tropfen zu insaccati, Wurstwaren – je fet-
ter, desto Bondola. So nennt Giorgio Rossi, der
mit seinem Bruder Andrea am Hang von
Sementina zwischen Bellinzona und Locarno
sieben Hektaren bewirtschaftet, Grossvater zu
Ehren seinen Bondola «del Nonu Mario». Das
trifft auf die siebzig- bis achtzigjährigen
Rebstöcke zu, in der Zubereitung der aromen-
intensiven (Sauerkirsche, Pfingstrose) Sorte
aber entwickelt der Enkel eine eigene, eine neue
Finesse. Vor allem beweist er im Umgang mit
der Extraktion, mit den Standzeiten an der
Maische ein feines Händchen, um ein Zuviel an
Gerbstoffen zu vermeiden.
Der Clou in der Beziehung ist ein einzig-
artiger Rosato di Bondola, fruchtig und weich
und sehr aromatisch, wunderbar im Gleichge-
wicht zwischen frischer Säure und Substanz.
Rossi arbeitet dafür mit der Methode der
Saignée. Das heisst, er sticht aus dem Stahltank
vor Vollendung der Maischegärung das Quan-
tum für den Rosé ab und baut es ohne malo-
laktischen Säureabbau aus. Wunderbar, auch
für einen Rosé-Skeptiker wie mich: Die Eleganz
des neuen Handwerks und der Charakter der
alten Sorte machen die Spannung dieses so-
wohl handfesten wie extravaganten, in sich
stim migen Weines aus. Er ist keineswegs ein
Bauerntrampel im rosa Tutu.
››› Fortsetzung von Seite 63
sie zurück und sind wild entschlossen, so als sei
ihnen auf der Toilette eine amtliche Bewilli-
gung erteilt worden. Hier eine kurze Liste mei-
ner Erklärungsversuche, die ich über die Jahre
gesammelt habe. A: Sie präparieren sich mit
Cremen. B: Es ist nicht angenehm für sie, mit vol-
ler Blase die Erschütterungen der Leidenschaft
zu durchleben. C: Sie rufen heimlich einen Lieb-
haber an und flüstern ihm Liebesschwüre zu,
weil sie ein schlechtes Gewissen haben, dass sie
gleich mit einem anderen ins Bett steigen.
Doch keine dieser Erklärungen überzeugt.
Und so sitzt man als Mann mit einem Bier in der
Hand allein auf dem Sofa und fragt sich, womit
man sich in Friedenszeiten als Nächstes beschäf-
tigen soll: Golfen? Vögel beobachten? Vertrock-
nete Blätter vom Basilikum wegschnipseln?
Man könnte auch rumgoogeln, im Internet
wird von Frauenmagazinen eifrig die Meinung
vertreten, Frauen sollten unbedingt nach und
nicht vor dem Sex zur Toilette gehen. Begrün-
dung: Wir Männer übertragen Bakterien, und es
nützt nichts, wenn man die ausschwemmt, be-
vor sie übertragen werden. Unser liebstes Organ
ist gemäss diesen Zeitschriften eine Art troja-
nisches Pferd, das wir unter der falschen Ver-
heissung von Lust und Ekstase in die weibliche
Festung einschleusen, nur um dann die Bak -
te rien rauszulassen. Ziel ist die Schwächung
des weiblichen Leibs und somit die Sabotage
der Bestrebungen nach Gleichberechtigung,
denn Frauen, die dauernd Entzündungen
haben, gehören nicht in die Chefetage. Dass
viele Frauen trotz dieser Ratschläge vorher und
nicht nachher kurz verschwinden, könnte auf
den Be deutungsverlust der Frauenzeitschriften
hindeuten. Vielleicht ist das Zeitalter der Frau-
en endlich vorbei.
Linus Reichlin ist Schriftsteller und lebt in Berlin.
Rosato di Bondola del Nonu Mario 2018.
12%. Fr. 15.–. Azienda Al Mondò, Sementina.
http://www.aziendamondo.ch
Restaurant Café Bank, Molkenstrasse 15, Zürich,
Tel. 044 211 80 04. Täglich geöffnet.
David Schnapp ist Autor beim Gault-Millau-Channel.
S
elbst wenn man sich täglich mit Restau-
rants und Essen beschäftigt, gibt es die
Situationen, die fast jeder kennt: das Be-
dürfnis, irgendwo einzukehren, aber keine
Idee, an welchem Ort das sein könnte. Kürzlich
war ich mit Frau und Achtjährigem auf dem
Nachhauseweg durch die Stadt Zürich und ver-
suchte auf der inneren Landkarte in meinem
Kopf ein Restaurant ausfindig zu machen, wo
wir entlang der Tramlinie™8 unkompliziert,
aber gut hätten etwas essen können.
Die Wahl fiel schliesslich intuitiv auf die
«Bank» am Helvetiaplatz, wo Zürich ein wenig
an die untergegangenen Reiche des Sozialis-
mus erinnert. Die «Bank» ist dazu ein lebensbe-
jahendes Kontrastprogramm und gehört zum
sorgfältig kuratierten Ensemble der Bindella-
Gruppe. Die Restaurantfläche teilt man sich mit
John Baker, Zürichs bester Bäckerei.
Das kulinarische Angebot in der ehemaligen
Credit-Suisse-Filiale ist nahöstlich-mediterran,
aber auch ein ziemlich guter Burger wird auf-
getragen. Bloss die beliebte Mode, dazu Süss-
kartoffeln statt herkömmlicher Pommes frites
zu kombinieren, macht den Fastfood-Klassiker
leider zu süss und zu mächtig. Für die Er-
wachsenen werden nun knusprig goldgelb
frittierte Pouletstücke mit Sauerrahm-
Tandoori-Marinade und Ingwerjogurt ser-
viert, sie haben eine ideale Balance aus Salz,
Fett und frischer Säure sowie leichter Schär-
fe. Die Meatballs mit orientalischen Gewür-
zen, Mangold und Jogurt sind wunderbar
würzig, und das Tunfischtatar mit Avocado,
Mango und Yuzu ist zwischen Süsse und
Säure perfekt eingemittet.
Die «Bank» ist ein geselliger Ort, das Es-
sen wird unkompliziert unter der Tisch-
gesellschaft geteilt: ein urbanes, weltoffenes
Restaurant, das sich für spontane Aufent-
halte ebenso gut eignet wie für sorgfältiger
geplante.
Wein
Renaissance einer
Urväter-Sorte
Von Peter Rüedi
Salz & Pfeffer
Sichere
Bank
Von David Schnapp