66 Weltwoche Nr. 35.19
Bild: Gabriel Hill
E
s ist passiert. Die Anfang Jahr in Grossbri-
tannien angekündigten neuen Regeln
der britischen Werbeaufsicht ASA zeigen Wir-
kung, die Behörde hat die ersten Werbeanzei-
gen verbannt. Die neuen Richtlinien besagen,
dass Werbung keine Gender-Stereotype zei-
gen darf, die «schädigend» oder beleidigend
sind. Stereotype Geschlechterrollen in der
Werbung können angeblich psychisch krank
machen. Laut der ASA wirken sich eingepräg-
te Geschlechterbilder auch negativ auf Men-
schen aus hinsichtlich dem, was sie sich selbst
zutrauen.
Dem ersten Verbot fiel Philadelphia-Käse
zum Opfer. In dem Spot sind zwei Väter zu
sehen, die sich ein bisschen ungeschickt mit
ihrem Nachwuchs anstellen. Sie setzen die
Kleinkinder auf eine Art Sushi-Band, während
sie gedankenlos an Bagels mit cream cheese knab-
bern. Die Kids fahren weiter, bis sie von den
leicht erschrockenen Daddys ruckzuck herun-
tergeholt werden. Der Spot kommt charmant
und mit einer Prise Humor daher. Laut dem
Werberat propagiert er «schädliche» Stereo-
type: Frauen können besser auf Kids aufpassen.
Männer sind schlechte Kinderbetreuer.
Der zweite Spot stammt von Volkswagen.
Männer gehen heroischen Aktivitäten nach –
sie arbeiten im All, messen sich im Sportwett-
kampf –, während eine Frau friedlich auf einer
Bank sitzt und aufs Kind aufpasst. Dann fährt
lautlos ein (Elektro-)Wagen an ihr vorbei, sie
blickt auf. Das war’s. Es ist so grausam, wie es
klingt. Und transportiert laut den ASA-Exper-
ten ebenfalls «schädliche Stereotype». Sie kri-
tisierten, dass die Werbung Männer bei aben-
teuerlichen Aktivitäten zeige, während die
Frau die passive Rolle übernehme. Also Män-
ner Überflieger, Frau in der benachteiligten
Mutterrolle, oder so ähnlich.
Die Internetzeitung The Independent schreibt:
«Gemäss der ASA haben sich drei Leute über
die Stereotype beschwert, nachdem sie die
Volkswagen-Werbung gesehen haben.» Ge-
gen den Käse-Spot ging eine Beschwerde ein
- am 14. Juni, dem Tag, als die Regeln in Kraft
traten.
E
s ist anzunehmen, dass das Lebensziel der
vier psychisch betroffenen Personen seit
Januar darin bestand, sich im Juni beleidigt zu
fühlen, um ganz offiziell Beschwerde einrei-
chen zu können. Ich stelle mir dabei Gender-
studies-Studenten im 83. Semester vor, die mit
Hilfe ihres Aktionismus gegen ein paar harm-
lose Werbeanzeigen die Belanglosigkeit ihres
eigenen Lebens besser ertragen. Eine andere
Erklärung wäre freilich, dass es sich um Mitbe-
werber der Streichkäse- und Automobilbran-
che handelt, die mit freundlicher Unterstüt-
zung der Werbeaufsicht Reklame der
Konkurrenz loswurden. Wie dem auch sei:
Wenn TV-Spots verboten werden in einem
Land mit 66 Millionen Einwohnern, weil sich
vier Personen daran stören, sind wir sowieso
alle verloren.
Der Entscheid auf der Insel irritiert und ver-
unsichert auch Werber hierzulande, ich habe
mich umgehört. In Zeiten von Tugendterror
sei man sich oftmals nicht einig, was über-
haupt noch möglich ist. Denn: Wer definiert
Stereotype? Wann sind sie gut, wann schlecht?
Inwiefern verhindern solche Werbeverbote
psychologische Schäden? Am Ende ist es doch
einfach Willkür, die entscheidet. Und: Den
Humorlosen kann man es eh nie recht machen.
Wir wissen es alle: Wo früher Originalität als
Parameter für gute Werbung stand, ist es heute
politische Korrektheit. Oberstes Gebot für
Kreative sind nicht mehr zielgruppenaffine
Tamaras Welt
Hilfe, böse Werbung!
Menschen können nicht selbständig denken und Dinge einordnen,
darum müssen sie vor Reklame beschützt werden. Der Werberat
in Grossbritannien hat zwei Werbespots verboten. Von Tamara Wernli
Sujets oder eine sinnstiftende Handlung, son-
dern Geschlechtergleichheit und Diversität.
Wenn also der Mann den Kinderwagen schiebt
und die Anzahl unterschiedlicher Hautfarben
der Darsteller in einer Autowerbung jene der
Lackoptionen für den Wagen übertrifft, dann
ist der Spot gelungen. Werbung kreieren ohne
menschliche Darsteller wäre wohl einfacher.
W
erbung verbieten, weil einige Leute sich
beleidigt fühlen oder einen schlechten
Einfluss befürchten, ist nicht nur absurd, es ist
auch illiberal. Man muss die Bilder nicht mö-
gen, kann sich über Spots, die Frauen als Müt-
ter und Männer als Astronauten zeigen, auf-
regen. Aber Werbung fällt unter kreatives
Schaffen und somit unter künstlerische Frei-
heit, mit all ihren Provokationen. Sollten wir
diese freiheitliche Errungenschaft wegen der
Sensibleren unter uns über Bord werfen? Was
für den einen sexistisch oder schädlich ist, ist
es für den anderen nämlich nicht. Kommt hin-
zu: Wenn Behörden beginnen, sich überall
einzumischen, wo ist die Grenze? Einen TV-
Spot verbieten, prima – ein schlechter Einfluss
weniger! Und was kommt als Nächstes? Es
gäbe ja noch so viel Verstörendes – Video-
games, Rap-Texte, Kleidung.
Ich glaube nicht, dass Werbung mit Rol-
lenklischees Sexismus oder Diskriminierung
fördert. Massgeblich mehr Einfluss auf eine
Gesellschaft, insbesondere auf Jugendliche,
haben deren Idole, Stars, Influencer sowie die
Erziehung. Auch können die allermeisten
Menschen Werbung einordnen und diffe-
renzieren, eigenverantwortlich denken. Sie
brauchen keine Nanny, die ihnen vorschreibt,
was gut und was schlecht ist, und sie vor
Bikini- Plakaten und Streichkäse-Spots be-
schützt. Wer sich selbst die Vaterrolle nicht
zutraut, weil in einem Werbespot Papas tap-
sig mit ihren Kids umgehen, oder wer sich
Erfolg im Job oder Studium nicht zutraut
wegen einer Reklame, in der die Frau das
Baby betreut, der sollte das Problem mögli-
cherweise bei sich selbst suchen.
Tamara Wernli, Video-Bloggerin, lebt bei Basel.
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