Frankfurter Allgemeine Zeitung - 04.09.2019

(Ron) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Finanzen MITTWOCH, 4. SEPTEMBER 2019·NR. 205·SEITE 23


Puma-Kurs fällt zurück





Ein Rekordhoch reizt Anleger zu
Gewinnmitnahmen. So war es
am Dienstag mit der Puma-Aktie, die
sich um mehr als 3 Prozent verbilligte.
Am Montag hatte der Kurs des Sportar-
tikelherstellers noch ein Rekordhoch
von 71,25 Euro erreicht. Im Jahresver-
lauf hat die M-Dax-Aktie 67 Prozent
an Wert gewonnen und gehört damit
zu den besten mit-
telgroßen Titeln.
Den Dax führt Adi-
das, ebenfalls ein
Sportartikelherstel-
ler, mit plus 49 Pro-
zent an.

Thyssen-Krupp steigt ab





Die Aktien von Thyssen-Krupp
sind am Dienstag das Schluss-
licht im Dax gewesen. Der Kurs gab
um 3,5 Prozent nach. Die Anleger ver-
kauften den Titel des deutschen Tradi-
tionsunternehmens,
weil es vor dem Ab-
stieg aus dem Dax,
der Börsen-Bundesli-
ga, steht. Der Vorläu-
fer des Konzerns, die
Thyssen AG, gehörte
zu den Dax-Gründungsmitgliedern.
Für Thyssen-Krupp steigt wahrschein-
lich aus dem M-Dax die Aktie von
MTU Aero Engines auf. Darüber ent-
scheidet die Deutsche Börse an diesem
Mittwoch nach Handelsschluss.

Warum die Rückversicherer von


den hohen Schäden vergangener


Jahre profitieren.Seite 25


Die schärfere Regulierung


hat einen neuen Dienstleistungs-


zweig hervorgebracht.Seite 25


Volleyballspielerin Jana Poll,


31 Jahre alt, überzeugt bei der


Europameisterschaft.Seite 28


Aus in New York: Der zweite


Aufschlag ist das größte von


mehreren Problemen.Seite 27


Varta dreht die Batterien auf





Der Aktienkurs des Batterieher-
stellers Varta ist um fast 17 Pro-
zent auf das Rekordhoch von 88,40
Euro gesprungen. Das Unternehmen
legte nicht nur gute Zahlen vor, son-
dern will wegen der hohen Nachfrage
auch seine Produkti-
onskapazitäten für Li-
thium-Ionen-Batte-
rien erweitern. Com-
merzbank-Analyst
Stephan Klepp hob
sein Kursziel von 80
auf 110 Euro an und
bestätigte seine Kauf-
empfehlung.

Tops&Flops


Rückenwind Die Spätzünderin


2.9. 3.9.

Dax

F.A.Z.-Index 2205,26 2197,33
Dax 30 11953,78 11910,86
M-Dax 25709,64 25558,39
Tec-Dax 2779,31 2767,03
Euro Stoxx 50 3432,54 3420,74
F.A.Z.-Euro-Index 125,37 124,96
Dow Jones gs. 26048,58*
Nasdaq Index gs. 7879,87*
Bund-Future 179,03 179,05**
Tagesgeld Frankfurt -0,45 % -0,45 %
Bundesanl.-Rendite 10 J. -0,69 % -0,71 %
F.A.Z.-Renten-Rend. 10 J.-0,34 % -0,37 %
US-Staatsanl.-Rend. 10 J. gs. 1,45 % *
Gold, Spot ($/Unze) 1529,70 1545,90
Rohöl (London $/barrel) 58,61 57,83**
1 Euro in Dollar 1,0968 1,0937
1 Euro in Pfund 0,9082 0,9089
1 Euro in Schw. Franken 1,0875 1,0829
1 Euro in Yen 116,66 116,05
*) Ortszeit 13.00 Uhr, **) Ortszeit 19.00 Uhr

Bundesanl. R. 10 J.

4.6.2019 3.9.2019 4.6.2019 3.9.2019

Verpackungen


Die Börse


M


it vielen kleinen Bankfilialen ist
es so ähnlich wie mit den klei-
nen Lebensmittelgeschäften: Die Men-
schen finden es gut, so etwas noch in
Wohnungsnähe zu haben. Aber sie ge-
hen zu selten hin, als dass sich der Be-
trieb so richtig lohnt. Viele Bankge-
schäfte lassen sich schließlich bequem
übers Internet abwickeln, und Bargeld
holen die meisten am Geldautomaten
oder seit einiger Zeit auch an der Super-
marktkasse. Zugleich bedeuten die Fi-
lialen für die Filialbanken Kosten, die
Direktbanken nicht haben. Das alles
lässt die Zukunft der Bankfilialen nicht
rosig aussehen. Die Idee der Frankfur-
ter Volksbank und der Taunus-Sparkas-
se, Filialen gemeinsam zu betreiben,
klingt deshalb zunächst nicht schlecht.
Aber sie wirft doch Fragen auf. Sind
das alles nicht womöglich Rückzugsge-
fechte, weil sich auch die gemeinsam
betriebenen Filialen irgendwann nicht
mehr rechnen werden? Und: Kann das
nicht auch für Bankkunden etwas kom-
pliziert werden, wenn sie in Zukunft
nur noch an ganz bestimmten Tagen
zur Bank gehen können? Auf jeden Fall
ist es sicher klug, wenn Bankchefs die
alten Grenzen zwischen den verschie-
denen Banken-Lagern überwinden.
Dazu kann man nur sagen: Weiter so!

Zverev sucht sein Tennis


mfe./pik./sibi. FRANKFURT, 3. Septem-
ber. Was für Sparer ärgerlich und für
Kreditnehmer erfreulich ist, stellt Ban-
ken, Sparkassen und Versicherer vor zum
Teil existentielle Herausforderungen.
Wie kommen sie mit Negativzinsen klar?
Einer, der diese schon länger an Kunden
weitergibt, ist Josef Paul. Der Chef der
Raiffeisenbank Gmund am Tegernsee ge-
hörte zu den Ersten, die ein „Verwahrent-
gelt“ für Privatkunden für Einlagen von
100 000 Euro an eingeführt hatte. Was in
vielen Banken gerade diskutiert wird, ist
bei ihm schon Wirklichkeit.
„In der Praxis sind wir dabei kulant“, er-
zählt Paul. Bei Einlagen knapp über der
Verwahrentgelt-Grenze, also Summen
zwischen 100 000 und 150 000 Euro, drü-
cke die Bank noch ein Auge zu. Erst für
höhere Einlagen müssen die Kunden
wirklich schon zahlen. Was dabei raus-
kommt, klingt nicht nach viel. Rund 2800
Euro im Monat nehme die Bank mit Nega-
tivzinsen ein. Dagegen müsse sie selbst
rund 5400 Euro an Negativzinsen für ihre
Einlagen bei der Zentralbank zahlen –
das sei also kein gutes Geschäft. Man rate
den Kunden auch, das Geld, statt es aufs
Konto zu packen, lieber anders anzule-
gen, etwa in Aktien. Aber es sei nicht so
leicht, die konservative Kundschaft da-
von zu überzeugen, erzählt Bankchef
Paul: „Wenn hier am Tegernsee jemand
ein Haus verkauft, hat er zum Beispiel
drei Millionen Euro auf dem Konto liegen



  • die lassen sich nicht so ganz leicht über
    Nacht in Aktien stecken.“ Selbst die Bank-
    berater sagten dann, lieber nach und nach
    investieren, damit man nicht zu sehr das
    Risiko eingehe, zu teuer gekauft zu ha-
    ben. Für solche großen Einlagen aber zah-
    len Bankkunden eben Negativzinsen –
    jetzt schon in Gmund am Tegernsee, wo-
    möglich bald überall.
    Schwierig, wenn auch ganz anders als
    am noblen Tegernsee, ist die Situation in
    Ostdeutschland. „Im Vergleich zu vielen
    westdeutschen Sparkassen haben wir ein
    kleineres Unternehmenskreditgeschäft –
    damit sind wir auf der Aktivseite stärker
    auf den Kapitalmarkt angewiesen“, sagt
    Michael Bräuer, Vorstandsvorsitzender
    der Sparkasse Oberlausitz-Niederschle-
    sienmit Sitz in Zittau in Sachsen. Wie vie-
    le andere leide auch sein Institut unter den
    niedrigen Zinsen, räumt Bräuer ein. Das
    sei ein Dilemma: „Auf der einen Seite wol-
    len wir keine Negativzinsen an unsere Pri-
    vatkunden weitergeben, auf der anderen
    Seite finden wir selbst negative Marktzin-
    sen für viele sichere Geldanlagen vor“,
    sagt Bräuer: „Das geht auf die Marge.“
    Die Kosten habe die Sparkasse zum Teil
    schon deutlich gesenkt. Dabei seien gar
    nicht die negativen Einlagenzinsen der Eu-
    ropäischen Zentralbank das wichtigste
    Problem seiner Sparkasse. „Wir zahlen
    kaum Einlagenzinsen an die EZB.“ Das
    große Problem sei das Anleihekaufpro-
    gramm der EZB, das die Anleiherenditen
    nach unten gedrückt habe. „Wenn jetzt
    selbst die Renditen der 30-jährigen Bun-
    desanleihen negativ sind, dann trifft uns
    das.“ Die Sparkasse müsse bei ihren Eigen-
    anlagen künftig notgedrungen etwas


mehr Risiken in Kauf nehmen. Zugleich
wolle sie als Sparkasse aber so konserva-
tiv wie möglich anlegen: „Statt in Bundes-
anleihen investieren wir bei neuen Eigen-
anlagen heute stärker als früher in Unter-
nehmensanleihen.“ Anleihen staatsnaher
Unternehmen hätten leider zum Teil auch
schon negative Renditen, sagt Bräuer: Des-
halb kämen jetzt auch Werte wie Thyssen-
Krupp stärker in den Blick.
Nach Ansicht von Eva Wunsch-Weber,
der Vorstandsvorsitzenden der Frankfur-
ter Volksbank, trägt die unverändert hohe
Sparmotivation der privaten Haushalte
neben der lockeren Geldpolitik der EZB
zum derzeit niedrigen Zinsniveau bei.
Hinzu komme, dass sich die Kreditnach-
frage aus einigen Bereichen der Wirt-
schaft auf niedrigem Niveau einpendele.
Unternehmen etwa könnten für Investitio-
nen auf Liquidität aus dem operativen Ge-
schäft zurückgreifen. Insgesamt sei die
Nachfrage nach gewerblichen Finanzie-
rungen und privaten Baukrediten wegen
der niedrigen Finanzierungskosten für
die Kunden jedoch solide. Die Frankfur-
ter Volksbank berechnet privaten Anle-
gern Verwahrentgelte, wenn sie hohe
Summen kurzfristig parken. Das gilt etwa
für Notare. Das Kreditinstitut hat seit
2012 mit vier Banken fusioniert. Jetzt
wird sogar die Kooperation mit der be-
nachbarten Taunus-Sparkasse erweitert,
mit der die Volksbank zahlreiche Filialen

gemeinsam betreiben will, um Personal
und Mieten zu sparen (siehe unten).
Anders sieht Robert Restani, Vorstands-
vorsitzender der Frankfurter Sparkasse,
die Zinsproblematik. „Aus meiner Sicht
ist das niedrige Zinsniveau auf die Geld-
politik zurückzuführen, das Sparverhal-
ten der Deutschen ist nicht die Ursache
hierfür“, sagt der Bankchef. Er sieht die
deutsche Sparneigung als Stabilitätsfak-
tor: „Immobilienblasen suchte man hier-
zulande lange Zeit vergebens“, sagt Resta-
ni. Das Geschäft mit Baufinanzierungen
und Wertpapieren sei in den vergangenen
Jahren sehr erfolgreich gewesen, was die
wegen niedriger Zinsen gesunkenen Er-
träge ausgeglichen habe. Doch dieser Aus-
gleich falle immer schwerer. Zwischen
2014 und 2019 schrumpften laut Restani
die Zinseinnahmen aus dem Kreditge-
schäft um mehr als 50 Millionen Euro,
gleichzeitig sank der Ertrag aus eigenen
Anlagen der Bank um 15 Millionen Euro.
„Wir werden bestraft, wenn unsere Kun-
den uns ihr Vertrauen – ausgedrückt in
der Anlage von Geld bei uns – schenken.“
Die Sparda-Bank Hessen in Frankfurt
kann sich im Moment noch auf ein sehr
solides Baugeschäft beispielsweise im
Rhein-Main-Gebiet stützen. In diesem
Geschäftsfeld hat sie expandiert – auch
mittels einer eigenen Baukredit-App. Sor-
gen macht sich Vorstandsmitglied Micha-
el Weidmann dennoch. Die Bank zahle

zwar „per saldo kaum Negativzinsen“.
Aber die Zinsmarge sei weiter rückläufig,
sagt Weidmann. Die Bank hat sich, an-
ders als andere Sparda-Banken, bislang
gegen Kontoführungsgebühren fürs Giro-
konto entschieden und habe auch das
Ziel, Negativzinsen für Sparer zu vermei-
den. „Unser Ziel ist es, das nicht zu tun“,
sagt Weidmann. Aber ihn treibe schon die
Sorge um, was passieren wird, wenn plötz-
lich viele andere Banken negative Einla-
genzinsen verlangten, und Kunden mit
großen Einlagen dann zu den wenigen
Banken strömten, die das nicht machten.
Positiv sei, dass auch konservative Kun-
den mittlerweile offener für Anlagen in
Investmentfonds würden, sagt Weid-
mann: „Wir profitieren da von höheren
Provisionserträgen.“ Bei der Eigenanlage
setzt die Sparda-Bank nicht wie die ost-
deutsche Sparkasse auf riskantere Unter-
nehmensanleihen – sondern geht sogar in
den Aktienmarkt. „Wir haben vor einigen
Jahren begonnen, unsere Bestände an eu-
ropäischen Standardaktien nach und
nach zu stärken“, sagt Weidmann. „Dafür
haben wir zuletzt auch die Zeit der Kauf-
kurse ausgenutzt.“ Aktien seien für die
Sparda-Bank „nicht zuletzt unter Dividen-
dengesichtspunkten interessant“.
Für die deutschen Versicherer ist nicht
entscheidend, ob eine Bundesanleihe po-
sitiv oder negativ verzinst ist. Seit der in-
ternationalen Finanzkrise haben sie ihre

Kapitalanlage ohnehin strategisch anpas-
sen müssen. „Die Welt ist nicht anders ge-
worden, nur schlechter“, fasst Talanx-Fi-
nanzvorstand Immo Querner die Entwick-
lung der vergangenen Jahre zusammen.
Die ohnehin niedrigen Zinsen sind weiter
gefallen, seit 2016 bestraft zudem das
neue Aufsichtsrecht Solvency II Fehler ei-
nes Versicherers stärker als zuvor. Die
zwei wichtigsten Prinzipien für Kapitalan-
leger der Branche seien Währungs- und
Fristenkongruenz. Mit anderen Worten:
Kapital muss immer in der Währung ange-
legt sein, in der Schäden beglichen wer-
den, und die Laufzeit der Papiere muss
der Dauer der Verbindlichkeiten entspre-
chen, damit diese vollständig gedeckt
sind. Ist das nicht der Fall, schlägt Solven-
cy II gnadenlos mit Eigenkapitalanforde-
rungen zu. Anders als bei einem privaten
Anleger korrespondieren 90 bis 95 Pro-
zent der Aktiva (Kapitalanlagen) mit Ver-
bindlichkeiten gegenüber den Kunden
(Passiva). „Drehen wir es um: Wenn 95
Prozent der Kapitalanlage fremdfinan-
ziert ist, ist eine Aktienquote von 5 Pro-
zent schon hoch“, sagt Querner. An Anlei-
hen kommt er daher nicht völlig vorbei,
doch solche mit negativen Renditen ver-
sucht er zu vermeiden.
Diese Maxime verfolgt auch Michael
Leinwand, Chefanleger der Zurich
Deutschland. Vor allem für die Lebensver-
sicherung wolle er Papiere mit negativen
Renditen umschiffen. In der Sachversiche-
rung sei das nicht grundsätzlich auszu-
schließen. Versicherer müssen anders als
Banken nicht in der Lage sein, Kunden-
geld jeder Zeit zurückzuzahlen. Aber sie
brauchen Wertpapiere, die sie schnell li-
quidieren können, wenn Verträge stor-
niert oder sie größere Schäden begleichen
müssen. Dafür macht der Versicherer re-
gelmäßig Liquiditäts-Stresstests, um zu
prüfen, ob er für eine unerwartete Storno-
welle gewappnet wäre, ohne Wertpapiere
unter Wert abgeben zu müssen.
„Wir verfallen wegen der Negativrendi-
ten überhaupt nicht in Panik oder tun un-
verantwortliche Dinge“, sagt Leinwand.
Dennoch habe sich der Druck vergrößert.
Geldpolitik und Bankenkrise hätten star-
ke Veränderungen mit sich gebracht: „Die
Aufkäufe von Staatsanleihen durch die
Europäische Zentralbank und die erheb-
lich zurückgefahrenen Handelsbücher
der Banken haben einen strukturellen
Wandel bewirkt“, sagt er. Viele Versiche-
rer suchen ihr Heil in illiquideren Geldan-
lagen wie Investitionen in Windanlagen,
Straßen, Parkhäuser oder Solarenergie.
Große Versicherer sind im Vorteil, weil
sie eigene Teams aus Sachverständigen
aufbauen und in größere Tranchen inves-
tieren können. Die Zurich hat seit 2015
den Anteil der Hypotheken zurückgefah-
ren und Geld in besicherte Immobilien-
Darlehen verschoben.
Für Talanx hat der Negativzins eine in-
teressante strategische Komponente. We-
gen der erforderlichen Währungskongru-
enz können die Kapitalanleger nicht etwa
auf den amerikanischen Währungsraum
mit seinen höheren Zinsen ausweichen.
Zunehmend aber macht es der Versiche-
rer genau umgekehrt: Das Versicherungs-
geschäft folgt der Geldanlage. „Wir bauen
dort, wo wir im Nicht-Euro-Raum Versi-
cherungsgeschäft machen und ohne Risi-
ko anlegen können, gern Kapitalanlage in
anderen Währungsräumen auf“, sagt
Querner. So eine Diversifikation der Risi-
ken sei gut für das versicherungstechni-
sche Profil – eine Überflutung in Brasi-
lien hänge nicht mit einem Hagelschaden
in Deutschland zusammen. Unter all die-
sen Einflüssen sei die Kapitalanlage im
Vergleich zu früher internationaler, weni-
ger abhängig von Banken, illiquider und
langfristiger. „Noch gefährlicher als keine
Diversifikation ist eine naive Diversifika-
tion. Deshalb muss man eigene Expertise
aufbauen und sich Grenzen setzen“, sagt
Talanx-Finanzvorstand Querner.

Zukunft der Bankfiliale


Von Christian Siedenbiedel

„Die Welt ist nicht anders geworden, nur schlechter“:Banken und Versicherer klagen über die Negativzinsen. Foto AP

FRANKFURT, 3. September (Reu-
ters). Die Bundesbank hält nichts von
einem generellen Verbot von Negativ-
zinsen für Sparer. „Natürlich muss der
Verbraucherschutz vorbeugen, dass
Kunden nicht übervorteilt werden“,
sagte der für die Bankenaufsicht zustän-
dige Bundesbank-Vorstand Joachim
Wuermeling. Aber Geldhäuser müss-
ten Kosten und Ertrag in ein vernünfti-
ges Verhältnis bringen. Werde den Ban-
ken verboten, Negativzinsen zu verlan-
gen, fehle ihnen ein Instrument, um
rentabel zu sein. Rentabilität sei für die
Stabilität eines Instituts wichtig, um
Puffer gegen Verluste zu bilden und nö-
tige Investitionen tätigen zu können.
Aber die Banken seien zu einem gro-
ßen Großteil selbst in der Verantwor-
tung: „Das ist meine wichtigste Bot-
schaft: Banken müssen ihr Geschäft so
aufstellen, dass es auch bei Negativzin-
sen funktioniert.“ Eine Zinsmarge kön-
ne theoretisch sowohl mit positiven als
auch mit negativen Zinsen erwirtschaf-
tet werden.


Die Zinsen sind niedrig


wie nie, zum Teil sogar


negativ. Wie kommen


Banken, Sparkassen und


Versicherer damit klar –


und vor allem: Was


raten sie in dieser


extremen Situation bloß


ihren Kunden?


sibi.FRANKFURT, 3. September. Die
Frankfurter Volksbankund dieTaunus
Sparkassehaben am Dienstag die erste flä-
chendeckende Kooperation zwischen ei-
ner Genossenschaftsbank und einer Spar-
kasse in Deutschland verkündet. Beide In-
stitute wollen künftig in den im Frankfur-
ter Umland gelegenen Kreisen Main-Tau-
nus und Hochtaunus 26 gemeinsame Filia-
len betreiben, die „Finanz-Punkte“ ge-
nannt werden. Dafür sollen knapp 50 bis-
herige Standorte beider Institute zusam-
mengelegt werden. In 17 der neuen ge-
meinsamen Bankstellen sollen abwech-
selnd jeweils zwei Tage in der Woche Mit-
arbeiter der Sparkasse und an zwei Tagen
Mitarbeiter der Volksbank tätig sein. Ob
die Filiale jeweils gerade Volksbank oder
Sparkasse ist, sollen Kunden einfach an ei-
ner Leuchtfläche erkennen können, die
entweder rot (Sparkasse) oder blau (Volks-
bank) leuchtet. An neun Standorten wol-
len beide nur gemeinsame SB-Stellen, also
Automatenräume mit Geldautomaten
und Kontoauszugsdruckern, betreiben.

Die „Finanz-Punkte“ sollen eine Reakti-
on darauf sein, dass zum einen Bankkun-
den aufgrund der Digitalisierung seltener
in Bankfilialen gehen und zum anderen
die Banken aufgrund der Niedrigzinspha-
se unter Kostendruck stehen. „Mit unserer
Lösung, den gemeinsam von Volksbank
und Sparkasse betriebenen Finanz-Punk-
ten, sichern und stärken wir unsere Prä-
senz in der Fläche“, sagte Oliver Klink,
der Vorstandsvorsitzende der Taunus Spar-
kasse. „Wir nutzen gemeinsame Räumlich-
keiten, bleiben dabei aber selbstverständ-
lich Wettbewerber“, hob Eva Wunsch-We-
ber hervor, die Vorstandsvorsitzende der
Frankfurter Volksbank. Man sehe diese
neuen Kleinstfilialen auch als „Beitrag zur
Erhaltung der lokalen Infrastruktur in der
Region“. Die Frankfurter Volksbank be-
treibt derzeit 94 Geschäftsstellen mit Mit-
arbeitern sowie 68 SB-Stellen, zum Teil
auch diese schon gemeinsam mit Koopera-
tionspartnern. Bei der Taunus Sparkasse
sind es 45 Filialen mit Mitarbeitern und 25
reine SB-Standorte.

Wenn die Frankfurter Volksbank in frü-
heren Jahren eine „Kooperation“ angekün-
digt hatte, wurde daraus oftmals sehr bald
eine Fusion. Das sei diesmal aber nicht ge-
plant, deutete Wunsch-Weber an: „Aus-
nahmsweise ging es nicht um die F-Fra-
ge.“ In kleinerem Stil hat die Volksbank
auch bisher schon mit Sparkassen zusam-
mengearbeitet, etwa in einzelnen gemein-
samen SB-Stellen, so auch schon mit der
Taunus Sparkasse, aber auch etwa mit der
Sparkasse aus dem nahe gelegenen Ha-
nau. Der Versuch einer großangelegten Fu-
sion zwischen einer Sparkasse und einer
Volksbank hingegen im Ort Marktredwitz
im Fichtelgebirge scheiterte in den 1990er
Jahren spektakulär am Widerstand unter
anderem des damaligen bayerischen In-
nenministers Günther Beckstein (CSU).
Kleinere Kooperationen zwischen Spar-
kassen und Volksbanken gibt es hingegen
heute schon viele, so etwa in Körle in
Nordhessen, in Michelfeld in Baden-Würt-
temberg sowie in Gablingen und Amberg
im Bundesland Bayern.

Im oberbayerischen Eschenlohe, einem
kleinen Ort nahe München, gibt es gleich-
falls einen gemeinsamen Bankraum, in
dem Volksbank und Sparkasse ihre Geld-
automaten aufgestellt haben. Netterweise
hat in dem kargen Raum jedes Institut sei-
nen eigenen Kundenkalender aufgehängt.
Bei Frankfurter Volksbank und Taunus
Sparkasse soll es künftig in den gemeinsa-
men Filialen baugleiche, aber gekenn-
zeichnete Geldautomaten beider Institute
geben, hinter denen getrennte IT-Systeme
stecken. Geldautomatengebühren wollen
beide Institute an diesen Standorten von
den Kunden des jeweils anderen nicht neh-
men. Die Investitionen bezifferten die
Bankchefs mit bis zu fünf Millionen Euro
in den kommenden drei Jahren, die Syner-
gieeffekte seien jedoch deutlich höher.
Man teile sich Mieten und Sachkosten der
gemeinsamen Filialen. Kündigungen solle
es wegen der Umstellung nicht geben, die
Mitarbeiter würden in anderen Filialen
eingesetzt, sagte Wunsch-Weber, zudem
nutze man die natürliche Fluktuation.

Bundesbank gegen


Negativzins-Verbot


Deutschland im Strudel der Niedrigzinsen


Gemeinsame Filialen für Volksbank und Sparkasse


Frankfurter Volksbank und Taunus Sparkasse wagen erste flächendeckende Kooperation zwischen beiden Lagern

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