FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MITTWOCH, 4. SEPTEMBER 2019·NR. 205·SEITE 5
KHARTUM, 3. September
S
o schnell ist das Auswärtige Amt
nicht oft. Vor kaum zwei Wochen
wurde das Verfassungsdokument un-
terschrieben, mittels dessen Militär und
Opposition sich in Sudan übergangsweise
die Macht teilen wollen, vor wenigen Ta-
gen erst hat der neue Premierminister Ab-
dallah Hamdok sein Amtsgebäude bezo-
gen, dem Außenminister Heiko Maas nach-
mittags seine Aufwartung macht. Das
Glückwunschtelegramm der deutschen
Bundeskanzlerin trifft am selben Tag in
Khartum ein, Maas hätte es auch persön-
lich übergeben können. Ein Dreiviertel-
jahr hat das Ringen um die Herrschaft in
Sudan jetzt gedauert, seit dem Beginn der
Straßenproteste im vergangenen Dezem-
ber, dem erzwungenen Rücktritt des Dikta-
tors al Baschir im April, den folgenden
Dauerdemonstrationen und ihrer versuch-
ten militärischen Niederschlagung, einer
gewaltsamen Konfrontation mit mehr als
hundert Toten Anfang Juni und der folgen-
den schrittweisen Annäherung beider Sei-
ten, des Militärs und des Oppositionsbünd-
nisses. Eine Reise in diese Szenerie eines
politischen Umbruchs hätte kaum so rasch
organisiert werden können, wären nicht
deutsche Diplomaten seit einiger Zeit
schon mit der Begleitung dieses politi-
schen Wandels befasst gewesen.
Sudan krankt am Ende einer jahrzehnte-
langen autoritären Herrschaft nicht nur an
dramatischen Staatsschulden, an den Fol-
gen der Abspaltung des ölreichen Südsu-
dans und an allgemeinem wirtschaftli-
chem Mangel; es hat bislang auch die inne-
re Befriedung des Landes nicht zustande
gebracht. Eine der größten UN-Stabilisie-
rungsmissionen, Unamid, bemühte sich
mehr als ein Jahrzehnt lang, den Bürger-
krieg im westsudanesischen Darfur einzu-
dämmen, die lokale Bevölkerung zu schüt-
zen und auf einen Ausgleich hinzuarbei-
ten. Jetzt soll diese Mission beendet wer-
den, an der Deutschland sich viele Jahre
lang mit der Entsendung von einigen Dut-
zend militärischen Beratern und Polizei-
fachleuten beteiligt hat. Das deutsche di-
plomatische Engagement ist in jüngerer
Zeit aufwendiger gewesen. Es hat von Ber-
lin aus seit 2017 den Versuch gegeben, die
Anführer der Bürgerkriegsmilizen zu einer
Verständigung zu bewegen, eine Art Vorab-
kommen wurde im vergangenen Dezem-
ber geschlossen, dessen Wirksamkeit dann
aber der Umsturz in Khartum fürs Erste be-
grub. Jetzt steht die neue Übergangsregie-
rung vor der Aufgabe, die Separatisten ein-
zuhegen. Berlin hat zugesagt, sich bei Be-
darf weiterhin um Vermittlung zu bemü-
hen.
Außenminister Maas beginnt seinen Be-
such in der sudanesischen Hauptstadt mit
einer Besichtigung des Volksaufstands. Im
Hof des Goetheinstituts stehen auf Staffe-
leien vergrößert aufgezogene Fotografien,
die Szenen der monatelangen Proteste, des
Schmerzes und des Mutes der Bevölkerung
zeigen. Ein Bild hält den Moment des Ju-
bels fest, in dem ein Eisenbahnzug mit De-
monstranten aus der Stadt Adbara, von wo
die Proteste ihren Ausgang nahmen, im
Zentrum Khartums eintrifft. Maas wird
der Lokführer vorgestellt, der diesen Zug
steuerte, er unterhält sich mit den jungen
Fotografinnen, die die Schnappschüsse der
Revolution festhielten, alle sind angerührt
von der Erinnerung. Der deutsche Bot-
schafter, der die Szene schildert, verliert ei-
nen Augenblick die Festigkeit in seiner
Stimme.
Die deutsche Regierung hat sich in den
vergangenen Monaten bemüht, für das
neue Sudan einen internationalen Rah-
men zu zimmern, der dem Land bei seiner
Entwicklung helfen soll. Wie in anderen
Fällen auch ist zu diesem Zweck ein
„Freundeskreis“ von Staaten versammelt
worden, die erstens selbst bereit und daran
interessiert sind, Sudan voranzuhelfen,
und zweitens andere Länder dazu bewegen
können, sich auch zu engagieren. Der
Freundeskreis umfasst in diesem Fall au-
ßer Deutschland die einstige Kolonial-
macht Großbritannien, Frankreich und
Norwegen, die Vereinigten Staaten, die su-
danesischen Nachbarn Ägypten und Äthio-
pien, die Golfstaaten Saudi-Arabien und
Vereinigte Arabische Emirate, die in Khar-
tum über Einfluss verfügen, sowie die inter-
nationalen Organisationen Afrikanische
Union und UN. Das Gründungstreffen die-
ser institutionellen Freunde fand im Juni
in Berlin statt. Über Hilfsschritte, die als
Erstes vereinbart werden könnten, soll un-
ter anderem Maas’ Besuch in Khartum
Klarheit bringen.
Die Fotografin Duha Mohamed, die im
Sommer Monate auf dem Protestgelände
gegenüber dem Militärministerium ver-
bracht hat, sagt, es gehe nicht zuerst um fi-
nanzielle Hilfe. Noch wichtiger seien Bil-
dung und, vor allem, Beratung – außerdem
Anleitung beim Aufbau von Institutionen,
bei der Verbesserung von Schulen und Uni-
versitäten, bei der Organisation der Wirt-
schaft. Sie gibt die Empfindung wieder, die
sie auf dem Protestplatz am meisten beein-
druckt hat: dass sich dort nicht nur die un-
zufriedene Jugend der Hauptstadt versam-
melte, sondern viele verschiedene Grup-
pen kamen, aus dem ganzen Land. „Wir ha-
ben uns plötzlich vereint gefühlt“, sagt sie.
Und sie erzählt, dass der Aufstand den
Frauen die Chance gab, aus ihren Be-
schränkungen einer traditionalistischen
Gesellschaft auszubrechen und sich im Pro-
test gegen staatliche Willkür auch selbst zu
befreien.
Der deutsche Außenminister wirkt be-
eindruckt und später auch amüsiert, als er
nach dem Gespräch mit dem neuen Minis-
terpräsidenten auf dem Pressekonferenz-
Podium zuerst hinter einer Wand von Mi-
krofonen fast verschwindet, die dann
durch eine Welle von Rückkopplungen
auch noch jede Tonübertragung vereiteln.
Erst nach zwanzig Minuten, in denen im-
mer wieder schrille Pfeiftöne durch den
Saal ziehen, kann Maas den lobenden Satz
in die Kameras sagen, in Sudan sei „Groß-
artiges geschehen“. Ansonsten vermeidet
er in Khartum pathetische Wendungen. Er
spricht anerkennend davon, dass „das
Land sich auf den Weg macht in eine besse-
re Zukunft“, er verspricht die Unterstüt-
zung Deutschlands und Europas dabei.
Aber er sagt auch vorsichtig, es herrsche
eine „Situation, in der noch nicht entschie-
den ist, ob diese Entwicklung anhält“ – als
fürchte er, dass zu viel Begeisterung für
naiv gehalten werden könnte. Und er stellt
fest: „Es müssen auch gewisse Vorausset-
zungen hier geschaffen werden, damit wir
hier helfen können.“ Als wolle er die Er-
wartungen, die sein Besuch – der erste ei-
nes westlichen Ministers – bei der neuen su-
danesischen Regierung weckt, gleich wie-
der dämpfen.
Begriffe und Formeln, die in Deutsch-
land sonst gebräuchlich sind, wenn von
Afrika die Rede ist, also Nachbarkonti-
nent, Migrationsströme, Fluchtursachenbe-
kämpfung, bemüht der Außenminister
schon gar nicht. Sie würden Sudan womög-
lich stärker in die deutsche Aufmerksam-
keit rücken, aber hätten wenig zu tun mit
dem Moment selbstbewusster Hoffnung,
in dem Khartum gerade lebt.
Bei den Reisen des Außenministers
Maas reist eher immer ein spezieller nach
innen gerichteter sozialdemokratischer Bil-
dungsauftrag mit. Auch das deutsche Enga-
gement in Sudan wird zu einer Facette im
ständigen Werkeln des Ministers mit sei-
ner Fraktion an der Antwort darauf, was
denn unter einer verantwortungsvollen
deutschen Außenpolitik zu verstehen sei.
Momentan raspeln und schleifen die Werk-
zeuge allerdings vor allem an der Frage, ob
die deutsche Luftwaffe im Kampf gegen
den IS im Irak und in Syrien ihre Aufklä-
rungsflüge nochmals verlängern soll, ob-
wohl das Mandat dafür Ende Oktober aus-
läuft – und vor Jahresfrist nur unter dem
Versprechen (der damaligen Verteidigungs-
ministerin Ursula von der Leyen) verlän-
gert worden war, dies sei bestimmt das letz-
te Mal. Zwar macht sich Sudan der IS-Ter-
ror nicht akut bemerkbar, aber die generel-
len Fragen innerer und äußerer Sicherheit
stellen sich auch hier. Das Auswärtige Amt
bemüht sich in der Amtszeit des gegenwär-
tigen Ministers überall, mit diplomati-
schen Mitteln den Einfluss und die Mitspra-
che Deutschlands zu vergrößern: in den Be-
ratungen über Syrien, im Bemühen um ein
Ende des Krieges im Jemen, beim Aufbau
des Iraks, jetzt auch in Sudan. Ein innenpo-
litisch motivierter militärischer Abzug aus
Jordanien kann die Reputation, die Maas
in der Region für Deutschland zu schaffen
sucht, leicht beschädigen.
Auf die Zukunft:Heiko Maas und Ministerpräsident Abdalla Hamdok Foto dpa
Kurz nach der
mwe.POTSDAM,3. September. In Revolution
Brandenburg steht der Landes- und
Fraktionsvorsitzende der CDU, Ingo
Senftleben, nach dem schlechten Ab-
schneiden seiner Partei noch unter
Druck. Die CDU hatte bei der Wahl nur
15,6 Prozent der Stimmen geholt. Bei ei-
ner ersten Sitzung der 15 neugewählten
Abgeordneten zeigte sich die Fraktion
uneins: Sechs Abgeordnete stimmten
dafür, den Fraktionsvorsitzenden so-
fort zu wählen; neun Abgeordnete folg-
ten dem Vorschlag Senftlebens, die
Wahl des Vorsitzenden bis nach dem
Ende der Sondierungsgespräche zu ver-
schieben. Senftleben soll so lange kom-
missarisch im Amt bleiben. Der Abge-
ordnete Frank Bommert, der zu den
Senftleben-Kritikern gehört, sagte:
„Ich stand bereit, für den Fraktionsvor-
sitz zu kandidieren.“ Die Abgeordnete
Saskia Ludwig, die wie Bommert zum
konservativen Flügel zählt, sagte, die
Partei brauche für Koalitionsverhand-
lungen einen starken Verhandlungsfüh-
rer, „das sehen wir aber nicht“. Senftle-
ben hätte am Wahlabend mit einem
Rücktritt „ehrenvoll die Verantwortung
übernehmen können“, sagte Ludwig.
Senftleben war am Vorabend nach drei-
stündiger, kontroverser Diskussion
vom Landesvorstand der CDU zum Ver-
handlungsführer einer sechsköpfigen
Sondierungsgruppe bestimmt worden.
Er sehe seinen Beitrag darin, Brücken
zu bauen, „auch innerhalb der CDU“,
sagte Senftleben am Dienstag. An die-
sem Mittwoch will die CDU mit den
Grünen reden. Am Donnerstag kommt
es zu einem Sondierungsgespräch zwi-
schen SPD und CDU. Senftleben sagte,
er sei verantwortlich für das Ergebnis,
aber wolle das Signal geben, „dass wir
als CDU nicht vor der Verantwortung
davonlaufen“. Er habe mit dem SPD-
Vorsitzenden, Ministerpräsident Diet-
mar Woidke, am Wahlabend schon vor
18 Uhr telefoniert und sich darauf ver-
ständigt, dass es jetzt um das Land ge-
hen müsse. In Brandenburg ist rechne-
risch eine rot-grün-rote Koalition und
ein Bündnis von SPD, CDU und Freien
Wählern möglich. In beiden Fällen hät-
te die Koalition mit 45 von 88 Sitzen
nur einen Sitz Mehrheit. Als wahr-
scheinlich gilt eine Koalition aus SPD,
CDU und Grünen, die fünf Sitze Mehr-
heit hätte.
Ingo Senftleben
in Brandenburg
unter Druck
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Außenminister Maas reist nach Sudan, das nach
dem Umbruch weiter an den Folgen der autoritären
Herrschaft leidet.Von Johannes Leithäuser