Wespenschwarz
und Läuserot
Vor 4600 Jahren fiel der Prinzessin Lei-
Tsu eine verpuppte Seidenraupein ihren
Tee. Für China war es ein historischer
Moment. Denn die Edelfrau bemerkte
erstaunt, dass sich der Kokon unter dem
Einfluss der Hitze in einen langen, hauch-
feinen Faden auflöste – die Seide war
geboren, und damit die Grundlage einer
bis heute florierenden Milliardenindustrie.
Aber nicht nur Billionen Seidenraupen
und Honigbienen stehen in unseren Diens-
ten. Auch in weniger bekannten Bereichen
griff und greift der Mensch auf Insekten
als Nutztiere zurück. Was
zum Beispiel ver-
bindet Shake-
speare, Beetho-
ven und Galilei?
Sie alle schrieben mit
Tinte, die dem Wirken
einer millimeterkleinen Wes-
pe zu verdanken ist. Die Tiere inji-
zieren ihre Eier in die Unterseite von
Eichenblättern, woraufhin am Einstich -
ort Galläpfel wuchern, aus deren Gerb -
säure sich Tinte gewinnen lässt. Oder
Pflanzenläuse: Schon die Azteken wussten
aus den Zellsäften der Cochenille-Schild-
laus einen kraftvoll roten Farbstoff herzu-
stellen. Die Spanier globalisierten das
Geschäft: Samt in Venedig, Kardinalsge-
wänder in Rom und Soldatenröcke in
Großbritannien – sie alle wurden mit dem
Karminrot der südamerikanischem Coche-
nille-Laus gefärbt. Bis heute findet sich
der Farbstoff der hässlichen Läuse in Lip-
penstiften, Säften und Fruchtgummi.
Johann Grolle
Team: Sie unterhöhlen den Kada-
ver, der dann allmählich in den
Boden sinkt. Unter der Erde legen die
Käfer dann ihre Eier und erweisen sich,
kaum dass daraus Larven geschlüpft
sind, als liebevoll umsorgende Eltern:
Von Mund zu Mund füttern sie ihren
Nachwuchs mit dem Leichenschmaus.
DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 105
Sexarbeiter in der
Kakaoblüte
Vor mehr als 130 Millionen Jahren schlos-
sen Insekten und Pflanzen einen Pakt, der
die Welt verändern sollte: Die Blume
wurde erfunden,
und damit eine
Form des Pflan-
zensex, bei dessen
Vollzug zumeist Bie-
nen, Fliegen, Schmetter -
linge oder andere Insekten
behilflich sind. Vielfältig sind die Deals,
die einzelne Spezies miteinander ausge -
handelt haben: Ein Nachtfalter namens
Xanthopan morganiietwa hat einen bis
zu 25 Zentimeter langen Rüssel, mit dem
er sich die Exklusivrechte am Nektar der
madagassischen Sternorchidee sichert. Der
monströse Blütenstand der Titanenwurz
lockt Aaskäfer mit unwidersteh lichem Ver-
wesungsgestank. WinzigeGnitzen,nahe
Verwandte der Stech mücken, sind die
Einzigen, die in die verworren konstruier-
te Blüte der Kakaopflanze zu kriechen
vermögen. Und manche Orchideen ver-
führen ihre sechsbeinigen Helfer, indem
sie ihnen vorgaukeln, kopulationsbereite
Insektenweibchen zu sein. Ein Verhältnis
ganz eigener Art hat die Sal-Weide mit
ihrem Bestäuber entwickelt: Sie bekleidet
sich bereits mit flauschig-gelben Kätzchen,
wenn andere Bäume noch in der Winter-
ruhe verharren – zu dem Zeitpunkt,
an dem die Königinnen der Hummeln
aus ihren Winterlöchern krab-
beln. Der proteinreiche Pollen
und der zucker süße Nektar
der Weiden bietet ihnen die
Stärkung, die sie für die Grün-
dung ihres Staates brauchen.
Und die Hummeln revanchieren sich,
indem sie den Weiden beim Geschlechts-
akt assistieren.
anvertraut wurden. Die Tiere belohn-
ten die Fürsorge mit lieblichem
Gesang. Eine besonders exoti-
sche Form, Insekten zu Helfern des
Menschen auszubilden, haben
Wissenschaftler in North Caroli-
na ersonnen. Sie rüsteten Schaben
mit winzigen Rucksäcken aus. Mithil-
fe der darin verstauten Elektronik lassen
sich die Tierchen durch schwache elektri-
sche Impulse fernsteuern. Künftig wollen
die Forscher ihre Schaben auch mit Sen-
soren oder Kameras ausstatten, um sie
dann zur Erkundung schwer zugäng licher
Hohlräume zu entsenden. Mög licherweise
könnten die Robo-Insekten sogar helfen,
im Katastrophenfall Kontakt zu Verschüt-
teten herzustellen.
Leichenschmaus der
Totengräber
Gäbe es keine Insekten mehr, umwehte
schon bald Kloakengeruch den Planeten.
Nur den unermüdlichen Patrouillen sechs-
beiniger Reinigungstruppen ist es zu ver-
danken, dass sich nicht allerorten Berge
von Kot und Kadavern ansammeln.
Augenscheinlich wird der stille Latrinen-
dienst nur, wenn er ausbleibt – etwa in
Australien, wo europäische Siedler vor
etwa 230 Jahren Rinder einführten.
Die heimischen Käfer,
die auf die Exkremente
von Beuteltieren einge-
stellt waren, verschmähten
die Fladen der Zugewander-
ten. Bald waren ganze Land-
striche mit einer Kruste aus ver-
trockneter Kuhkacke überzogen. Erst als
Forscher in den 60er- und 70er-Jahren
Dungkäferaus Afrika, Sri Lanka und
Europa importierten, wurde das Rinder-
kotproblem gelöst. Bei der Kadaverver-
wertung hingegen sehen sich die Insek-
ten der Konkurrenz großer Aasfresser
gegenüber. Deshalb kommt es für
sie darauf an, schneller zu sein.
Besonders geschickt operieren
dabei die Totengräber.Käfer die-
ser Gattung sind fähig, den Leich-
nam einer Maus binnen eines Tages mit-
unter 20 Zentimeter tief im Erdreich zu
vergraben. Pärchen arbeiten dabei im