122
S
ie wird mit Preisen gefeiert als Star des amerikanischen
Talkshowgeschäfts, aber nicht mal ihr eigener Mann
mag sich ihre Sendung noch ansehen. Katherine New -
bury heißt die Moderatorin, die im Film »Late Night« von
der britischen Schauspielerin Emma Thompson gespielt wird.
Eine Fernsehfrau mit stählernem Blick und exquisitem Klei-
dergeschmack, die stolz auf das Renommee ihrer Talksendung
ist, aber leider ihren Gästen nicht zuhört. Im Stress des Tages -
geschäfts ignoriert sie kühl, dass die Zuschauer längst lieber
bei der Konkurrenz (zum Beispiel bei Jimmy Fallon) ein-
schalten. Als ihre Senderchefin sie nach 28 Dienstjahren vor
der Kamera feuern will, beschließt Newbury zu kämpfen.
»Was genau ist das Problem mit meiner Show?«, will sie von
einer neuen Mitarbeiterin wissen. Die Antwort: »Sie sind
ein bisschen alt und ein bisschen weiß.«
»Late Night« spielt in einer von alternden weißen Frauen
dominierten Medienwelt, das gehört zu den kunstvollen
Reali tätsverschiebungen des Films. In dieser Welt verkün-
den Frauen eiskalt Entlassungen, werden Frauen zu #MeToo-
Täterinnen und diskriminieren Frauen das andere Ge-
schlecht – zum Beispiel eine ganze Crew männlicher Gag-
schreiber. Für Katherine Newbury, den Star im Kameralicht,
sind die Kerle aus dem sogenannten Writers’ Room ihrer
Redaktion es nicht mal wert, sich ihre Namen zu merken.
Sie hat sie einfach durchnummeriert.
Natürlich verlangt so viel Hochmut nach Läuterung. »Late
Night« erzählt davon, wie eine junge Frau mit Migrations -
hintergrund und ohne jede TV-Vorkenntnisse praktisch von
der New Yorker Straße weg engagiert wird, damit sie frischen
Wind in die Talkshowredaktion und in den Kopf der Star -
moderatorin bringt. Diese Frau, sie heißt Molly, wird gespielt
von Mindy Kaling, die in den USA selbst ein Star ist. Kaling,
deren Eltern aus Indien stammen, gehört zum Stammpersonal
der Serie »The Office« und war eine der Gangsterfrauen in
»Ocean’s 8«. Für »Late Night« hat sie das Drehbuch geschrieben.
Die Regisseurin Nisha Ganatra zeigt, wie zwei extrem un-
terschiedliche Heldinnen einander umkreisen, attackieren
und sich dann näherkommen. Zitternd vor Begeisterung tritt
die Amateurin Molly, die bis dahin in einer Fabrik geschuftet
und von einer Comedykarriere geträumt hat, zur Redaktions -
arbeit an und wird von ihrer Chefin vor versammelter Mann-
schaft sogleich übel heruntergeputzt. Man glaubt Emma
Thompson das Vergnügen anzusehen, das ihr dieser Auftritt
als ekliger Machtmensch bereitet, aber natürlich ahnt der
Zuschauer bereits, dass er das letzte Aufbäumen eines Alpha -
tiers betrachtet. Denn die nur angeblich superprofessionelle
Showmasterin Newbury bekommt ihren Beruf durch Molly
nun neu beigebracht.
Im Gewand einer scheinbar altmodischen Komödie be-
richtet »Late Night« davon, wie sehr sich in den vergangenen
Jahrzehnten die Talente verändert haben, die es braucht, um
sich Geltung zu verschaffen in der Medienwelt.
Die Heldin des Films muss lernen, sich witzig in
sozialen Medien zu präsentieren, mit im Stil von
YouTube-Streichen aufgenommenen Einspiel -
filmen zu punkten, vor allem aber sich selbst als
Marke und Mensch aus Fleisch und Blut darzu -
stellen. Die Verblüffung der Hauptfigur darüber,
dass sie nach all den Jahren plötzlich nicht bloß
eine Rolle spielen soll, sondern aufgefordert ist,
ihre eigenen Haltungen und Nöte öffentlich zu
machen, beschert dem Film seine komischsten
Momente. Ihre Frisur stylt sich Thompsons Hel-
din nun nach Art von David Bowie, bei Straßen-
interviews versucht sie sich unbeholfen als Kum-
peltyp, sogar ihren Studiogästen hört sie zu. Nur
ihr eisiger Gesichtsausdruck lässt sich nicht wirk-
lich korrigieren. »So sehe ich nun mal aus«, ächzt
sie in milder Verzweiflung.
Ganatras Film schafft es auf unterhaltsame Wei-
se, viele der Fragen zu verhandeln, über die in
Medienbetrieben in den USA und in Europa seit
Jahren gestritten wird: Diversität und Geschlech-
tergerechtigkeit, den Kampf um Glaubwürdigkeit,
um seriöse Information und um die richtige Story
zur rechten Zeit. Dabei gibt es Momente, in denen Kalings
Molly wie die Verkünderin einer Glücksbotschaft für eine
smartere, heiterere Medienzukunft wirkt. Ein bisschen mehr
Diversität, ein wenig mehr Geschlechtergerechtigkeit, eine
Prise Witz und mehr Neugier aufs Publikum – davon profitie-
ren in diesem Film praktisch alle, sogar die Fernsehzuschauer.
Weil aber Kinofilme über das Medium Fernsehen fast
immer Horrorfilme sind, von Sidney Lumets »Network«
(1976) bis zu Helmut Dietls »Late Show«
(1999), gibt es auch in »Late Night«
einen Typ, der die Mächte des Finsteren
verkörpert. Der Schauspieler Ike Barin-
holtz spielt einen windigen Nachwuchs-
moderator, der einen Sticker gegen poli-
tische Korrektheit spazieren trägt, die
Senderchefin charmiert und in den
Kulissen stets darauf lauert, den Job der
Talkgastgeberin Newbury zu überneh-
men. Sein Grinsen verrät: Mag der Publi-
kumsgeschmack heute noch schwan ken,
das Alter ist auf seiner Seite.
Wolfgang Höbel
Lehrstunden für
die Alphafrau
Filmkritik»Late Night« mit Emma Thompson
ist eine Medienkomödie auf der Höhe der Zeit.
DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019
Kultur
ENTERTAINMENT ONE
Darstellerin Thompson: »So sehe ich nun mal aus«
Video
Ausschnitte
aus »Late
Night«
spiegel.de/
sp352019kritik
oder in der App
DER SPIEGEL
Kinostart: 29. August