Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1

W


ahlkampf in Sachsen, Montag
Abend in Borna, südlich von
Leipzig. Rund 30 Bürger sind
ins Stadtkulturhaus gekom-
men, eingeladen hat die CDU. Es spricht
Rainer Wendt, Vorsitzender der Deut-
schen Polizeigewerkschaft, Mitglied der
CDU. Die offenen Grenzen für Flüchtlinge
2015: ein Fehler. Die Medien, von Wendt
»Redaktionsstuben« genannt: schauten
ideologisch auf die Polizei.
Als er sagt, die rot-rot-grüne Landes -
regierung in Berlin habe für die Drogen-
dealer im Görlitzer Park eigene Zonen ein-
gerichtet, wird es unruhig im Publikum.
»So ein Gesindel«, ruft ein Mann.
Eine Frau, die für die CDU Wahlkampf
macht, berichtet, viele Bürger würden sie
fragen, warum sie die Partei noch wählen
sollten. »Ich merke immer wieder, dass die
Menschen die sächsische Union verbinden
mit Angela Merkel«, sagt sie. Merkel wer-
de ihnen zur Last. »Das, was AKK ge-
macht hat am Wochenende, ist ein Schlag
ins Gesicht für alle, die an den Wahlstän-
den stehen.«
Was Annegret Kramp-Karrenbauer
gemacht hat, ist dies: In einem Interview
hat sie den Eindruck erweckt, sie könne
sich vorstellen, den ehemaligen Verfas-
sungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maa-
ßen aus der Partei auszuschließen. Später
hat sie vermelden lassen, sie habe diesen
Eindruck nicht erwecken wollen.
Im Kulturhaus von Borna sagt Wendt
zu der Wahlkämpferin: »Ich teile Ihre Ein-
schätzung. Als ich das am Wochenende
gelesen habe, habe ich mich gefragt, was
die geraucht haben.« Wie sei denn so
was möglich, zwei Wochen vor der Wahl,
»einen solchen Quatsch zu erzählen.«
Auch die Relativierungen seien nicht hilf-
reich gewesen. »Ich erwarte von unseren
Spitzenleuten, dass sie eindeutige Aus -
sagen treffen oder die Klappe halten«, sagt
Wendt. »Ich stehe treu und fest zu Hans-
Georg Maaßen.«
So sieht es derzeit aus am rechten Rand
der CDU: rüder Ton, Protest gegen das
eigene Führungspersonal. Wobei der Rand
in diesen Tagen ein Zentrum der Politik
ist. Vor allem dort wird um die liberale
Demokratie gerungen, vor allem dort wird
entschieden, wie stark die AfD bei den
kommenden Wahlen sein wird, zunächst
am 1. September in Sachsen und Bran -
denburg.
Ihr Hauptgegner ist die CDU, und in
dieser muss nun der rechte Rand der AfD
mögliche Wähler abjagen, eine Alternative
anbieten, konservativ, national, aber halb-
wegs anständig, ohne Rassismus, ohne die
Nazizeiten zu verharmlosen.
Der rechte Rand der Union ist gleich-
sam der letzte Vorposten der liberalen De-
mokratie. Er soll stark sein, aber nicht zu
stark, damit die CDU eine Partei der Mitte


bleiben kann. Das ist eine vertrackte Auf-
gabe für die Parteivorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer. Der seltsame Um-
gang mit Maaßen weckt Zweifel, ob sie ihr
gewachsen ist.
Wer ist der Anführer des konservativen
Flügels der CDU? Wolfgang Schäuble?
Muss als Bundestagspräsident halbwegs
neutral bleiben. Bundesgesundheitsminis-
ter Jens Spahn? Konzentriert sich auf sein
Amt und weiß, dass er für höhere Ziele,
das Kanzleramt zum Beispiel, nicht nur
einen Flügel vertreten darf. Friedrich
Merz? Hat sich halb zurückgezogen.
Nein, einer der Anführer ist Alexander
Mitsch, Beisitzer im Vorstand des Kreis-
verbands Rhein-Neckar der CDU. Und
Mitbegründer der WerteUnion, eines Ver-
eins, der derzeit die konservativen Posi-
tionen in der Union am lautesten vertritt.
Mitsch versteht sich als ein Vertreter der
traditionellen CDU, und das heißt vor
allem der CDU vor Merkel. In der Werte -
Union hat er Parteifreunde um sich ver-
sammelt, die die Berliner Politik der ver-
gangenen Jahre ablehnen, vor allem die
Flüchtlingspolitik. »Als dicht besiedeltes
Industrieland ist Deutschland ungeeignet
zur Aufnahme von Asylbewerbern und
Flüchtlingen«, heißt es im »Konservativen
Manifest« der WerteUnion.
Obwohl die WerteUnion sich offiziell
von der AfD abgrenzt, sind die Grenzen
zu den Rechtspopulisten fließend. Auf der
Website der WerteUnion heißt es in einem
»Traktat über den Zustand der Union«:
Merkel stehe nicht für Grundwerte. »Kein
Feuer brennt mehr für Vaterland und
Recht und Freiheit, sondern es (ver)bren-
nen die Grundlagen unserer Kultur.« Es
sei nicht zu fassen, wie unqualifiziert viele
CDU-Funktionäre auf die AfD eindro-
schen, obwohl ein großer Teil der AfD-

Mitglieder »Fleisch vom Fleische der
Union« seien.
Mitschs Verein hatte bis zur vergange-
nen Woche nur rund 2000 Mitglieder und
hätte nie große politische Bedeutung er-
langt, wenn nicht führende CDU-Politiker
öffentlich Sympathie bekundet hätten. Ge-
sundheitsminister Jens Spahn erklärte, im-
merhin, die CDU brauche Kreise wie die
WerteUnion, um die AfD überflüssig zu
machen. Der frühere Innenpolitiker Wolf-
gang Bosbach äußert sich laut Website
des Vereins ebenso positiv wie der Vorsit-
zende der CDU/CSU-Mittelstandsvereini-
gung Carsten Linnemann.
Eine weitere Anführerin des rechten
Flügels der CDU ist die Düsseldorfer
Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel.
Sie ist Sprecherin des Berliner Kreises,
in dem sich konservative Unionsparla-
mentarier aus Bund und Ländern organi-
siert haben. Sie gehört der WerteUnion
nicht an, aber sie lobt deren Mitglieder
als »engagierte Leute. Die WerteUnion
steht für Positionen, die viele in der Partei
vertreten«.
Pantel ist das Bindeglied zwischen dem
Parteiestablishment und der außerparla-
mentarischen Opposition zu Merkel. Sie
ist unerschrocken, das macht sie für die
Parteiführung gefährlich. »Wenn Frau Pan-
tel in der Fraktion aufsteht, hören die an-
deren zu«, sagt ein Fraktionskollege. »Sie
traut sich, die Sachen in der Flüchtlings-
politik zu fragen, die andere nicht mehr
ansprechen.«
Pantel gehört zu denen, die Kramp-Kar-
renbauer nicht nur leise, sondern offen kri-
tisieren. Die Parteichefin nehme »unsere
Sorgen und Inhalte nicht ernst«, sagt sie.
Und sie macht keinen Hehl daraus, dass
ihr ein anderer Kanzlerkandidat lieber
wäre: »Einen Automatismus zwischen Par-
teivorsitz und Kanzlerkandidatur gibt es
nicht«, sagt Pantel. »Wenn es so weit ist,
sollten wir die Mitglieder entscheiden las-
sen, wer für die Union als Spitzenkandidat
antritt. Das wäre demokratisch und fort-
schrittlich.«
Mitsch, Pantel. Das sind die Namen. Ein
bisschen mickrig ist das schon für den Vor-
posten der liberalen Demokratie, für den
deutschen Konservatismus, der einen Otto
von Bismarck oder einen Konrad Ade -
nauer in der Ahnengalerie hat. Aber da
ist ja noch ein anderer. Maaßen. Auch er
ist Mitglied der WerteUnion.
Die Mitgliederzahl sei in den vergan-
genen Tagen, seit dem Schnitzer Kramp-
Karrenbauers, um mehrere Hundert ge-
stiegen und liege mittlerweile bei fast
3000, sagt der Vorsitzende der Vereini-
gung, Alexander Mitsch. »Wir kommen
gar nicht mehr hinterher, alle Mitglieds-
anträge zu be arbeiten. Demnächst müs-
sen wir wohl eine Aufwandsentschädi-
gung für die Sachbearbeitung einplanen«,

DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019 27

NIKITA TERYOSHIN / DER SPIEGEL
Wahlkämpfer Maaßen
Galionsfigur der Unionsrechten
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