Der Spiegel - 24. August 2019

(WallPaper) #1

I


n einer Woche, die schon genug bizar-
re Momente bereithielt, stand der US-
Präsident auf dem Rasen vor dem
Weißen Haus und sagte: »Ich bin der Aus-
erwählte.« Man hätte es für einen Witz
halten können, Donald Trump hatte gera-
de über den Handelskrieg mit China ge-
sprochen. Aber um seine Worte zu unter-
streichen, blickte der Präsident in den
Himmel, damit auch jeder versteht, von
wem Trump seine Weisungen erhält.
Es war Mittwoch, wenige Stunden zuvor
hatte Trump einen für Anfang September
angekündigten Staatsbesuch in Dänemark
kurzfristig abgesagt. Der Präsident wollte
mit der dänischen Regierung über den
Kauf Grönlands verhandeln, der größten
Insel der Welt – doch der Deal kam nicht
zustande. Erstens entschieden die Grön-
länder selbst, was mit ihrer Insel passiere,
sagte die dänische Ministerpräsidentin Met-
te Frederiksen. Und zweitens stehe Grön-
land gar nicht zum Verkauf. Sie nannte
Trumps Idee »absurd«. Der Präsident be-
nutzte daraufhin das Wort »nasty« für Fre-
deriksen, »fies« – ein Begriff, den Trump
gern für Frauen verwendet, von denen er
sich schlecht behandelt fühlt: Hillary Clin-
ton, Nancy Pelosi, Meghan Markle.
Es gehört zur Routine des politischen
Betriebs in Washington, nach den rationa-
len Motiven für das oft erratische Handeln
des Präsidenten zu forschen. Sie setzte
auch diese Woche ein. In amerikanischen
Medien erschienen Abhandlungen, die den
großen historischen Bogen spannten: Hatte
der Kongress nicht schon im Jahr 1803
rund 15 Millionen Dollar für den Kauf
Louisianas von Frankreich bewilligt? Und
war es nicht ein fantastisches Schnäppchen,
als Präsident Andrew Johnson im Jahr
1867 Alaska für lächerliche 7,2 Millionen
Dollar von Russland erwarb?
Nur sind die Zeiten, in denen ganze Län-
der zum Verkauf stehen, schon lange vor-
bei. Eher treibt ein Eisbär auf einer Scholle
den Potomac hoch, als dass sich die Grön-
länder damit einverstanden erklären, ihre
Insel an die USA zu verkaufen. Umso
dringlicher stellen sich nun die Fragen: Ist
der mächtigste Mann der Welt eigentlich
noch ganz bei Trost? Und wer schützt ihn
vor sich selbst?

88 DER SPIEGEL Nr. 35 / 24. 8. 2019


Ausland

will Wasserstein nun sicher für Lieberman
stimmen.
Nach seinem Auftritt hat Lieberman Zeit
für ein kurzes Gespräch mit dem SPIEGEL.
Er hat mit seinem Team an einem Cafétisch
Platz genommen, bestellt Pizza für alle.
Lieberman ist entspannt, scherzt mit der
Bedienung und wirkt bester Laune. Für sei-
nen einstigen Koalitionspartner hat er aber
nur Kritik übrig: »Netanyahu hat alle seine
Positionen für die Religiösen aufgegeben«,
sagt Lieberman. »Sie geben jetzt den Ton
an.« Er erzählt von den Ideologen des Zio-
nismus, die einst »auch samstags Auto fuh-
ren«. Er habe das religiöse Diktat satt, sagt
Lieberman. »Wir müssen es bekämpfen.«
Weil der Wahlausgang stark von Lieber-
man und seinen russischsprachigen Wäh-
lern abhängt, arbeiten Benjamin Netanya-
hus Strategen mit Hochdruck daran, »die
Russen« zu erreichen. Seit Kurzem hat der
Likud einen Berater, der sich um die Be-
lange russischsprachiger Wähler kümmert.
An der Parteizentrale in Tel Aviv prangt
ein übergroßes Plakat, das Netanyahu mit
dem russischen Präsidenten Wladimir

Putin zeigt. Die Botschaft: Auch Netanyahu
ist ein Freund der Russen. »Bei früheren
Wahlen hat sich der Likud weniger auf die
russischsprachigen Wähler konzentriert«,
sagt Srulik Einhorn, ein Wahlkampfmana-
ger von Netanyahu. »Wir wussten ja, dass
Lieberman Teil der Koalition sein würde.
Aber jetzt müssen wir ihm die Russen ab-
nehmen.«
Deshalb sitzt Yuli Edelstein einige Tage
später in einer Bibliothek im Norden Israels.
Die Sonne geht bald unter – trotzdem hat
sich Edelstein Zeit genommen. Er ist die
Nummer zwei der Likud-Partei, gleich hin-
ter Netanyahu. Er ist Abgeordneter und
Sprecher des Parlaments. An diesem
Abend berät er mit russischsprachigen Un-
terstützern des Likud in einer parteiinter-
nen Veranstaltung die Frage: Wie kann man
mehr »Russen« für Netanyahu begeistern?
Etwa 80 Zuhörer haben sich versam-
melt: Männer in Karohemden, Frauen mit
blondierten Locken. Sie alle stammen aus
der Ex-Sowjetunion: aus Russland, der
Ukraine oder Weißrussland. Sie alle halten
Netanyahu für den besseren Anführer. »Er
verkehrt mit Putin und Trump«, sagt ein
älterer Herr. »Er sorgt dafür, dass Israel in
der Welt geachtet wird.«
Das ist die Strategie Netanyahus und
seiner Spindoktoren: Er gibt sich als Füh-
rer von Weltrang, der als Einziger imstan-

de sei, Israel gegen Bedrohungen von außen
zu beschützen. Ein Politiker wie Lieber-
man könne zwar das Establishment ärgern,
aber um international etwas zu bewegen,
sei seine Partei zu unbedeutend.
Netanyahu habe seit der Wahl im Jahr
2015 viel erreicht, betont Edelstein vor
seinen russischstämmigen Unterstützern.
»Dank Netanyahu wurde die amerikanische
Botschaft nach Jerusalem verlegt!« Dank
Netanyahu brumme die Wirtschaft. »Eure
russischen Bekannten werden sagen: Lie-
berman ist einer von uns. Aber auch der
Likud behandelt Russen gut. Hätte man
mich sonst zur Nummer zwei gemacht?«
Edelstein spricht mit ihnen auf Russisch:
Auch er stammt aus der ehemaligen Sow-
jetunion. Der Politiker wurde in Czerno-
witz in der heutigen Ukraine geboren und
kam 1987 nach Israel. Im Kampf um »die
Russen« ist Edelstein so etwas wie die
Geheimwaffe des Likud.
Während Lieberman bis heute Hebrä-
isch mit slawischem Akzent spricht und
das Klischee des bulligen Russen bedient,
gibt sich Edelstein feinsinnig. Er trägt
dunklen Zwirn, spricht leise und gewählt.
Ein Anti-Lieberman, der im Kampf um
»die Russen« an die Front geschickt wurde.
Seit Tagen tourt Edelstein durch ihre
Hochburgen: gestern Aschdod, davor Ofa-
kim in der Negevwüste. Nun dieser kleine
Ort in der Nähe von Haifa. Nur Netanyahu,
erzählt Edelstein an diesem Abend, sorge
für Sicherheit und Stärke – die Kernthe-
men der postsowjetischen Wählerschaft.
Edelsteins stärkstes Argument, um »die
Russen« zu gewinnen: Je mehr Stimmen
Lieberman bekommt, desto unwahrschein-
licher wird eine rechte Regierung. »Wer
Lieberman wählt, verhindert eine Koali -
tion der Rechten«, mahnt der Politiker. Die
Versammelten einigen sich darauf, diesen
Punkt im Wahlkampf besonders zu beto-
nen: Wer für Lieberman votiert, gibt den
Linken Auftrieb. Nichts macht »den Rus-
sen« mehr Angst als das.
Das ist einer der Gründe, warum Ella
Regev, die einst erleichtert über Yitzhak
Rabins Tod war, im September für Netan -
yahu stimmen will. Nur er, glaubt die ge-
bürtige Russin, habe die Erfahrung, die es
brauche, um »Linke und Araber« in
Schach zu halten. »Er wird nicht auf die
Idee kommen, das halbe Land zurück -
zugeben«, sagt Regev. Ihr Mann Boris da -
gegen unterstützt Avigdor Lieberman.
Netan yahu findet er zu lasch, besonders
gegenüber den Religiösen.
Das russischsprachige Paar hat eine
Tochter, die im September zum zweiten
Mal wählen darf. Für welche Partei sie sich
entscheiden wird? Regev zuckt die Schul-
tern. »Das ist mir egal«, sagt sie. »Haupt-
sache, rechts.« Alexandra Rojkov
Mail: [email protected]

»Netanyahu verkehrt mit
Putin und Trump.
Er sorgt dafür, dass Israel
geachtet wird.«

Messias im


Oval Office


USANach der Posse um
den Kauf Grönlands stellt sich
die Frage: Wer schützt den
Präsidenten vor sich selbst?
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