Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1

S


ommer. Leichte Kleidung, leichte
Gedanken. Auch wenn das enor-
me Ausmaß an unverhüllter
Menschheit mich manchmal den-
ken lässt, dass das mit der Vollver-
schleierung vielleicht doch gar
keine soooo schlechte Idee ...
Egal. Ich liebe diese Jahreszeit. Wenn es
ein ganzes Land nach draußen
zieht, man sich mit Aperol oder
Hugos mediterranisiert, bis
spätnachts in Gärten und an
Ufern feiert, das Leben genießt.
Und doch: Für manche ist
das alles ein Problem. Da sind
zum einen diejenigen, die be-
ruflich verstärkt ausrücken
müssen, weil junge Männer
nach dem Biergartenbesuch
den E-Scooter nutzen oder „da
noch ein bisschen Benzin in die
Kohle“ kippen wollten.
Und andere müssen nachts
raus, weil die Geräuschbe-
lastung sie vor anderer Leute
Haustüren treibt, um die
Nachtruhe anzumahnen. Denn
was für manche Sommernäch-
te voller Bacardi-Feeling sind,
ist für fragile Gemüter eine Art
nächtliches Guantánamo.
Es ist wie mit der Pizza, die
auch nur im Urlaub wirklich gut
schmeckt. Wir Deutschen lie-
ben das Laute, Beschwingte –
solange wir den Ramazzotti
noch im Herstellungsland trin-
ken. Die (akustische) Toleranz
endet irgendwo auf der A 1.
Mein Kumpel Andi ist so
einer. Ihn als geräuschemp-
findlich zu bezeichnen ist in
etwa so, als würde man be-
haupten, Boris Johnson wäre etwasextro-
vertiert.
Wir kennen ihn seit Jahren als engagier-
ten Ein-Mann-Lärmschutzwall, dermon-
tags von erfolgreichen Wochenendeinsät-
zen im Dienste der Nachtruhe zu berichten
weiß. Studentenpartys, Shop-Eröffnungen
und immer wieder diese vermaledeiten
Werbeagenturen mit ihrem Dachterrassen-

Enthusiasmus!SelbstBatmanschiebtwe-
nigerNachtschichtenalsAndi.
Klar,wirallekennendas:Wennwiruns
einmalauf einen Geruch,eineMacke,
einenSoundfixierthaben,dannhatdas
etwasunangenehmPackendes.ImFalle
meinesFreundesistdieMetamorphose
zum Pawlow’schen Bluthund, der bei
GeräuschenzurdebilenBettfluchtneigt,

nahezuvollständigabgeschlossen.Wir
allesindunssicher:BeiderPolizeiwirder
inzwischendirektzudenEntscheidungs-
trägerndurchgestellt.DenSpitznamen
„CityCobra“haterlängstweg.
Anderenwäredasunangenehm.Andi
scheinteszugenießen.Warumsonstwür-
deerunsmanchmalnachtsgegen2.30Uhr
eine SMS mit einer Emoji-
Schlangeschicken,nurumuns
wissenzulassen,dassdieKo-
brawiederzugebissenhat?
In den Sommernächten
kriegt der arme Kerl wahr-
scheinlichkaummehrSchlaf
alsvierStunden.Dennsoein
lärmender Moblässtsich ja
kaumimerstenVersuchdo-
mestizieren. Und außerdem
sinddieOrdnungshüter–„ah,
dieHerrnKollegensindda!“–
jaohneHilfevonAndikaumin
derLage,schnellundzielge-
richtetzumTatortzugelangen.
EsisteinScheißjob– abereiner
mussihnjamachen.
Langsam allerdingsfange
ichan,michzusorgen:Letz-
ten Montag berichtete uns
unser insomnischer Freund
voneinemEinsatz,derbereits
um 22 Uhr(!)seinenAnfang
genommen hatte. Bei den
NachbarnnochvorderDun-
kelheitdieNachtruheanmah-
nen –dasdürfteeinneuer
Rekordsein!
Es ist davon auszugehen,
dassAndischonbaldirgendwo
klingelt,weildieHipp-Gläs-
chenzuheftigklimpern,der
„Tatort“ zu laut gedreht ist
oder die Dunstabzugshaube
zustarklüftet.Eswirdspannendbleiben.
DennwiesagtdieCityCobraselbstso
schön?Irgendwoistimmerwerzulaut.
GuteNacht. 2

EsgibtdieseLeute,dieeinfachkeinenSpaß


daranhaben,dassandereSpaßhaben.


Vorallem,wennsiedabeiGeräuschemachen


Ruhehier!!!


102 15.8.2019

KOLUMNE


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BEISENHERZ


Der Autor und Moderator Micky Beisenherz(„DasLachenderAnderen“,„ZDFHeute-Show“,„Extra3“)
schreibt alle zwei Wochenimstern–undregelmäßigauchbeistern.de

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ILLUSTRATION: DIETER BRAUN/STERN; FOTO: DAVID MAUPILÉ
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