Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
Mit dem Erfolg kommtdieHäme.Dasistwohlso,
man muss sich damitabfinden.Abermichärgert
es, wenn ich in einergroßendeutschsprachigen
Tageszeitung einenKommentarlese,indemes
heißt, Greta Thunbergwürdeaufeiner„Segel-
yacht“ zum UN-GipfelnachNewYork„reisen“.Das
klingt nach Sommer,SonneundAperolSpritz
auf dem Achterdeck.
Ich bin mir nichtsicher,obGretaThunberg
weiß, worauf sie sicheingelassenhat.AmTagvor
Erscheinen dieser stern-AusgabewillsieanBord
der Rennyacht „MaliziaII“nachNewYorkaufbre-
chen, wo sie am 23.SeptemberaufdemUN-
Klimagipfel auftretenwill.Siehatsichfürdiese
10- bis 14-tägige Tourentschieden,weilsiekon-
sequent klimaneutralindieUSAkommenwoll-
te. Der deutsche ProfiseglerBorisHerrmannund
sein Partner Pierre Casiraghischlugenihrvor,sie
an Bord ihrer Hochseeregatta-Yachtmitzuneh-
men, Greta und ihr Vatersagtenzu.
Ein solches Boot isteinFormel-1-AutozurSee.
Eine Carbonhülle mitMastundSegeln,keinerlei
Komfort, es gibt nichtmaleineToiletteanBord.
Das Boot ist konzipiertfüreineRund-um-die-
Welt-Regatta, jedesKiloBallastistüberflüssig.So
erreicht es Geschwindigkeitenvonrund 45 Stun-
denkilometern, wasfürAutofahrernachwenig
klingt – auf hoher Seeheißtdas:rasen.Überdie
Wellen hüpfen, währenddasGroßsegelinferna-
lisch knattert undschlägt.MeinKollegeJonas
Breng durfte einen Törnaufder„MaliziaII“mit-
fahren, seinen ErfahrungsberichtlesenSieim
Anschluss an unsereTitelgeschichteaufSeite36.
So viel sei verraten:ErhieltzweiStundendurch,
bis die Seekrankheitzupackte.
Mit einer „Reise“aufeinerSegelyachthatdie-
ser Trip so viel zu tunwieeineMount-Everest-
Besteigung mit einemSonntagsausflugimHarz.
Umso erstaunlicherfindeiches,welchenSpott
und welche Kritik Greta Thunberg einstecken

M


muss.Nochimmergiltsienicht wenigen als eine
vonehrgeizigenElternferngesteuerte Marionet-
te,diedenKlimawandelfürPR-Zwecke missbrau-
chen.DieseReaktionenverraten viel über all die
ertapptenEntscheider,diejahrelang die Bedro-
hungdurchdieErwärmungerst geleugnet und
dannwegmoderierthaben.Siehaben nicht gehan-
delt,obwohldieUhrtickte.Ich erinnere mich gut
anDiskussioneninderstern-Redaktion um die
Frage,obesüberhaupteinen unregelmäßigen
Temperaturanstieggäbeund,wenn ja, ob der men-
schengemachtsei.Mann,hatten wir da Zeit!
GretaThunberghatunsallen mit ihrem Papp-
plakat„SchulstreikfürdasKlima“ das Stoppschild
vordieNasegehalten.DieFridays-for-Future-
BewegungistderBeweis,dass es doch noch eine
großeMengegibt,diepolitisch mobilisierbar ist,
nachdemAltparteienundGewerkschaften ver-
spielthaben.KurzesGedankenspiel: Es hätte
Gretaniegegeben.Washättesich in den vergan-
genenzwölfMonateninSachen Klimabewusst-
seinundNachhaltigkeitgetan?
Esistsicherrichtig:Rundum Greta Thunberg
gibtesinzwischeneineVielzahl von Beratern. Das
Gespräch,dasJonasBrengund Dominik Stawski
amMontagdieserWocheinPlymouth mit ihr
führenkonnten,brauchtewochenlange Vorberei-
tungen.EinInterviewmitBeyoncé oder Emma-
nuelMacrondürftenichtschwieriger zu bekom-
mensein.Aberdannsitztdaein sehr ernsthaftes
Mädchen,dasseinLebenumgekrempelt hat, um
weltweitdieMenschenzumUmdenken zu bewe-
gen.UnddasdafürdurchausStrapazen auf sich
nimmt.Ichhabedavorgrößten Respekt.
Danke,dassSiedensternlesen.

15.8.2019 3

Florian Gless, Chefredakteur

Liebe Leserin, lieber Leser!


Herzlich Ihr


EDITORIAL

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