Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
FOTO: DANAPRESS

men mit dem Fahrrad zum Pier. Es ist ein


sonniger Montagmorgen an Englands


Südspitze, in Plymouth, dem Ort, an dem


Greta in wenigen Tagen ihre Reise in die


USA beginnen wird. Es ist der Start einer


Mission: Ganz Europa kennt dieses schwe-


dische Mädchen. Aber nun will sie mit ihrer


Botschaft auch Amerika erobern, den Kon-


tinent, auf dem der Kampf ums Klima ent-


schieden wird. Die USA sind die größte


Volkswirtschaft der Welt. Und weiter im Sü-


den, in Brasilien, liegt der größte Regenwald


der Erde. Beide Länder werden angeführt


von Männern, die, vorsichtig formuliert, an-


ders denken als Greta. Donald Trump und


Jair Bolsonaro, zwei Rüpel der Weltpolitik.


Greta und ihr Vater steigen von den Rä-


dern. Managerin Erika nimmt ihnen die


Helme ab. Greta ist im Januar 16 Jahre alt


geworden, aber sie sieht kleiner und jünger


aus. Sie steht mitten auf dem Parkplatz vor


dem Pier. Nicht nur der stern wartet hier auf


sie. Auch ein Fernsehteam des britischen


Senders BBC und das Segelteam, das Greta


und ihren Vater in die USA bringen soll, sind


da. Heute ist ein Trainingstag. Und dieses


Training ist kein Spaßtermin. Greta reist


auf einem Sportboot, das so schnell wer-


den kann wie ein Auto auf der Landstraße.


Nur gibt es auf diesem Boot kein ABS-Sys-


tem. Wenn es Fahrt aufnimmt, wenn der


Wind die Segel peitscht, dann springt es


über die Wellen, neigt sich extrem. Es ist


das Gegenteil von Komfort (siehe Seite 36).


Aber was ist die Alternative, wenn man


so kompromisslos wie Greta denkt, wenn


es nicht infrage kommt, ein Flugzeug oder


ein Kreuzfahrtschiff zu betreten? Zwischen


Amerika und Plymouth liegen mehr als


5000 Kilometer, zwei Wochen auf hoher


See. Das Ziel lautet: null Emissionen.


Greta schaut verloren aus auf diesem


Parkplatz. Die Menschen halten Abstand,


weil sie unsicher sind, wie sie dieses schüch-
tern wirkende Mädchen ansprechen sollen.
Das Segelteam ruft sie herbei. Erst einmal
beginnt die Anprobe. Greta schlüpft in
einen schwarzen Segelanzug, darauf die
Embleme der Sponsoren, die alle ein wenig
Glanz abbekommen wollen von ihr. Hin-
ten auf dem Rücken prangt ihr Vorname.
Dann ist sie bereit zum Interview. Setzt
sich an den Tisch vorm „Jolly Jacks“, dem
Hafencafé, das noch geschlossen hat. Aber
die Terrasse verspricht ein bisschen mehr
Ruhe als der Parkplatz.
Mit Greta gibt es keinen Small Talk. Sie
braucht das nicht, sie könnte es auch gar
nicht. Nur ein kurzes „Schön, euch zu tref-
fen“ kommt ihr über die Lippen. Dann will
sie über ihre Mission sprechen, über das
Boot, auch über Donald Trump. Viel Zeit
hat sie nicht.

Greta, du wirst mit einer Rennyacht den
Atlantik überqueren. Das ist kein unge-
fährliches Abenteuer. Ist das Risiko nicht
zu hoch?
Die Reise wird hart und eine Herausforde-
rung. Vielleicht muss ich einen persön-
lichen Preis bezahlen, aber es gibt nicht
viele Menschen, die überhaupt die Mög-
lichkeit haben, auf diese Art zu reisen. Ich
habe sie und dachte: Warum nicht?
An Bord gibt es kein richtiges Bett, keine
Toilette, kein fließend Wasser, es ist ex-
trem laut, und es schwankt permanent.
Was, wenn du dich zwei Wochen lang
übergeben musst?
Dann werde ich mich eben zwei Wochen
lang übergeben. Solange es nicht schlimmer
wird als das, werde ich es schon aushalten.
Es sind eben auch nur zwei Wochen, und an
Bord gibt es Medizin gegen Seekrankheit.
Was wirst du die ganze Zeit an Bord tun?
Im Moment plane ich vor allem, mich zu
entspannen. Ich nehme es, wie es kommt.

Ich will einfach mit dem Flow gehen. Ehr-
lich gesagt freue ich mich sehr darauf,
endlich mal isoliert zu sein. Einfach nichts
anderes zu tun zu haben. Keine Interviews.
Keine Verpflichtungen. Und auch nicht
so viel Internet und Handy.
Hast du Bücher dabei?
Ja, ziemlich viele. Zum Beispiel „Quiet“ von
Susan Cain.
Ein Buch über die Macht introvertierter
Menschen. Auch andere?
Ja, auch einige Romane und Sachbücher.
Außerdem haben ich und mein Vater uns
Hörbücher heruntergeladen. Wir sind also
vorbereitet.
Du reist zusammen mit dem deutschen
Profisegler Boris Herrmann und Pierre
Casiraghi, einem Prinzen von Monaco.
Habt ihr über die gefährlichsten Szena-
rien dieser Reise gesprochen, einen
Sturm zum Beispiel?
Das Sicherheitsbriefing ist erst kurz vor
der Abreise, aber ich und mein Vater hat-
ten viele Möglichkeiten, diese Fragen zu
stellen. Ich vertraue auf Boris und Pierre,
weil sie sehr erfahren sind und das Boot
sehr modern ist und auf dem neuesten
technischen Stand. Es gibt kein großes
Risiko, dass schlimme Sachen passieren.
Ich mache mir keine Sorgen um meine
Sicherheit.
Du gehst sehr offen mit deinem Asper-
ger-Syndrom um. Ist eine Hochseeyacht
auf dem Atlantik wirklich der richtige
Ort für dich?
Das wird sich herausstellen. In mancher
Hinsicht ja. In anderer nein. Was mir hilft,
ist ein begrenzter Raum, feste Routinen
und klare Anweisungen. Auf See trifft man
ja nicht so viele neue Leute und hat wenig
neue Eindrücke zu verarbeiten. Auf der
anderen Seite ist es an Bord sehr eng, und
man ist nie allein. Aber an den Kojen gibt
es Vorhänge.
Die wurden extra für dich angebracht.
Ja, wenn ich also meine Ruhe haben will,
mache ich einfach den Reißverschluss zu
und bin für mich.

Die Leute, die nun immer um sie herum
sind. Das ist der größte Preis, den Greta
zahlt. Sie fühlt sich nicht wohl unter vie-
len Menschen. Aber solche Situationen
lassen sich nicht vermeiden, wenn man die
Welt zum Umdenken bringen will. In einer
Traube von Leuten geht sie später stumm
über den Steg zum Boot. Die stern-Fotogra-
fin geht voran, beugt sich hinab, beobach-
tet jeden ihrer Schritte. Gretas Gesicht 4

Das Boot bei einer Regatta vor Monte Carlo

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