Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
Jonas Breng (l.)
traf Greta Thunberg
zum ersten Mal im
Januar 2019 in Davos.
Dominik Stawski würde niemals mit der „Malizia II“
über den Atlantik fahren. Anke Luckmann
FOTOS: ANKE LUCKMANN/KAITIETZ.DE; POSTPRODUKTION: TREY fotografierte Greta auf dem Steg und an Bord

in diesen Minuten weit und breit nicht zu
sehen. Es gab nur eine Frau aus dem Team
von Profisegler Boris Herrmann, die zuck-
te, als die vierte und fünfte Frage zu Trump
gestellt wurde, aber auch da antwortete
Greta allein.
Sie ist noch ein Kind, und doch erlebt sie
mehr Aufmerksamkeit als die meisten
Staatschefs. „Es kostet extrem viel Energie“,
sagt ihr Vater auf dem Steg. „Überall ver-
suchen die Leute, sie zu benutzen, um Auf-
merksamkeit zu bekommen. Wo immer sie
hingeht, warten die Leute und wollen ein
Bild. Und Greta will immer nett sein und
ein Bild machen.“ Ob er ihr Beschützer sei?
„Nein, kein Beschützer.“ Obwohl er sich
schon Sorgen mache, denn heute kann
überall auf der Welt plötzlich etwas pas-
sieren. „Mir geht es nur darum, dass sie sich
gut fühlt.“
Die Jahre mit Greta seien schwer gewe-
sen, ihre Krankheit, die Essstörungen, ihre
Stimmungen. Sie habe es kaum ausge-
halten, mit ihren Mitschülern zu essen.
Abends sei sie weinend ins Bett gegangen.
Das sei nun anders. „Im Zelt in Davos
schlief sie durch, während ich kein Auge
zumachte.“ Und gestern hier in Plymouth
kurz vor der großen Reise? „Zwei Minuten,
dann war sie weg“, sagt Svante Thunberg.
„Ihr geht es nicht nur besser. Ihr geht es
unfassbar viel, viel besser!“

Würde sie es sagen, wenn es anders wäre?
„Sie ist total durchsichtig. Ich sehe es
gleich, wenn es ihr nicht gut geht.“ Jetzt
gerade auf dem Steg, wo sie sich für das
Fotoshooting positioniert? „Ja, jetzt ge-
rade wäre sie lieber allein“, sagt ihr Vater.
Greta stellt sich auf wie ein Model. Die
Fotografin bittet sie, den Zopf über die
Schulter nach vorn zu legen. Den Fuß auf
ein Podest zu stellen. Greta verschränkt
die Arme. Die Lichtstrahler erhellen ihr
Gesicht, das weder fröhlich noch grimmig
wirkt. Im Hintergrund bringt Boris Herr-
mann die letzten Gegenstände an Bord, eine
Kiste mit Essen. Er zieht das Großsegel am
Mast hoch. Das BBC-Team macht die Kame-
ra klar. Svante Thunberg schaut herüber.
Ob Greta die Berühmtheit genieße?
Thunberg schüttelt den Kopf. „Berühmtsein
bedeutet nichts. Absolut nicht!“, sagt er. „Es
kann nett sein, aber auch sehr schwer.“ Er
und seine Tochter wüssten beide, dass die
Aufmerksamkeit irgendwann verschwin-
den wird. Dass es Höhepunkte gibt wie die-
sen vor der Abfahrt nach Amerika. Aber
dass auch andere Zeiten kommen werden.
„Das wahre Leben ist in Stockholm“, sagt
er. „Sie träumt davon, wieder in die Schule
zu gehen.“
Die Schule war einverstanden, dass Greta
eine Auszeit nimmt, um für ihre Sache zu
kämpfen. In New York will sie am Klima-

gipfel der Vereinten Nationen teilnehmen.
Im September folgt die Klimakonferenz in
Santiago de Chile. Wie sie nach Chile kom-
men, sagt Svante Thunberg, wüssten sie
noch gar nicht. Auch nicht, wie es irgend-
wann zurück nach Europa geht. Viel ist im-
provisiert bei den Thunbergs. In Schweden
warten nun Gretas Mutter und ihre kleine
Schwester. Die Mutter, sagt der Vater, habe
zu Greta gesagt: „Ich bin diejenige, die am
allerwenigsten will, dass du gehst. Aber
wenn du es tun musst ...“ Jeden Tag telefo-
nieren sie miteinander. Ansonsten kann
sie Greta in den Nachrichten sehen.
Und die Schwester? War sie neidisch?
„Am Anfang war es schwer. An einem Tag
10 000 neue Follower für Greta. Heute sind
es Hunderttausende.“ Aber die Schwester
habe sich daran gewöhnt. „Sie liebt es zu
singen und zu tanzen. Auf der Bühne zu
stehen. Ich habe zwei Töchter, und ich bin
auf beide gleich stolz“, sagt der Vater.
In diesem Moment ist das Fotoshooting
erledigt. Greta springt auf das Boot „Sie
ist einer der mutigsten Menschen, die ich
kenne“, sagt Svante. „Gestern sah sie das ers-
te Mal das Boot und sagte nur: Alles klar.“
Der Himmel ist inzwischen grau gewor-
den. Regen kündigt sich an. Aber der gehört
dazu. Auf dem Meer sind die Umstände
immer ungewiss. Genauso wie die ganze
Reise. Wird sie es überhaupt über den At-
lantik schaffen? Wer wird ihr zuhören in
den USA? Was wird bleiben von der Reise?
Am Tisch vor dem „Jolly Jacks“ kann sie
einmal träumen.

Was würdest du tun, wenn deine Mission
erfüllt wäre?
Wenn wir wirklich unser Ziel erreichen,
wenn wir sicher sind, dass wir die Erwär-
mung bei unter 1,5 Grad halten, und alle
glücklich sind, dann würde ich wahrschein-
lich einfach tun, was ich will.
Und das ist?
In meiner Kindheit habe ich mir alle mög-
lichen Berufe vorgestellt. Das ändert sich
ständig. Ich hoffe einfach, dass ich da sein
werde, wo ich am meisten gebraucht werde.
In der Politik?
Vielleicht. 2

YACHT DER RICHTIGE ORT FÜR DICH?


SICH HERAUSSTELLEN“


15.8.2019 35
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