Gassengewirr. Wo sich früher Pferdedroschke und Esels-
gespann kreuzten, fühlt sich heute auch der E-Scooter-
fahrer noch wohl. Zum Beispiel im Hamburger Vergnü-
gungsviertel St. Pauli. Hier ist man nun allerdings
leider vollends der Lächerlichkeit preisgegeben. Nach
ihren verächtlichen Blicken zu urteilen, scheinen mir
die Prostituierten nicht nur die allgemeine Zurech-
nungsfähigkeit, sondern sogar die Geschlechtsreife
abzusprechen. Selbst spielerisches Wedeln, das die ge-
neigten Zuschauerinnen doch eigentlich von geübten
Skifahrern zu schätzen gelernt haben müssten, scheint
mich nicht viel attraktiver zu machen. Es wird wohl
noch sehr lange dauern, bis nachhaltige Mikromobili-
tät in der Autorepublik Deutschland auch sexy ist.
A
n einer gelungenen Verkehrspolitik lässt sich
ablesen, wie zukunftswillig eine Gesellschaft
wirklich ist. Eine einstündige Fahrt mit dem
„iPhone der Mobilität“ zeigt, wie prähistorisch
der Verkehr in unseren Städten organisiert ist – trotz
Marketing-Blabla von „Smart Cities“ und „Verkehrs-
wende“. Dabei müsste doch inzwischen klar sein, dass
die Bestandsflotte von fast 50 Millionen fahrbaren,
CO 2 -ausspuckenden, mit Blech umbauten Privatwohn-
zimmern einfach nicht zukunftsfähig ist. Trotzdem
terrorisiert das Auto die Gesellschaft schlimmer als je
zuvor.
2018 starben in Deutschland 445 Radfahrer, 63 mehr
als 2017. Es ist schlicht verrückt: Die umweltfreundlichs-
ten Verkehrsmittel sind lebensgefährlich. Und schuld
daran ist die Verkehrspolitik. Deutschlands erfahrens-
ter Unfallforscher, Siegfried Brockmann, wagt es heute
schon nicht mehr, in Berlin mit dem Fahrrad zur Arbeit
zu fahren. „Ich bin leider der Meinung, dass Radfahren
keine sichere Fortbewegungsart ist“, sagte er jüngst der
Tageszeitung „Die Welt“. „Zu viele Gefahren lauern“, so
Brockmann.
Man kann ja noch verstehen, wenn es einer Zivilisa-
tion nicht sofort gelingen kann, ihren gesamten Plas-
tikmüll diskret in die Ringe des Saturns zu kippen.
Aber es kann doch nicht so schwer sein, eine euro-
päische Stadt einigermaßen sicher für sämtliche
Verkehrsteilnehmer zu machen. Man müsste ja nicht
einmal selbst nachdenken. Sondern einfach nur nach
Kopenhagen, Utrecht oder Amsterdam fahren und
nachschauen, wie man es dort macht. Und es dann ein-
fach nachmachen.
Cool? Uncool? Gegen E-Scooter ist außer geschmäck-
lerischer Stilkritik nicht viel einzuwenden. Gäbe es ein
gut ausgebautes Netz von sicheren, breiten Radwegen,
wären sie ein sinnvoller Baustein in menschenfreund-
lichem Stadtverkehr. Aber am Ende einer jeden Fahrt
muss man leider sagen: Auf die E-Rollerfahrer wartet
wohl ein noch schlimmeres Los, als es die Radfahrer
schon haben. Während die Gesamtzahl der Verkehrsto-
ten in Deutschland seit vielen Jahren sinkt, steigt die
der getöteten Radfahrer. Bislang verletzen sich von
allen Verkehrsteilnehmern Radfahrer noch am häufigs-
ten. Das wird von den E-Rollerfahrern wohl bald über-
troffen werden.
Wer in Deutschland einigermaßen sicher im Verkehr
unterwegs sein will, muss immer noch Auto fahren. Das
sorgt dann auch für Arbeitsplätze im Industriezweig
Nummer eins. Alle anderen können sterben. Und beim
nächsten Mal erwischt es vielleicht mich. 2
15.8.2019 47