Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
Johannes Röhrig verfolgte den
Betrugsprozess gegen Alexander
Falk. Er hätte nicht damit gerechnet,
sich erneut um den Unternehmer
kümmern zu müssen. Im aktuellen Fall
sichtete er die Anklage sowieweitereAkten

auf den Jahre später geschossen wurde. Die
Anwälte wollten den Strafprozess nutzen,
um Munition für ein späteres Schadens-
ersatzverfahren zu sammeln. Dabei gingen
sie nicht zimperlich vor: Zeugen aus Lon-
don wurden vor ihren Aussagen durch
einer Beraterfirma „geschult“. Der Kon-
kursverwalter der inzwischen insolventen
Ision räumte sogar ein, von Schadens-
ersatzzahlungen zu profitieren.
Alexander Falk war fortan überzeugt, die
Briten hätten entlastende Beweise unter-
drückt. Und er wollte den entscheidenden
Beleg für seine Entlastung finden: ein
Papier, das zeigen sollte, dass man bei En-
ergis über die aufgeblähten Umsätze im
Bilde gewesen war. Wo keine Täuschung,
da kein Betrug, da kein Knast – und kein
Schadensersatz. Falk hätte, so hoffte er, sein
altes Leben zurückbekommen. Er wollte
unbedingt dieses Papier. Die Frage ist nur:
Wie weit war er bereit, dafür zu gehen?
Während seiner Haft lernte Alexander
Falk den zwielichtigen türkischen Ge-
schäftsmann Cihan B., genannt Ciko, ken-
nen, einen Typen aus dem Boxer-Milieu.
Im Sommer 2007 bot Ciko Falk seine Hilfe
an: Er besitze einen Draht zu einem „Ex-
perten“ im türkischen Verteidigungsmi-
nisterium, der sich in den Computer eines
der Anwälte hacken und den ersehnten
Entlastungsbeweis beschaffen könne. Falk
zeigte sich begeistert. Er war damals auf
Kaution frei und lobte fünf Millionen Euro
für die „Datenbeschaffung“ aus.

D


ie Schilderung dieses Vorgangs stammt
von Falk selbst, aus seiner Aussage
in Frankfurt. Falk soll den „Experten“
damals sogar einmal persönlich getroffen
haben. Auch eine erste Datenstichprobe
wurde präsentiert, offenbar war der Hacker
tatsächlich in einen Computer eingedrun-
gen. Am Ende aber wurde aus der Beschaf-
fung nichts: Plötzlich sollten statt fünf
Millionen 50 Millionen Euro gezahlt
werden. Falk musste passen.
Mit der Zeit, das weiß man heute, ver-
band Falk mehr mit Ciko B. als eine locke-
re Bekanntschaft: Gemeinsam verfolgten
sie Immobilienprojekte in der Türkei.
Außerdem lieh sich Falk von Ciko 250 000
Euro. Die beiden heckten auch einen wei-
teren Plan aus, um den Energis-Anwälten
die Papiere abzujagen: Ein als türkische
Putzkolonne getarnter Trupp sollte
heimlich eine Spähsoftware auf den Büro-
rechnern installieren. Doch auch daraus
wurde nichts.
Die nächste Zusammenarbeit zwischen
Falk und dem kriminellen Milieu hin-
gegen soll laut Anklage weiter gediehen

sein: ImSeptember 2009 sollsichderMil-
lionärssohnineinerFilialederSteak-Ket-
te BlockHousemitCikosBrudergetroffen
haben,seinName:Niyazi„Ali“B.Falkhabe
ihm den Auftragerteilt, denClifford-
Chance-AnwaltWolfgangJ. tötenzulas-
sen. „DuweißtvonderBazille“,sollFalkge-
sagt haben,siesolle„eiskalt“gemachtwer-
den. Erhabedafür 200000 Euroübergeben.
BezeugtwirddieseangeblicheSzenevon
zwei PersonenausdemMilieu,vomtür-

kischstämmigenEtemE.,derangab,an
dem Gesprächpersönlichteilgenommen
zu haben,sowievondessenVerwandten
SerhadY.EtemE.istalsKriminellerpoli-
zeibekannt.FalksVerteidigervermuten,er
sei zugleichalsV-Manntätiggewesen.
JedenfallswaresE.,dersichimAugust 2017
an dieHamburgerKripowandteunddie
ErmittlungeninGangbrachte.
AlexanderFalkbeteuertbisheute,die
Geschichteseierfunden:DasTreffen 2009
habe esnichtgegeben,EtemE.habeererst
viel späterkennengelernt–nachdemAn-
schlag–,undaußerdem,soargumentiert
die Verteidigung,gebeesfürdenangebli-
chenAuftragkeinplausiblesMotiv.Im
Gegenteil: Die Chance,diskret an die
Computerdatenzukommen,seidurchdas
Gewaltverbrechenendgültigzunichtege-
machtworden.
Eine „versuchte Anstiftung“ist eine
BesonderheitimStrafgesetz:Selbstwenn
dem ausgesuchtenOpfernichtsgeschieht


  • schonderböseWillewirdgeahndet:Auf
    versuchteAnstiftungzumMordstehen
    mindestens drei Jahre Haft. Vor dem
    FrankfurterGerichtwirdesalsodarauf
    ankommen, welcher Aussage die Richter
    Glauben schenken – der von Etem E. oder
    der von Falk.
    Fest steht bisher einzig der Hergang des
    Anschlags: Am Morgen des 8. Februar 2010,


gegen 8.50 Uhr am Stadtrand von Frank-
furt, verstaut Wolfgang J. gerade die Akten-
tasche in seinem Mazda, als ein Mann mit
dunkler Wollmütze und Bomberjacke
ruhigen Schrittes auf ihn zugeht, dicht
herantritt und abdrückt. Die Kugel aus der
kleinkalibrigen Waffe durchschlägt den
linken Oberschenkel. Danach entkommt
der Täter unerkannt.
Nach dem Attentat legte Wolfgang J.
sofort das Mandat im Falk-Prozess nieder.
Für den Fortlauf des Rechtsstreits änderte
das allerdings nichts: Die Kanzlei Clifford
Chance beschäftigt weltweit mehrere Tau-
send Anwälte, Kollegen von J. führten den
Prozess zu Ende. Später wurde Falk zu
Schadensersatzzahlungen in dreistelliger
Millionenhöhe verurteilt.
Der jetzt anstehende Prozess in Frank-
furt wird auch um eine achtminütige Ton-
bandaufnahme kreisen, die am 28. Juni
2010 in einem Restaurant in Istanbul auf-
genommen wurde – darauf die Stimmen
von Ciko B., von einem gewissen Hasan
und von Alexander Falk. Der sagt an einer
Stelle: „Das war dann auch ein richtiges
Signal.“ Und weiter: „Nachdem ich jetzt
auch versucht habe, die Akten zu bekom-
men, war das die einzige richtige Konse-
quenz, dem mal ins Bein zu ballern.“
Die Anklage wertet den Mitschnitt als
eine Art Geständnis. Die Verteidigung
hingegen sieht darin eine Entlastung. „Von
einem Auftrag ist da nirgendwo die Rede,
schon gar nicht von einem Mordauftrag“,
sagt Falks Verteidiger Björn Gercke, „selbst
B. erwähnt keinen Auftrag.“
Dabei wurde das Tonband von den Brü-
dern Ciko und Ali B. offenbar gezielt er-
stellt, um Falk zu erpressen. Seit 2010 ging
bei den Falks eine Serie von Erpresser-
schreiben ein, zum Teil nehmen sie Bezug
auf das Tonband. Erst als die Familie nicht
nur den alten Kredit von 250 000 Euro tilg-
te, sondern den Brüdern B. eine gleich hohe
Summe als „Investition“ überwies, trat
vorläufig Ruhe ein.
Etem E. arbeitete einst als Laufbursche
für Ciko und Ali B. Er war es, der der Kripo
eine Mitschnitt des Bandes übergab. Mitt-
lerweile steht aber auch E. im Fokus. Die
Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt
wegen des „Verdachts der Beihilfe zum
versuchten Mord“ – gegen ihren eigenen
Kronzeugen. 2

„DIE EINZIGE


RICHTIGE


KONSEQUENZ,


DEM EINMAL


INS BEIN


ZU BALLERN“


15.8.2019 49
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