Ratgeber Frau und Familie - September 2019

(Jacob Rumans) #1
140 Ratgeber 9/2019

Valerie wusste, dass Renate geschieden war und erin-
nerte sich nun daran, dass diese immer besonders
glücklich dreinsah, wenn sie Hektor erblickte. Trotz ih-
res eigenen Elends wurde es Valerie ganz warm ums
Herz. Wenn sie sich nicht täuschte, wuchs da gerade
ein zartes Pflänzchen der Zuneigung. Allerdings
konnte es durchaus sein, dass die Betreffenden selbst
noch gar nichts davon wissen wollten ...


So schien es tatsächlich zu sein. Als Valerie und Hektor
sich am späten Nachmittag des nächsten Tages zu
einem Spaziergang im Park trafen, kniff ihr Kumpel
seine Augen verwirrt zusammen, als sie ihn auf Renate
ansprach. „Die ist nur freundlich zu mir, weil ich ihr
Tanzschüler bin“, protestierte er. „Meinst du wirklich?“
Hihi, erneut hatten seine Wangen Farbe angenommen.
Aber jetzt nicht rosa, sondern tiefrot. Es war zum
Schießen! „Du bildest dir was ein!“, meinte er schroff.
„Findest du sie nicht nett?“, fragte Valerie. Hektor
seufzte laut auf. „Ich finde sie sogar mehr als nett. Sie
ist bezaubernd. Aber ich bin schon so lange Single, da
kann ich doch nicht ...“ „Dein Leben ändern?“, warf
Valerie ein und stieß ihm mit dem Ellenbogen in die
Seite. „Ich finde, man muss auch mal mutig sein und
sein Glück beim Schopf packen!“
In der nächsten Sekunde war sie jedoch alles andere als
mutig. Ein Stück vor ihnen hatte sie Oliver entdeckt.
Neben einer attraktiven Frau lief er, einen jungen Beagle
an der Leine haltend, über die Hundewiese. Zum
Glück hatte er Valerie noch nicht bemerkt. Diese
sprang hinter den dicken Stamm einer Eiche und
machte sich so klein wie möglich. Dabei vermied sie es,
Hektor anzusehen, der ihr einen Blick zuwarf, der nur


eines bedeuten konnte: Sie hatte seiner Meinung nach
nicht mehr alle Tassen im Schrank. Vermutlich hatte er
sogar recht.
Am nächsten Morgen im Lehrerzimmer versuchte sie
so gut wie möglich Oliver zu ignorieren. Eine Weile
ging es gut, doch kurz vor dem Ertönen der Schulglocke
stellte er sich ihr einfach in den Weg. „Bist du sauer
auf mich?“ „Überhaupt nicht!“, rief sie wohl etwas zu
theatralisch aus, „wir sind doch gute Kollegen!“ „Aha“,
sagte Oliver und verzog das Gesicht. „Gestern im Park
hatte ich allerdings das Gefühl, du versteckst dich vor
mir.“ Mist! Hatte er sie also doch gesehen! Sie versuchte
so unschuldig wie möglich zu wirken, zwirbelte dabei
aber dermaßen dümmlich an ihren langen Haaren
rum, dass sie alles andere als unverdächtig wirken
musste. „Ich habe dich nicht gesehen“, schwindelte sie
dennoch frech, „aber im Park war ich tatsächlich. Mit
Hektor.“ „Ich war mit Lotte dort“, erklärte Oliver über-
flüssigerweise, „von der wollte ich dir ja schon gestern
erzählen.“ „Kein Interesse!“, hätte sie ihn am liebsten
angekeift, besann sich jedoch noch im letzten Moment.
Hoffentlich halbwegs gelassen steckte sie eine Hand in
die Tasche ihrer Jeans – abgeguckt von den Kids ihrer
Schule – und meinte so cool wie möglich: „Das muss
leider warten. Ich stecke bis über beide Ohren in Ar-
beit.“ Oliver nickte. „Alles klar. Aber morgen treffen
wir uns doch zum Kaffee, nicht wahr?“
Valerie schluckte mehrmals. Vielleicht meinte er es ja
gar nicht böse. Manche Menschen flirteten sich be-
schwingt durchs Leben, es war ihnen vermutlich gar
nicht bewusst, dass sie reihenweise Herzen brachen. In
ihr sah Oliver halt nur eine nette Kollegin, mehr nicht.
Ihre Schuld, wenn sie gleich auf Wolke sieben schwebte.
„Tut mir leid, aber einen gemeinsamen Kaffee halte ich
in dieser Situation für keine besonders gute Idee“, sagte
sie wahrheitsgemäß.
Oliver biss sich auf die Unterlippe. „Natürlich. Wegen
Hektor.“ Verständnislos funkelte sie ihn an. Was hatte
denn Hektor damit zu tun? Seine Lotte war das Pro-
blem! Aber das mussten sie nun wirklich hier nicht
ausdiskutieren.
Am nächsten Mittwoch, eine Stunde vor Tanzschul-
beginn, klingelte ihr Handy. Hektor war dran und jam-
merte, dass er sich den Fuß ganz böse verstaucht hatte.
„Du bist einfach feige wegen Renate!“, konterte sie, die
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