Ratgeber Frau und Familie - September 2019

(Jacob Rumans) #1
9/2019 Ratgeber 141

sofort erkannte, wie der Hase lief. Doch Hektor stritt
alles ab – und blieb standhaft bei seiner Version, dass
sein Knöchel dick wie ein Tennisball wäre. Ja, ja.
Valerie, die bereits in ein geblümtes Kleid für den
Tanzkurs geschlüpft war und im Flur stand, seufzte
laut auf. Der Tanzkurs als Ablenkung hätte ihr gut -
getan, dummerweise kreisten ihre Gedanken nach
wie vor um Oliver. Da klingelte ihr Telefon erneut.
Hoffentlich Hektor, der es sich anders überlegt hat,
dachte sie, und drückte, ohne aufs Display zu schau-
en, auf den Annahmeknopf. In der nächsten Sekunde
drohte ihr Herz stehen zu bleiben. „Sorry, dass ich
dich störe“, sagte nämlich kein anderer als Oliver, „ich
wollte nur mal mit dir reden.“
„Was gibt es denn?“, fragte
sie schnippisch zurück, „hat
deine Lotte etwa keine Zeit
für dich?“ „Lotte ist bei
meiner Schwester Leonie“, gab Oliver mit erstaunter
Stimme zurück, „schließlich ist es ihr Hund. Aber
wenn Leonie mal weg muss, passe ich auf den Vier-
beiner auf.“ Fast wäre es Valerie rausgerutscht, dass
sie den kleinen Beagle tatsächlich wahnsinnig nied-
lich fand. Aber offiziell hat sie ihn ja nie im Park
gesehen. Gleich darauf wurde ihr bewusst, was das
bedeutete. „Lotte ist gar nicht deine Freundin?“, ging
sie atemlos noch mal auf Nummer sicher.
Sie hörte Oliver am anderen Ende der Leitung lachen.
„Nein, ich habe keine Freundin. Stattdessen habe ich
mich in eine wunderhübsche Englischlehrerin ver-
liebt.“ Trocken setzte er nach: „Aber die ist ja mit
Hektor zusammen. Dennoch hoffe ich, dass wir uns
als Kollegen gut verstehen. In den letzten Tagen hatte
ich das Gefühl, als ob du furchtbar wütend auf mich
wärst.“ „Vielleicht ein wenig“, sagte Valerie mit einem
tiefen Seufzer und fügte dann hinzu: „Hektor ist bloß
ein uralter Kumpel von mir, der in unsere Tanzlehre-
rin verknallt ist.“ Plötzlich hatte sie eine Idee – und
Oliver sagte nicht nein.


Wenig später bewegten sie sich beide tatsächlich zu-
sammen im Takt eines langsamen Walzers. „Are You
Lonesome Tonight“, sang Elvis und Valerie kam es
vor, als ob sie über die Tanzfläche schweben würden.
„Du tanzt fantastisch“, raunte Oliver ihr ins Ohr.


„Das Kompliment kann ich gerne zurückgeben.“
Ihre Blicke trafen sich und Valerie hatte das Gefühl,
als ob die Musik wie kleine Blitze durch ihren Körper
rasen würde. „Danke, dass du mit zur Tanzstunde
gekommen bist.“ Oliver strich ihr sanft über den
Rücken. „Mit dir wäre ich auch auf den Mond geklet-
tert.“ Entzückt blinzelte sie und schmiegte sich enger
an den durchtrainierten Mann, der sie so sicher im
Arm hielt. Da tippte ihr von hinten Tanzlehrerin
Renate auf den Rücken. „Ein bisschen mehr Konzen-
tration bitte, ihr Turteltauben!“ Leise sagte sie zu
Valerie: „Bei dir und Oliver sieht man sofort, dass
etwas ganz Besonderes zwischen euch ist.“
„Danke“, hauchte Valerie
und strahlte übers ganze
Gesicht. In der Pause wür-
de sie mit Renate sprechen
und ihr von ihrem Kumpel
erzählen, der es offenbar nicht fassen konnte, seine
Traumfrau gefunden zu haben. Dann würde sie
Renate unauffällig Hektors Telefonnummer geben.
Als engagierte Tanzlehrerin würde sie sich doch um
das Wohl ihres verletzten Schülers sorgen? Valerie
war schließlich nicht entgangen, wie erleichtert
Renate aufgeatmet hatte, als sie dieser erklärt hatte,
dass Hektor und sie bloß gute Freunde wären. Aber
jetzt hatte Valerie bloß noch Augen für Oliver.

Der nächste Tanz war ein Tango. Ganz leicht gelangen
ihnen die Schrittfolgen, nicht ein einziges Mal tappte
sie ihm auf die Füße, was sie selbst ein wenig über-
raschte. „Ich fühle mich mit dir wie im Himmel“,
flüsterte Oliver ihr ins Ohr, legte seine Wange an ihre.
Sie schloss die Augen und wusste keine bessere Ant-
wort, als ihn sachte auf die Lippen zu küssen. Es fühlte
sich wunderbar und richtig an. Ihr gesamter Körper
stand nun unter Strom, schöner hätte sie sich ihr
Glück nicht erträumen können.

Ihre Gedanken kreisten
nach wie vor um Oliver
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