Ratgeber Frau und Familie - September 2019

(Jacob Rumans) #1

REISE


154 Ratgeber 9/2019


der Regen aufhört, die Kleidung
schnell trocknet und die Gegend
immer hübscher wird.
Am Ziel des ersten Tages werden
wir schon erwartet. Der Wirt der
Pension, in der wir unterkommen,
zeigt uns die Wiese für unsere Vier-
beiner. Dort angekommen gehen
sie schnurstracks zu einer kahlen
Stelle der Weide und wälzen sich zu
unserer Freude lustvoll auf der
blanken Erde. Besorgt vergewissern
wir uns, ob es auch genug zu trin-
ken für sie gibt.

Am Abend plaudern wir gut ge-
launt mit unserem Gastgeber, der
den ganzen Abend Zeit für uns hat
und Stevensons Roman gut kennt.
Der Schriftsteller hat hier damals
mit den Ingenieuren den Abend
verbracht und in einem Zimmer
geschlafen, die die Vermessungen
für den Bau einer Eisenbahnlinie

vornahmen. Am nächsten Morgen
wandern wir unter einer markanten
Eisenbahnbrücke, an deren Entste-
hung Stevensons Schlafgenossen
einen so wichtigen Anteil hatten.
Trotz einiger Regentropfen ist an
diesem zweiten Tag eine kleine
Mittagspause möglich. Welch eine
Freude, unsere grauen Freunde von
ihren schweren Packsätteln zu be-
freien und zu picknicken!
Wir lernen unsere Lieblinge besser
kennen. Sie bleiben, wenn es berg-
auf geht, öfter stehen, der Atem
geht dann schwerer, und nach einer
Erholungspause von ein bis zwei
Minuten gehen sie ohne Aufforde-
rung weiter. Anders verhält es sich,
wenn sie auf köstliches Gras oder
Disteln am Wegrand zusteuern. Je
später wir durch einen Ruck an der
Führungsleine reagieren, umso
länger haben wir zu tun, sie wieder
auf Kurs zu bringen. Esel wollen

Robert Louis Stevenson hatte Jura stu-
diert und war 28 Jahre alt, als er 1878
nach Monastier-sur-Gazeille in Süd-
frankreich kam. Die Frau, die er liebte,
war nach Amerika abgereist und er
brauchte Zeit, um die Beziehung zu
überdenken. Außerdem wollte er als
Schriftsteller von sich reden machen.
Er kaufte sich eine Eseldame namens
Modestine („die Bescheidene“), deckte
sich mit Proviant ein und war zwei Wo-
chen unterwegs.
Mit dem Esel hatte er seine liebe Not:
Modestine folgte oft nicht und lief wie
in Zeitlupe. Zu Stevensons Zeiten gab
es nur einige einfache Gasthäuser. Oft
schlief er unter freiem Himmel – wofür
er vorher den Schlafsack erfunden hat-

te. Zur Sicherheit hatter er einen Revol-
ver dabei. Jeden Abend machte er sich
Notizen, die er später zu seinem ersten
Roman verarbeitete.
Sein Bericht über die Wanderung wur-
de zum herbeigesehnten Karriere-
durchbruch und definierte ein eigenes
Genre: sozusagen die erste Outdoor-
Literatur. Trekking und Camping war
damals noch kein Thema und erst
recht schrieb man nicht darüber.
Stevensons Beschreibungen der Orte
und der Landschaft haben teilweise
immer noch Gültigkeit. Leser erfahren
außerdem einiges über die Eigenhei-
ten einer Eselseele und die bewegte
Geschichte dieses schönen, aber auch
armen Teils von Frankreich.

Robert Louis Stevenson:
Reise mit dem Esel
durch die Cévennen
Editions La Colombe, 158 S.,
Taschenbuch, 12,00 €,
ISBN 978-3-9293-5128-6

Das Buch zum Weg


Picknick im Wald
während die Esel
friedlich grasen
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