Landidee Wohnen & Deko - August-September 2019

(Steven Felgate) #1
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BERATUNG


enn es kalt wird in nördlichen Ge-
filden, wenn der Herbst einzieht
mit seinen Stürmen, seinen nasskalten,
trüben Tagen und seiner absterbenden
Natur, dann sehnen wir uns nach einem Raum, in
dem uns das Immergrün von Pflanzen die Illusion
einer fünften, einer geschenkten Jahreszeit gibt. So
ist denn der Wintergarten als Ort blühenden Le-
bens, als dekorativ ausgestalteter, rundum verglaster
Wohnbereich heute wieder ein beliebtes architekto-
nisches Element, das gegenwärtig viele Hausfassa-
den schmückt. Deshalb wollen wir in die Geschich-
te dieses Bauwerks eintauchen, die ursprünglich
eine Geschichte des Gewächshauses ist und uns
mitten hinein ins antike römische Reich führt.

Des Kaisers liebste Gurken
Schon die alten Römer schützten ihre Pflanzen vor
schwierigen Witterungsbedingungen: Unter dem
Titel „De re rustica“ veröffentlichte der Schriftstel-
ler Lucius Columella einen zwölfbändigen Ratgeber
über Landwirtschaft und Baumzucht. In ihm be-
schrieb er, dass man Kübelpflanzen auf zwei Rädern
in Gebäude transportieren solle, wenn es kalt wer-
de. Auch empfahl er die Aufzucht von Sämlingen
unter Glasscheiben – das Prinzip des Gewächshau-
ses war geboren. Legendär war der römische Kaiser
Tiberius, der eine Art Gurkensucht entwickelte und
auch im Winter nicht auf sein Lieblingsgemüse ver-
zichten wollte. Also errichtete man Gewächshäuser

W


aus Glas, hinter deren Wänden die Kürbisfrucht
auch in den kälteren Monaten gedieh. Überhaupt
war die römische Gartenkultur weit entwickelt:
Überall im Land, auf den vornehmen Landgütern
der römischen Oberschicht, errichtete man gläser-
ne Gewächshäuser, in denen man Rosen und Veil-
chen kultivierte. Dafür gibt es nicht nur schriftliche
Belege, sondern reichhaltiges Bildmaterial, so zum
Beispiel die Wandfresken in Pompeij. Dass die Her-
stellung des benötigten Glases im antiken Rom eine
mühsame und äußerst zeitraubende Prozedur war,
erübrigt sich zu erwähnen. War das Gewächshaus
in der Antike ein reiner Nutzbau, so wurde es im
Barockzeitalter sehr schnell zum Prestigeobjekt.
Begonnen hatte alles mit den Amerikareisen des
Christoph Kolumbus, in deren Folge eine große An-
zahl exotischer Pflanzen nach Europa gelangt war:
Orangen-, Zitronen-, Pomeranzen-, Granatäpfel-,
Feigen- und Olivenbäume. Die Früchte galten als
Delikatesse. Vor allem Zitrusgewächse waren wegen
ihres Duftes und ihrer immergrünen Blätter sehr be-
liebt. So wurde es Mode, die Bäume und Sträucher
im eigenen Land zu kultivieren. Anfangs ließ man

1 Pompeij: Hier finden
sich zahlreiche Belege
für die hoch entwickelte
Gartenkultur der Römer,
unter anderem Fresken
mit Gewächshäusern.
2 Abschlagbare Gewächs-
häuser, wie sie zunächst
benutzt wurden, finden
sich heute noch in Limo-
ne sul Garda in Italien. Im
Sommer entfernte man
die Bedachung

Die Geschichte des


Wintergartens


Sie sind einfach schön, die
hellen, verglasten Veranden,
in denen uns immergrüne
Pflanzen durchs ganze Jahr
begleiten. Das wussten auch
die Menschen im Barock und
um die Jahrhundertwende.

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