Die Welt am Sonntag - 18.08.2019

(lily) #1
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18.08.1918. AUGUST 2019WSBE-HP


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10 FORUM WELT AM SONNTAG NR.33 18.AUGUST


V


ergangene Woche war An-
gela Merkel in Stralsund,
um mit Bürgern ins Ge-
spräch zu kommen. Es er-
hob sich ein AfD-Lokalpo-
litiker, der der Kanzlerin vorwarf, es
gebe in Deutschland keine Meinungs-
und Pressefreiheit mehr. Der Mann
entpuppte sich beim Reden nicht als
die hellste Leuchte, mit jedem Wort
redete er sich weiter um Kopf und Kra-
gen. Für Merkel war damit ein Ball
vors Tor gelegt.

Sie antwortete betont gelassen: Allein
die Tatsache, dass er in der ersten Reihe
sitze und sich frei äußern könne, dass
sie ihm antworte und dass auch die AfD
im Bundestag hemmungslos die Regie-
rung kritisiere, zeige doch, dass – an die-
ser Stelle setzte Applaus des der Kanz-
lerin wohlgesonnenen Publikums ein –
der Mann sagen könne, was er wolle.
Ein kurzes Video des Auftritts machte
die Runde, manche Journalisten beju-
belten die Regierungschefin. Ein Nach-
richtenportal twitterte, die Kanzlerin
habe „einem lokalen AfD-Politiker sou-
verän die Meinungsfreiheit erklärt“, ein
anderes berichtete, Merkel habe die
„perfekte Antwort“ gefunden. So weit,
so distanzlos, so unjournalistisch.
WWWeder Kanzlerin noch Journalisteneder Kanzlerin noch Journalisten
sprachen darüber, welche Gefahr in den
verquasten Sätzen des AfD-Mannes
durchklang. Bereits im Mai schrieb die
Meinungsforscherin Renate Köcher in
der FAZ, „annähernd zwei Drittel der
Bürger sind überzeugt, man müsse heu-
te ,sehr aufpassen, zu welchen Themen
man sich wie äußert‘, denn es gebe viele
ungeschriebene Gesetze, welche Mei-
nungen akzeptabel und zulässig sind“.
AAAuch jene von Hans-Georg Maaßen,uch jene von Hans-Georg Maaßen,
dem ehemaligen Geheimdienstchef und
langjährigen CDU-Mitglied, sind es je-
denfalls innerhalb seiner Partei nicht
mehr. Die Vorsitzende Annegret
Kramp-Karrenbauer brachte am Sams-
tag in einem Interview die Idee ins
Spiel, Maaßen aus der CDU auszuschlie-
ßen. Er hat sich in den vergangenen Wo-
chen zu einem Provokateur in den so-
zialen Medien entwickelt, der mit bis-
weilen kruden und drastisch überspitz-
ten Thesen zuverlässig die Debatte an-
heizt. Ganz sicher steht er rechts vom

Markenkern der heutigen CDU. Aber
was würde seinen Parteiausschluss
rechtfertigen?
Kramp-Karrenbauers Vorstoß ist
strategisch instinktlos, denn erstens ist
Maaßen für die CDU vor den Wahlen im
Osten wichtig, und zweitens würde man
annehmen, dass die Partei ihre Gegner
primär außerhalb der eigenen Mitglie-
derreihen sieht – zum Beispiel in einer
rot-rot-grünen Koalition. Bemerkens-
wert sind die beiden Sätze, mit denen
Kramp-Karrenbauer den Vorstoß be-
gründete. Es sei das gute Recht jedes
Mitglieds, seine Meinung zu äußern.
Der Versuch aber, eine gänzlich andere
Partei zu schaffen, stoße „auf meinen al-
lerhärtesten Widerstand“. Hat nicht An-
gela Merkel selbst die CDU, die sie nach
der Zeit von Helmut Kohl übernahm, zu
einer „gänzlich anderen Partei“ ge-
ffformt? Und: Welcher Typ Mensch setztormt? Und: Welcher Typ Mensch setzt
nach dem Satz, in dem das Recht auf
Meinungsäußerung betont wird, freiwil-
lig einen Satz mit „aber“?
In der Gedankenwelt der Parteivor-
sitzenden ist ein Parteiausschluss offen-
bar nicht Ultima Ratio, sondern ein nor-
males Werkzeug – auch wenn nun, da
sich abzeichnet, was für ein Debakel die
ÄÄÄußerung der Vorsitzenden für die Par-ußerung der Vorsitzenden für die Par-
tei wird, Generalsekretär Paul Ziemiak
und Ex-Generalsekretär Peter Tauber
so hektisch wie unglaubwürdig zurück-
rudern. AKKs Sätze sind für jeden nach-
lesbar. Man muss Maaßen nicht gut fin-
den, um die Normalisierung des Partei-
aaausschlusses für falsch zu halten. Sie istusschlusses für falsch zu halten. Sie ist
es aus strategischem Grund, wie ein
Blick auf die SPD zeigt, die sich von ih-
rem Umgang mit Thilo Sarrazin ähnlich
schlecht erholt hat wie Sarrazin. Und
sie ist es aus gesellschaftlicher Perspek-
tive: Die – ehemals – großen Volkspar-
teien werden Teil des Problems, das der
AAAfD-Mann in Stralsund anzusprechenfD-Mann in Stralsund anzusprechen
versuchte.
Die diesjährige Trägerin des Luther-
Preises („Das unerschrockene Wort“),
Seyran Ates, sagte anlässlich ihrer Aus-
zeichnung, die Meinungsfreiheit sei „ex-
trem gefährdet“. Angriffe auf das freie
WWWort kämen „von rechts und links“. Esort kämen „von rechts und links“. Es
wäre schön gewesen, wenn die Kanzle-
rin über diese Mahnung gesprochen
hätte und wenn die CDU-Parteivorsit-
zende nach ihr handeln würde. Alles an-
dere stärkt nur die Populisten, die oft
begabter sind als der Mann in Stralsund.

KOMMENTARE

Eigentor der CDU


VONJOHANNES BOIE

B


ei Grenzen und Flucht geht es im-
mer auch um Emotionen. Um zu ei-
ner Politik humaner Grenzen zu
kommen, helfen aber weder Angst
noch das Vertrauen auf Empathie
allein. Dazu brauchen wir klares
Denken. Keine Grenze der Welt sah
in den letzten Jahren so viele Tote wie das Mittel-
meer. Nach Zahlen der Internationalen Organisation
fffür Migration (IOM) sind dort in fünf Jahren 17.918ür Migration (IOM) sind dort in fünf Jahren 17.
Menschen gestorben. Das sind Opferzahlen wie in ei-
nem Krieg. Im Nordirlandkonflikt gab es innerhalb
von drei Jahrzehnten 3500 Tote. Im Krieg in der
Ukraine starben bislang 13.000 Menschen.Das Ster-
ben im Mittelmeer zu beenden sollte eine Priorität
fffür die europäische Politik sein. Doch wie? ür die europäische Politik sein. Doch wie?
Das bis heute bekannteste Opfer, Aylan Kurdi,
kam im September 2015 auf dem Weg nach Grie-
chenland ums Leben. In jenem Monat ertranken
dort 190 Menschen. Die meisten, die in den zwölf
Monaten vor April 2016 aus der Türkei kamen, über-
lebten, nur einer von 1000 schaffte es nicht. Doch
das waren am Ende mehr als 1152 Menschen. Nach
der Einigung mit der Türkei im März 2016 fiel diese
Zahl im folgenden Jahr auf 81. Der Grund: In dieser
Zeit kamen nur 26.000 Menschen. Wenn viele ka-
men, ertranken viele. Als wenige kamen, starben
weniger. Seenotretter sind wie die Feuerwehr. Sie
retten Menschen in Not, ohne Fragen. Dafür ver-
dienen sie Respekt. Doch gäbe es keine Brand-
schutzregeln, würde auch die beste Feuerwehr
ständige Katastrophen nicht verhindern können.
So muss auch die Politik einen Rahmen schaffen, in
dem Seenotrettung und andere Maßnahmen das
Sterben auf dem Meer verhindern.
Die gefährlichste Strecke im Mittelmeer liegt zwi-
schen Nordafrika und Italien. Dort zeigen die Erfah-
rungen der letzten Jahre eines klar: Mehr staatlich
koordinierte Seenotrettung führte nichtzu weniger
Toten. Im Herbst 2013 begann die Seenotrettungs-
mission „Mare Nostrum“, durchgeführt vom italieni-
schen Militär. Es sei nicht hinnehmbar, erklärte der
damalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta,
dass das Mittelmeer zu einem „Todesmeer“ werde.
Der Anlass: Im Oktober 2013 hatte ein Schiff, das aus
Libyen kam, in Sichtweite der Insel Lampedusa Feuer
gefangen. Hunderte starben. Wenige Tage später ken-
terte ein anderes Schiff, das stundenlang Notrufe ge-
sendet hatte, aber von einem italienischen Militär-
schiff in der Nähe zu lange ignoriert wurde. Wieder
gab es Hunderte Opfer.
Es gibt in Europa immer noch manche, die „Mare
Nostrum“ als Sternstunde empathischer Politik lo-
ben und beklagen, dass es im Herbst 2014 nicht ver-
längert wurde. Dabei ertranken zwischen Mai und
Oktober 2014 trotz „Mare Nostrum“ mehr Menschen
als je zuvor, es war das tödlichste Halbjahr in der Ge-
schichte des zentralen Mittelmeeres mit mehr als
3 000 Toten (IOM). Der Hauptgrund dafür: Es kamen
viel mehr Menschen aus Libyen als je zuvor. 2012 wa-

ren es 13.000, im Jahr danach 43.000, in den drei fol-
genden Jahren jedoch insgesamt über 500.000. So
viele Menschen kamen noch nie über das Mittelmeer
nach Italien.
Im Oktober 2014 wurde „Mare Nostrum“ durch ei-
ne kleinere EU-Mission ersetzt. Doch die Seenot-
rettungszentrale in Rom koordinierte weiter Seenot-
rettungen, und jene, die sich aus Eritrea, Nigeria oder
Gambia auf den Weg nach Libyen gemacht hatten,
versuchten es auch weiterhin mit Erfolg. Das sprach
sich bis in die Dörfer Gambias herum, sodass sich aus
dieser kleinen Nation mit zwei Millionen Einwoh-
nern einer pro 50 Einwohner auf den Weg nach Eu-
ropa machte.
In den fünf Monaten nach dem Ende von „Mare
Nostrum“ ertranken 532 Menschen. Dann ein Schock,
der Europa erschütterte: Im April 2015 kamen bei ei-
nem einzigen Unfall mehr als 800 Menschen ums Le-
ben. Der Kapitän eines überladenen Schlepperschif-
fffes rammte ein zur Rettung herbeigeeiltes Handels-es rammte ein zur Rettung herbeigeeiltes Handels-
schiff. Viele erklärten nun, das Ende von „Mare Nos-
trum“ sei dafür verantwortlich. Die Reaktion der eu-
ropäischen Regierungen: Man erhöhte die Zahl staat-
licher Rettungsboote zwischen Libyen und Italien.
Doch nun stieg die Zahl der Ertrunkenen auf mehr als
6 800 in den nächsten zwei Jahren. 2016, das Jahr mit
den meisten von Rom koordinierten Rettungen, wur-
de zum tödlichsten Jahr der Geschichte, mit 4581 To-
ten nur im zentralen Mittelmeer.

2 017 kam es in Rom zur radikalen Wende. Die
gleiche Regierungskoalition setzte nun unter einem
neuen Innenminister auf libysche Milizen und die
libysche Küstenwache. Diese stoppte Menschen
und brachte sie an Land, wo sie in Lager kamen, in
denen Folter Alltag war. Man wusste das, doch die
Küstenwache wurde trotzdem von Rom und der EU
unterstützt.
AAAb Juli 2017 fiel die Zahl der Ankommenden dras-b Juli 2017 fiel die Zahl der Ankommenden dras-
tisch. Politisch half das jedoch nicht der Regierung,
sondern der Opposition, vor allem jenem Mann, der
seit Jahren gegen Migration gewettert hatte: Matteo
Salvini, Chef der Lega, dessen politische Karriere als
junger Separatist in der Lombardei begann. 2014
stand seine Partei bei sechs Prozent, 2019 gewann sie
3 4 Prozent. Heute greift er nach der ganzen Macht in
Rom. Im Juni 2018 wurde Salvini Innenminister und
verschickte ein Tweet: „Wir schließen die Häfen.“ Im
Senat versicherte er, wie sehr ihm die Bilder der To-
ten das Herz brachen. Dass die Sperre der Häfen zu-
nächst ein privates Schiff, die „Aquarius“, traf, war

kein Zufall. Salvini gab NGOs und anderen Europä-
ern die Schuld dafür, dass überhaupt irgendjemand
üüüber das Meer kam, und erklärte, nur er könne Italienber das Meer kam, und erklärte, nur er könne Italien
vor der heuchlerischen Politik Nordeuropas schüt-
zen. Im Juni 2018, dem ersten Monat unter Salvini,
ertranken 564 Menschen, ein Rekord für diese Jahres-
zeit. Dann fiel die Zahl der Toten drastisch.
Private Seenotretter stellen Fragen, auf die es
einfache Antworten geben sollte. Muss man Men-
schen vor dem Ertrinken retten? Ja. Darf man Men-
schen nach Libyen zurückbringen, wo sie misshan-
delt werden? Nein. Doch das genügt nicht. Die liby-
sche Küstenwache stoppte im ersten Halbjahr we-
niger als 3800 Menschen. In dieser Zeit kamen we-
niger als 2600 nach Italien, und es starben weniger
als 350 Menschen (IOM), auch das die niedrigste
Zahl seit Jahren. Und nur eine europäische Regie-
rung hat im letzten Jahr Hunderte Schutzbedürfti-
ge direkt aus Libyen geholt: Italien. Ist es erstaun-
lich, dass Salvinis Anhänger in Europa vor allem
Heuchler sehen?
Ein moralischer Skandal aber ist, dass alle von der
libyschen Küstenwache Gestoppten weiterhin in La-
ger kommen, in denen gefoltert wird. Die erste Prio-
rität muss es sein, sicherzustellen, dass jeder von Li-
byern Gerettete (2019 waren es weniger als 1000
Menschen im Monat) bereits im Hafen an UNHCR
üüübergeben wird. Es ist eine Frage des politischen Wil-bergeben wird. Es ist eine Frage des politischen Wil-
lens, die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfü-
gggung zu stellen.ung zu stellen.
ZZZweitens sollte eine Koalition europäischer Staa-weitens sollte eine Koalition europäischer Staa-
ten jemandem das Mandat geben, mit Drittstaaten
üüüber die sofortige Evakuierung aller in Libyen Gehal-ber die sofortige Evakuierung aller in Libyen Gehal-
tenen zu verhandeln, und dafür Unterstützung anbie-
ten. So wie 1979. Damals kam die Staatengemein-
schaft zusammen, um über die Verteilung vietname-
sischer Bootsflüchtlinge zu beraten. Es ging um Hun-
derttausende. Derzeit sind weniger als 5000 Men-
schen in Libyen in Lagern. Deutschland könnte mit
Kanada und anderen Staaten einen Gipfel für eine
solche Koalition der Menschlichkeit organisieren, zur
Evakuierung aus Libyen. Die EU sollte afrikanische
Länder, wo UNHCR Asylverfahren und IOM freiwil-
lige Rückkehr organisieren können, großzügig unter-
stützen, mit Stipendien und Möglichkeiten legaler
Migration. Wäre Tunesien bereit, sich hier ernsthaft
zu engagieren und auch Flüchtlinge aufzunehmen,
könnte die EU Tunesien visafreies Reisen für Touris-
ten in Aussicht stellen.
Seit 2010 haben sich noch nie so wenige Menschen
von Libyen aus auf den Weg nach Europa gemacht
wie im laufenden Jahr. Die Tatsache, dass heute eine
kleine Zahl privater Boote in Mittelmeer Menschen
rettet, ändert daran nichts. Im ersten Halbjahr 2019
retteten private Vereine etwa 300 Menschen, seit An-
fffang Juli 700 weitere. Einen „Pull-Effekt“ erzeugt dasang Juli 700 weitere. Einen „Pull-Effekt“ erzeugt das
nicht, von Massenmigration kann keine Rede sein.
Dafür sollten Deutschland, Frankreich und andere
mit Malta über ein Aufnahmezentrum verhandeln,
von wo Gerettete binnen Wochen auf eine Koalition
von Staaten verteilt werden können. Dabei sollte ein
Ziel sein, endlich Abkommen mit Staaten wie Gam-
bia, Senegal oder Nigeria zu schließen, damit diese ih-
re Bürger, nach schnellen Verfahren, ab einem Stich-
tag von dort direkt zurücknehmen.
Insgesamt kamen seit 2013 zwischen Nordafrika
und Italien mehr als 15.000 Menschen ums Leben.
Das darf sich nicht wiederholen. Es ist Zeit für eine
Initiative, dies in einer Koalition mit anderen sicher-
zustellen. Und damit zu beweisen, dass es möglich
ist, Kontrolle und Menschlichkeit zu verbinden.

TDer Autor ist ein österreichischer Soziologe.
Er leitet die Denkfabrik Europäische Stabilitäts-
initiative e.V. Am 2. September erscheint sein
neues Buch „Welche Grenzen brauchen wir?
Zwischen Empathie und Angst – 50 Fakten
zu Flucht und Migration“ (Piper)

Einfache Lösungen


gibt es nicht


Die Bundeskanzlerin will staatliche Seenotretter ins Mittelmeer


schicken. Aber das Problem ist komplizierter, meint Gerald Knaus,


der als Erfinder des Flüchtlingsdeals mit der Türkei gilt


ESSAY

DIE ZAHLEN ZEIGEN:


MEHR KOORDINIERTE


SEENOTRETTUNG FÜHRT


NICHT ZU WENIGER TOTEN


P


lácido Domingos Kalender
ist voll. Nächste Woche
Salzburger Festspiele, ein
paar Tage später ein Auf-
tritt in Ungarn, dann New
YYYork, Hamburg im Herbst. Nur von Phi-ork, Hamburg im Herbst. Nur von Phi-
ladelphia steht dort nichts mehr. Aus
dem Programm der Oper ist sein Name
verschwunden, die Gala im September
fffindet ohne ihn statt. Er wurde ausgela-indet ohne ihn statt. Er wurde ausgela-
den, weil neun Frauen ihm, einem der

Jennifer Wilton bekanntesten Sänger
der Welt, dem Dirigenten und Operndi-
rektor vorwerfen, sie sexuell bedrängt zu
haben. Vor 30 Jahren, in einigen Fällen.
AAAcht der neun Frauen tun das anonym.cht der neun Frauen tun das anonym.
Fast alle Menschen, die von diesen Vor-
wwwürfen in den vergangenen Tagen gehörtürfen in den vergangenen Tagen gehört
und gelesen haben, Millionen überall auf
der Welt, wissen nicht, ob sie stimmen.
AAAber sie sind jetzt mit seinem Namenber sie sind jetzt mit seinem Namen
vvverbunden. Pranger haben nichts Faires.erbunden. Pranger haben nichts Faires.
In Spanien, wo Domingo geboren
wwwurde, ist die Aufregung groß: dieseurde, ist die Aufregung groß: diese
#MeToo-Welle! An vielen anderen Or-
ten, sogar in den aufgeregtesten sozia-
len Netzwerken, klingt die Reaktion in-
zzzwischen vor allem: gelangweilt. Derwischen vor allem: gelangweilt. Der
nächste Fall. Die nächste Runde.
Unzählige Fälle waren es, seit vor
bald zwei Jahren dem amerikanischen
Filmproduzenten Harvey Weinstein
vorgeworfen wurde, dass er jahrzehnte-
lang Frauen missbraucht haben soll.
Fälle in der Film-, in der Musikbranche,
am Theater, in den Medien, in Amerika,
in Europa. Es gab Strafanzeigen, Er-
mittlungen, Verfahren, Schuldeinge-
ständnisse. Und Verurteilungen. Aber es
gab auch Vorwürfe gegen Prominente,
die haltlos waren. Oder Verfahren, die
eingestellt wurden. Und es gab den
hashtag #MeToo, unter dem auf Twitter
weltweit Millionen Frauen – und Män-
ner – Erfahrungen von sexuellem Miss-
brauch, Belästigungen, Grenzüber-
schreitungen beschrieben. Es gab erbit-
terte Diskussionen und Streit, Debat-

ten, die sich nicht selten im Kreise dreh-
ten. Unter anderem darüber, wie zuläs-
sig es ist, so unterschiedliche Erfahrun-
gen unter einem Schlagwort vergleich-
bar zu machen.
Es gibt etwas, das sie vergleichbar
macht. Es geht immer um Macht. Es
geht um Menschen, die ihre Stellung
und Stärke ausnutzen, und um gesell-
schaftliche Strukturen, die das zulassen.
Nicht alle, aber die meisten dieser Men-
schen sind Männer. Nicht jede, aber fast
alle Frauen haben Erfahrungen darin,
was es bedeutet, dieser Macht unterle-
gen zu sein, auch in Deutschland, auch
heute noch. Das macht nicht automa-
tisch die einen zu Tätern und die ande-
ren zu Opfern; zur Wahrheit gehört
aaauch, dass Machtstrukturen sich vonuch, dass Machtstrukturen sich von
beiden Seiten ausnutzen lassen. Und
dass Statistiken unfair zum Einzelfall
sind. Aber die Sache ist die: Solange es
wahrscheinlicher ist, dass #MeToo-Vor-
wwwürfe wahr sind, als dass sie nicht wahrürfe wahr sind, als dass sie nicht wahr
sind, werden Menschen sie eher glau-
ben, als sie nicht zu glauben. Insofern
hilft es allen, daran zu arbeiten, sie un-
wahrscheinlicher zu machen.
„„„Wie kannst du Nein zu Gott sagen?“,Wie kannst du Nein zu Gott sagen?“,
erzählt eine der Frauen, habe Plácido
Domingo sie erstaunt gefragt. Er selbst
hat gesagt, die Vorwürfe stimmen so
nicht. Er sagt aber auch, dass es eben
damals eine andere Zeit war, anderes
VVVerhalten üblich. Aber: Dann war eserhalten üblich. Aber: Dann war es
eben eine schlechte Zeit. Vieles deutet
darauf hin, dass diese Zeit verschwin-
det, die alten Strukturen brüchiger wer-
den. Es geht langsam, es ist ein anstren-
gender Weg, ungerecht manchmal, hys-
terisch gelegentlich. Langweilig wo-
möglich, in seinen endlosen Wiederho-
lungsschleifen. Aber einen einfachen
WWWeg gibt es eben nicht. Eine Welle, naeg gibt es eben nicht. Eine Welle, na
gggut, schrieb ein spanischer Kommenta-ut, schrieb ein spanischer Kommenta-
tor dieser Tage, aber musste es ein See-
beben werden? #MeToo ist kein Natur-
phänomen, das einfach so auftritt. Töp-
fffe, auf denen der Deckel sehr lange fest-e, auf denen der Deckel sehr lange fest-
gehalten wird, explodieren eben irgend-
wann. Das muss sein, ja.

MeToo, die nächste Runde


VONJENNIFER WILTON

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