Die Welt am Sonntag - 18.08.2019

(lily) #1
Es gibt sie noch, die Menschen, denen die
SPD am Herzen liegt und die bereit sind,
sich angesichts der existenziellen Krise
der Partei zu engagieren. Elske Hilde-
brandt ist so ein Mensch.

VON THORSTEN JUNGHOLT

Eigentlich ist die 45-jährige Mutter
zzzweier Söhne gut ausgelastet. Sie arbeitetweier Söhne gut ausgelastet. Sie arbeitet
als selbstständige Sprachberaterin für Ki-
tas, bietet Fortbildungen für Erzieher an
und führt einen Plattenladen im branden-
burgischen Woltersdorf. Der SPD stand
sie bislang nur aus familiären Gründen na-
he: Sie ist die jüngste Tochter von Regine
Hildebrandt, der früheren Sozialministe-
rin Brandenburgs, die 2001 einem Krebs-
leiden erlag und deren Vermächtnis ein
Bürger im Kondolenzbuch damals so for-
mulierte: „Politik habe ich nicht verstan-
den. Aber Sie habe ich verstanden.“
Regine Hildebrandt war nah an den
Menschen, streitbar, schlagfertig. Tochter
Elske hat diese Eigenschaften geerbt – nur
eine Politikerin wollte sie nie sein. Sie will
es auch heute nicht. Dennoch trat sie vor
zzzwei Jahren in die SPD ein und bewirbtwei Jahren in die SPD ein und bewirbt
sich nun als Direktkandidatin für den
Landtag im Wahlkreis Märkisch-Oderland
Barnim II im Speckgürtel Berlins. Zu Zei-
ten ihrer Mutter hatte die SPD in Bran-
denburg über 50 Prozent der Stimmen ge-
holt, 2014 immerhin noch über 30 Prozent.
Jetzt, vor der Landtagswahl am 1. Septem-
ber, liegt die Sozialdemokratie in den Um-
fffragen bei 17 Prozent, überholt von denragen bei 17 Prozent, überholt von den
Rechtspopulisten der AfD. Hildebrandt
sieht die „Säulen der parlamentarischen
Demokratie“ erodieren, stellt ihre priva-
ten Bedürfnisse deshalb zurück und folgt
dem Familienmotto, das da lautet: „Nicht
kneifen, sondern sich zur Verfügung stel-
len, sein Gesicht an die Laternen hängen.“
Nicht vor der Herausforderung kneifen,
sondern für die Existenz der ältesten
deutschen Partei kämpfen: Von diesem
Geist war in der Führungsspitze der SPD
lange Zeit nichts zu spüren. Dabei ist die
Lage im Bund noch einmal ein Stück
schlechter als in Brandenburg, die Demo-
skopen messen nur noch Zustimmungs-
werte zwischen zwölf und 14 Prozent. Seit
dem Rücktritt von Andrea Nahles Anfang
Juni ist die Partei führungslos und fahndet
nach einem neuen Vorsitzenden. Doch
zzzweieinhalb Monate lang zeigte kein Spit-weieinhalb Monate lang zeigte kein Spit-
zenpolitiker Interesse, den Job zu über-
nehmen.
WWWenn der Staat sein Personal für öf-enn der Staat sein Personal für öf-
fffentliche Ämter auswählt, hat er das imentliche Ämter auswählt, hat er das im
Grundgesetz verankerte Prinzip der Bes-
tenauslese zu beachten. Die Besten der
SPD aber – also jene, die von der Partei in
höchste Ämter entsandt wurden – verwei-

PD aber – also jene, die von der Partei in
öchste Ämter entsandt wurden – verwei-

PD aber – also jene, die von der Partei in

gerten sich einer Bewerbung. Die sozialde-
mokratischen Minister in der Bundesre-
gierung, die in den Ländern regierenden
Ministerpräsidenten oder der Generalse-
kretär der Partei: Sie alle sagten entweder
aaab oder sie zauderten, taktierten. Bereit-b oder sie zauderten, taktierten. Bereit-
schaft zum Engagement zeigten nur Poli-
tiker aus der zweiten, dritten oder vierten
Reihe. Skurrile Kandidaturen wie die des
7 9-jährigen Hans Wallow aus dem Kreis-
tag von Ahrweiler beförderten den Ein-
druck, der SPD-Vorsitz, das einst „schöns-
te Amt neben Papst“ (Franz Müntefering),
sei nur noch ein „infektiöses Kleidungs-
stück“ (Sigmar Gabriel).

Erst am vorigen Sonntagabend kam die
WWWende. Da lud Heiko Maas seine Partei-ende. Da lud Heiko Maas seine Partei-
fffreunde Hubertus Heil und Olaf Scholz zureunde Hubertus Heil und Olaf Scholz zu
sich nach Hause in den Berliner Grune-
wald ein, um die verfahrene Lage zu be-
sprechen. Am Montag übermittelte Scholz
den drei kommissarischen Parteichefs Ma-
nuela Schwesig, Malu Dreyer und Thors-
ten Schäfer-Gümbel das Ergebnis des
Treffens der drei Bundesminister: „Ich bin
bereit, anzutreten, wenn ihr das wollt.“
Zunächst wurde Stillschweigen verein-
bart, woran sich in der SPD noch nie je-
mand gehalten hat, und so wurde der Plan
am Freitag durch den „Spiegel“ öffentlich.
Scholz, 61, ist zweifellos ein sozialde-
mokratisches Schwergewicht, einer der
Besten in der Partei. Er ist Vizekanzler, Fi-
nanzminister, seit zehn Jahren stellvertre-
tender Parteichef, seit 40 Jahren Politiker.
Er war über eine Dekade Erster Bürger-
meister in Hamburg, hat Wahlen gewon-
nen, sogar mal eine absolute Mehrheit er-
rungen. Ist jetzt also alles gut? Zu fürchten
steht: eher nicht.
„Optimal ist das ganz bestimmt nicht,
was wir gerade erleben“, wird Stephan
WWWeil, niedersächsischer Ministerpräsi-eil, niedersächsischer Ministerpräsi-
dent, die Hörer des Deutschlandfunks an
diesem Sonntag wissen lassen. Nun ist
WWWeil dafür durchaus mitverantwortlich. Ineil dafür durchaus mitverantwortlich. In
Endlosschleife hat er erklärt, eigentlich
nicht SPD-Chef werden, es aber auch
nicht ausschließen zu wollen. Mit seinem
Taktieren hat er auch andere Kandidaten
aaaus seinem Landesverband blockiert, dieus seinem Landesverband blockiert, die
erst seine Entscheidung abwarten wollten:
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zum
Beispiel oder den niedersächsischen In-
nenminister Boris Pistorius. Während
Klingbeil weiter wartet, hat Pistorius nun
immerhin verkündet, gemeinsam mit der
sächsischen Integrationsministerin Petra
Köpping antreten zu wollen.
WWWeils Analyse ist dennoch nicht falsch.eils Analyse ist dennoch nicht falsch.
„Am Anfang gab es ja fast nur Aussagen,
wer nicht zur Verfügung steht“, das präge
nun das gesamte Auswahlverfahren. Die
Mitglieder seien verunsichert, überhaupt
dauere der Auswahlprozess „zu lange,
aaaber so ist es nun einmal in den Gremienber so ist es nun einmal in den Gremien
beschlossen worden“. Tatsächlich hat sich
die Partei in ihrem eigenen Prozedere ver-
fffangen. Die an sich nicht schlechte Idee,angen. Die an sich nicht schlechte Idee,
die eigene Basis an der Chefentscheidung
teilhaben zu lassen und damit einer weite-
ren Zersplitterung der in Flügelkämpfe
verstrickten SPD entgegenzuwirken, ge-
bar ein auf ein halbes Jahr angelegtes
Mammutverfahren: Bis Anfang September
können sich noch weitere Kandidaten
melden, vorzugsweise sollen es Duos aus
Mann und Frau sein. Die müssen sich bis
Mitte Oktober auf 23 Regionalkonferen-
zen der Basis vorstellen. Anschließend sol-
len die Mitglieder abstimmen. Erst auf ei-
nem Parteitag im Dezember wird der neue
Chef schließlich gekürt. Die Partei kreist
bis Jahresende um sich selbst.
Scholz hat nun einiges vor sich. Er muss
erklären, warum er den SPD-Chefsessel
zunächst aus Zeitgründen ablehnte, nun
aaaber doch antritt. Er will eine Frau finden,ber doch antritt. Er will eine Frau finden,
die an seiner Seite kandidiert. Und er
muss sechs Wochen durchs Land reisen,
um die Mitglieder zu bezirzen. Vor allem
aaaber muss er die Partei hinter einem Zu-ber muss er die Partei hinter einem Zu-
kunftsentwurf einen, um die dauernden
Debatten zwischen Parteilinken und Prag-
matikern über längst getroffene Entschei-
dungen wie die Hartz-Reformen oder den
Eintritt in die große Koalition zu beenden.
Derlei Überzeugungsarbeit ist nicht
die Stärke des eher spröden Scholz. Und
der Umgang mit Persönlichkeiten, die
sich Führung zutrauen, ist nicht die Stär-
ke der SPD, die gern mit ihren Besten ha-
dert. Deshalb wird das Bewerbungsver-
fahren in den nächsten Monaten den ge-
nau gegenteiligen Effekt haben. Es wird
die Unterschiede betonen, den Bürgern
eine gespaltene Partei vorführen. Schon
jetzt gehört die Mehrheit der Kandidaten
dem sendungsbewussten, aber selten
mehrheitsfähigen linken Flügel an. Der in
diesen Kreisen als Feindbild gehandelte
Scholz könnte noch weitere Vertreter
dieses Spektrums, zum Beispiel Juso-
Chef Kevin Kühnert, dazu bewegen,
ebenfalls anzutreten. Das wird dann zwar
das gewünschte Rennen um den SPD-
Vorsitz. Die Frage ist nur: Was halten die
Bürger davon? Denn letztlich ist es in ei-
ner Demokratie immer noch am wichtigs-
ten, die Wähler zu gewinnen. Wie stand
es im Kondolenzbuch von Regine Hilde-
brandt geschrieben: „Politik habe ich
nicht verstanden. Aber Sie habe ich ver-
standen.“ Darum geht es.
WWWer ihre Tochter Elske in diesen Tagener ihre Tochter Elske in diesen Tagen
im Brandenburger Wahlkampf begleitet,
der hört keine Fragen nach dem SPD-Vor-
sitz. Er hört Fragen nach verdreckten Plät-
zen, nach fehlenden Polizisten, Kitas,
Schulen, Krankenhäusern, Wohnungen,
Mobilfunknetzen. Die Bürger wollen, dass
ihr Staat funktioniert. Wie und ob die SPD
fffunktioniert, ist ihnen im Zweifel egal.unktioniert, ist ihnen im Zweifel egal.

Bestenauslese à la SPD


Das Kandidatenrennen


nimmt Fahrt auf, mit


Olaf Scholz bewirbt sich


das erste politische


Schwergewicht um den


SPD-Vorsitz. Doch das


Führungsproblem ist


damit nicht gelöst. Denn


mit ihren Spitzenleuten


pflegt die Partei zu


hadern


E


M
ARTIN UK LENGEMANN/WELT (2); DPA/ROBERT MICHAEL; DPA/BRITTA PEDERSEN; AFP/GETTY IMAGES; GETTY IMAGES/PHOTOTHEK; PA/DPA/WOLFGANG KUMM; JAKOB HOFF; GETTY IMAGES; DPA/WOLFGANG KUMM; DPA /PA; SVEN DOERING / AGENTUR FOCUS

NNINA SCHEER UND KARL LAUTERBACH:
Zwar gehört die 1971 in Berlin geborene Bundes-war gehört die 1971 in Berlin geborene Bundes-war gehört die 1971 in Berlin geborene Bundes-
tagsabgeordnete zum SPD-Urgestein – schon ihragsabgeordnete zum SPD-Urgestein – schon ihragsabgeordnete zum SPD-Urgestein – schon ihr
Vater saß für die SPD im Parlament –, trotzdemater saß für die SPD im Parlament –, trotzdemater saß für die SPD im Parlament –, trotzdem
ist die Umweltpolitikerin kaum bekannt.
Das unterscheidet sie von dem 1963 in Dürenas unterscheidet sie von dem 1963 in Dürenas unterscheidet sie von dem 1963 in Düren
geborenen Arzt, der seit Jahren immer dann voreborenen Arzt, der seit Jahren immer dann voreborenen Arzt, der seit Jahren immer dann vor
die Mikros tritt, wenn es um Gesundheitspolitikie Mikros tritt, wenn es um Gesundheitspolitikie Mikros tritt, wenn es um Gesundheitspolitik
geht. Sollten sich beide durchsetzen, würde eseht. Sollten sich beide durchsetzen, würde eseht. Sollten sich beide durchsetzen, würde es
mit Lauterbach zum ersten Mal einen SPD-Chefit Lauterbach zum ersten Mal einen SPD-Chefit Lauterbach zum ersten Mal einen SPD-Chef
ggeben, der früher Mitglied der CDU war.
IHRECHANCEN: eher düster.

GESINE SCHWAN UND RALF STEGNER:
Nimmt man das politische Berlin ernst, dann
verdrehen die meisten dort die Augen, wenn
es um die Politikwissenschaftlerin, 1943 in Berlin
geboren, und den 1959 in Bad Dürkheim
geborenen schleswig-holsteinischen Linken
geht, der in seiner langen Laufbahn kaum
eine Wahl gewonnen hat. Aber vielleicht
interessiert die Genossen Berlin nicht.
IHRE CHANCEN: eher lau.

SIMONE LANGE UND ALEXANDER AHRENS:
Seit 2015 ist Simone Lange, die 1976 in Rudolstadt
geboren wurde, Bürgermeisterin von Flensburg.
2018 kandidierte sie schon einmal für den
Parteivorsitz und verlor – mit einem respektablen
Ergebnis. Nun tritt sie wieder an. Ihr Kompagnon
ist der Oberbürgermeister von Bautzen, der 1966
in West-Berlin geboren wurde. Die Bürgermeister
der SPD sind meist wohltuend basisverbunden.
Ob dieser UmstandIHRE CHANCENverbessert?
Wohl eher nicht.

BORIS PISTORIUS UND PETRA KÖPPINGORIS PISTORIUS UND PETRA KÖPPING:
Hätte Olaf Scholz nicht seinen nicht vorhandenen Hutätte Olaf Scholz nicht seinen nicht vorhandenen Hutätte Olaf Scholz nicht seinen nicht vorhandenen Hut
in den Ring geworfen, dann wären der niedersächsi-n den Ring geworfen, dann wären der niedersächsi-n den Ring geworfen, dann wären der niedersächsi-
sche Innenminister, 1960 in Osnabrück geboren, und dieche Innenminister, 1960 in Osnabrück geboren, und dieche Innenminister, 1960 in Osnabrück geboren, und die
sächsische Integrationsministerin, 1958 in Nordhausenächsische Integrationsministerin, 1958 in Nordhausenächsische Integrationsministerin, 1958 in Nordhausen
bei Erfurt geboren, das Favoritenpaar der SPD. Pisto-ei Erfurt geboren, das Favoritenpaar der SPD. Pisto-ei Erfurt geboren, das Favoritenpaar der SPD. Pisto-
rius ist nach Scholz ein Schwergewicht der Partei. ius ist nach Scholz ein Schwergewicht der Partei. ius ist nach Scholz ein Schwergewicht der Partei.
Als Law-and-Order-Mann in der Nachfolge Otto ls Law-and-Order-Mann in der Nachfolge Otto ls Law-and-Order-Mann in der Nachfolge Otto
Schilys ist Pistorius nah bei den Leuten. Genauchilys ist Pistorius nah bei den Leuten. Genauchilys ist Pistorius nah bei den Leuten. Genau
wwie seine Partnerin, die sich souverän und ie seine Partnerin, die sich souverän und
wortgewandt gegen Pegida und AfD in Sachsenortgewandt gegen Pegida und AfD in Sachsenortgewandt gegen Pegida und AfD in Sachsen
bbehauptet. IHRE CHANCEN:nicht übel!nicht übel!

OLAF SCHOLZ: Der ehemalige Hamburger Bürger-
meister, 1958 in Osnabrück geboren, ist der Sumoringer
im Kreis der vielen Kandidaten. Scholz hat nicht nur
Wahlen gewonnen, er hat in Hamburg sogar die
absolute Mehrheit erreicht. Scholz ist bei der SPD-
Basis beliebt, bei den Funktionären eher nicht.
Bekannt ist er für seine spröde Art. Außerdem fehlt
ihm bisher eine Partnerin. Die erste, Andrea Nahles,
ist ihm weggelaufen. Scholz will unbedingt Kanzler
werden. So wird er nichts unversucht lassen, eine
Frau zu finden. SEINE CHANCEN: gut.

MICHAEL ROTH UND CHRISTINA KAMPMANN: ICHAEL ROTH UND CHRISTINA KAMPMANN: ICHAEL ROTH UND CHRISTINA KAMPMANN:
Die beiden Sozialdemokraten muss man loben.ie beiden Sozialdemokraten muss man loben.ie beiden Sozialdemokraten muss man loben.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, 1970er Staatsminister im Auswärtigen Amt, 1970er Staatsminister im Auswärtigen Amt, 1970
in Heringen geboren, und die ehemalige Familien-n Heringen geboren, und die ehemalige Familien-n Heringen geboren, und die ehemalige Familien-
ministerin von NRW, 1980 in Gütersloh geboren,inisterin von NRW, 1980 in Gütersloh geboren,inisterin von NRW, 1980 in Gütersloh geboren,
traten in den Ring, als sich die SPD-Schwergewichteraten in den Ring, als sich die SPD-Schwergewichteraten in den Ring, als sich die SPD-Schwergewichte
noch in den letzten Reihen versteckten. och in den letzten Reihen versteckten. och in den letzten Reihen versteckten.
IHRE CHANCENHRE CHANCENstehen dennoch nicht allzu gut.stehen dennoch nicht allzu gut.

Erinnern Sie sich noch an Cindy und
Bert? Das waren die beiden Völklin-
ger Provinzeier, die Ende der 60er-
Jahre beschlossen, in ihre Schlagho-
sen zu steigen, zunächst zum Fön,
dann zum Haarspray, schließlich
zum Mikrofon zu greifen und die
Deutschen in das Land zu entführen,
wo der Kokolores blüht – mit Texten,
die heute politisch herrlich unkor-
rekt klingen. Nichts von Sinti, nichts
von Roma. Nein, quatsch! „Am
Abend, da spielt der Zigeuner ... “.
Cindy und Bert waren das erfolg-
reichste Schlagerduo der 70er-Jahre.
Doch was heißt Duo? Bert sang nie!
Er tat nur so. Man kann den Compu-
ter für den YouTube-Kanal noch so
laut stellen, Berts Stimme ist nicht
zu hören. Offenbar hat der Schlingel
nur die Lippen bewegt. Ob Dieter
Thomas Heck die kleine Gaunerei je
bemerkt hat? Egal! In ihren giftgrü-
nen-orange-braun-violetten Klamot-
ten, mal aus Samt, mal aus Seide,
stürmten Cindy und Bert immer
wieder die Hitparade.
Man schrieb das Jahr 1972. Damals
waren die Krawatten so breit, dass
die Leichtathletin Heidi Schüller gut
und gern auf ihnen hätte laufen kön-
nen. In jeder Hinterntasche steckte
die Drahtbürste, und die Haartracht
der Männer wirkte so, als ob das Ge-
sicht aus dem Bart hervorwuchs, als
wäre der Bart früher da gewesen,
nicht umgekehrt. Willy Brandt war
Bundeskanzler. Eben hatte er für sei-
ne SPD 45,8 Prozent der Stimmen
geholt. Eine tolle Zeit!
Bis heute wärmen die Sozialdemo-
kraten ihre alternden Herzen an den
goldenen 70ern. Damals, als sie noch
jung und knusprig waren. Statistisch
gesehen ist der typische Genosse
heute 60 Jahre alt – in männlicher
Version meist eine Kreuzung zwi-
schen Bierkutscher und Seehund, in
weiblicher Ausführung häufig ein
hüftenstarker Engel, dessen Körper
die Kleider gut ausfüllt. Cindy und
Bert also sind die Götter aus einer
Epoche, in welcher die verwittern-
den Sozis frisch und erfolgreich wa-
ren. Mehr als das: Ihre Texte müssen
auf die Sozialdemokratie so aufwüh-
lend, so einbrennend gewirkt haben,
dass sie nun beschlossen haben, nur
noch auf Cindy und Bert zu setzen.
Keiner von ihnen soll Chris Roberts
oder Mary Roos geben, sprich: allein
an der Spitze das triste Dasein der
Einsamkeit im Willy-Brandt-Haus
fristen. Nein, künftig und für alle
Zeit muss die SPD von einem Duo
geführt werden: Cindy und Bert
eben! Freilich ist man heute aufge-
schlossener als damals. Gesine
Schwan könnte auch Bert und Ralf
Stegner durchaus Cindy sein. Wen
kümmert’s? Entscheidend ist nur ei-
nes: Im Doppel-Whopper liegt das
Glück. Stimmt allerdings der Ver-
dacht, dass Bert nie sang, wird die
listige Gesine wohl lieber als Cindy
auftreten. Ob sie dafür auch mal das
Haar löst? Die echte Cindy steckte
ihre rotblonde Pracht nie nach oben.
Jedenfalls werden alle heutigen
Sozenpaare in den Songs von Cindy
und Bert nicht nur die Linderung ih-
rer notorischen Trübsal finden –
„Menschen wie ich, die finden Men-
schen wie dich“ –, besser noch: Mit
Cindy und Bert werden sie den Sieg
erringen. „So oder so wird das Leben
sein, weich wie das Moos oder hart
wie Stein. Aber was kann uns ge-
scheh’n, wenn wir uns versteh’n?“
Die Bedingung ist: „Lass mich nie al-
lein.“ Angesichts dieser Verse wird
Olaf Scholz verzweifelt sein. Der Vi-
zekanzler hat nämlich noch keine
Partnerin gefunden. Doch auch in
dieser Not wissen Cindy und Bert
Rat, erringen sprachlich geradezu
die Ebene des Orakels von Delphi:
„Und sind deine Schuhe, die Schuhe
auch schwer wie Stein, geh die Stra-
ße, geh die Straße. Ich weiß es, dein
Schicksal, dein Schicksal, das holst
du ein, geh die Straße, geh die Stra-
ße. Du brauchst keinen Wegweiser,
du hast den Stern, geh die Straße, oh,
geh die Straße. Dein Stern steht am
Himmel, dein Ziel ist nicht fern.“
Na bitte, geht doch. Sicher wird es
am Ende so wie am 19. November
1972 sein, als Brandt breit grinsend
seinen Sieg in die Scheuer fuhr. Es
war ein Wahlsonntag. Was auch
sonst? „Immer wieder sonntags
kommt die Erinnerung.“

Mit Cindy und


Bert zum Sieg


VERKEHRTE WELT

VONJACQUES SCHUSTER

WAMS_DirWAMS_DirWAMS_Dir/WAMS/WAMS/WAMS/WAMS/WSBE-HP/WSBE-HP
18.08.1918.08.1918.08.19/1/1/1/1/Pol4/Pol4IKNIPP 5% 25% 50% 75% 95%

Abgezeichnet von:
Artdirector

Abgezeichnet von:
Textchef

Abgezeichnet von:
Chefredaktion

Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst

5


18.08.1918. AUGUST 2019WSBE-HP


  • ZEIT:----ZEIT:BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ---ZEIT:---BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE:
    BELICHTER: BELICHTER: FARBE:BELICHTER:






1 8.AUGUST2019 WELT AM SONNTAG NR.33 * POLITIK 5


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