Die Welt am Sonntag - 18.08.2019

(lily) #1

Codename


„The Great


Gatsby“


Einst das „Weißbrot
aus Würzburg“, heute
eine lebende Basketball-
Legende: Dirk Nowitzki

Das heißt: „Jein“


Der Schriftsteller


Benjamin von


Stuckrad-Barre und


die Schauspielerin


Jasna Fritzi Bauer


haben jetzt zusammen


einen Podcast.


Ein schläfriges


Gespräch in


Berlin-Mitte


TÄTIGKEITSPROFIL
POWERNAPPEN MIT BENJAMIN VON
STUCKRAD-BARRE UND JASNA FRITZI BAUER

©MARLEN STAHLHUTH

E


s gibt Szenen, die können sich
nur in Berlin-Mitte ereignen.
Zum Beispiel, dass man an einem
schönen, sonnigen Tag durch die Stadt
schlendert, zwischen Cafés und Bou-
tique-Geschäften in eine Straße ein-

biegt, eine kleine Treppe eines privaten
Mietshauses hinaufgeht und sich in ei-
ner liebevoll eingerichteten Wohnung
wiederfindet, die von fast einem Dut-
zend hippen, auf diese typisch Berlin-
mäßige, absichtlich leicht underdresste

VONHANNAH LÜHMANN

Weise cool aussehenden Presse- und
Marketingleuten bevölkert wird – und
irgendwo auf dem lichtdurchfluteten
Weg nach hinten schlurft einem der
Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-
Barre entgegen, in Begleitung der
Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer. Oder
die Schauspielerin Jasna Fritzi Bauer in
Begleitung des Schriftstellers Benjamin
von Stuckrad-Barre, so genau kann man
es nicht sagen. Und die beiden sehen so
dermaßen durchgefeiert aus, dass man
sich wünscht, man wäre wieder zwanzig
und in der Lage, in diesem Zustand ein
Interview lang durchzustehen.

Was ein seltsamer Wunsch ist in die-
sem Zusammenhang, denn zwanzig
sind die beiden nun wirklich auch nicht
mehr. Auf dem Weg nach hinten ins
Wohnzimmer gehen wir an einer Art
Zwischenraum vorbei, der durch lange
Vorhänge vom Flur abgetrennt ist.
Die beiden sitzen vor mir auf dem So-
fa und tun mir leid, weil sie nicht schla-
fen können. Jasna Fritzi Bauer bemüht
sich so herzzerreißend, nett zu gucken,
dass man sie in den Arm nehmen und
ihr sagen möchte, dass es okay ist, müde
zu sein, völlig okay, einer der schönsten
Zustände überhaupt. Dass man selber
viel Wein getrunken hat gestern, dass
das hier quasi gerade ein kollektives
Powernappen sein könnte, wenn man
nicht reden müsste.
Reden muss man aber, denn es geht
um den Podcast, den die beiden zusam-
men neuerdings auf Spotify haben, er
heißt „Ja Ja, Nee Nee“, und das Konzept
ist nicht ganz selbsterklärend. Der Titel
spielt mit der berühmten Tonbandauf-
nahme „Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee
Nee“ von Joseph Beuys, die im Jahr 1968
als „Imitation eines Oma-Gesprächs“
auf einer Performance entstand. Und
wie bei Beuys geht es bei Bauer und
Stuckrad-Barre irgendwie um das Auf
und Ab der „Jas“ und „Neins“, die man

so hat. In jeder der zwölf Folgen unter-
halten sich die beiden über ein Thema
und versuchen herauszufinden, ob es zu
diesem Thema ein „Ja“ oder ein „Nein“
geben kann. Gleichzeitig lernen sie sich
dabei aber auch besser kennen, weil sie
sich nämlich erst vor Kurzem getroffen
haben. „Mich interessiert alles, was Jas-
na denkt“, sagt Benjamin von Stuckrad-
Barre, und Jasna Fritzi Bauer gähnt
sympathisch. „Wir haben uns auf Ins-
tagram kennengelernt“, sagt sie, und er
sagt, dass Instagram ein sehr schönes
Medium sei, weil es dort „sehr friedfer-
tig“ zugehe. Deswegen gebe es dort
auch keine Nazis.
Wir reden ein bisschen, über Beuys
und über den Schriftsteller Bret Easton
Ellis, der auch einen Podcast hat, und
über die gegenwärtige Debattenkultur,
in der sich alle ständig so „wahnsinnig
sicher“ seien, so sagt es Stuckrad-Barre,
und das sei „ein ästhetisches Problem,
aber auch ein intellektuelles Problem“.
Als die zwanzig Minuten vorbei sind,
verabschieden wir uns, und die beiden
gehen zu dem Zwischenzimmer. Hinter
dem Vorhang liegt ein großes Bett mit
Decken und Kissen. Benjamin, sagt eine
von den Pressemenschen, sei ein begna-
deter Powernapper. Ihm reichten schon
zehn Minuten.

WAMS_DirWAMS_DirWAMS_Dir/WAMS/WAMS/WAMS/WAMS/WSBE-VP1/WSBE-VP1
18.08.1918.08.1918.08.19/1/1/1/1/Kul4/Kul4IKNIPP 5% 25% 50% 75% 95%


Abgezeichnet von:

Artdirector


Abgezeichnet von:

Textchef


Abgezeichnet von:

Chefredaktion


Abgezeichnet von:

Chef vom Dienst


52


18.08.1918. AUGUST 2019WSBE-VP1


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52 KULTUR WELT AM SONNTAG NR.33 18.AUGUST2019


JETZT im KiNO

vom regisseur von
ein FLieHenDes PFerD
unD Dem autor von FamiLienFest

„Diese bitterböse Scheidungskomödie macht einen Heidenspaß!“
F i l m s t a r t s

#1


DER
ARthousE-
ChARts

martina Gedeck
UlricH tUkUr

B


ücher über Bildung gehen
normalerweise so: Autor (so-
genannter Bildungsexperte,
oft Journalist) hat die pädagogische
Weisheit mit Löffeln gegessen. Hat
Lehrpläne untersucht, Statistiken
ausgewertet – und ist randvoll mit
Erkenntnissen. Thesen zum Thema
spuckt er wie am Fließband aus. Le-
ser seiner Bücher müssen Argumen-
te im Akkord verdauen, können vor
lauter „Was in der Bildung mies läuft
und dringend besser werden muss“
kaum verschnaufen.

„Der tanzende Direktor“ von Ve-
rena Friederike Hasel ist anders: ein
Buch über Bildung, das nicht doziert,
sondern entspannt schildert, an-
schaulich erzählt. Denn es ist ein
Reisebericht vom anderen Ende der
Welt. Die Autorin, normalerweise als
Psychologin in Berlin zu Hause, hat
mit ihrer Familie eine Auszeit in
Neuseeland verbracht. Einem Land,
in dem eine Dorfschullehrerin na-
mens Sylvia Ashton-Warner die Pä-
dagogik einer ganzen Nation geprägt
hat. „Wenn ich Menschen aus
Deutschland von Neuseelands Schu-
len erzähle, fühlen sich manche an
freie Schulen oder alternative Päda-
gogikkonzepte erinnert. Doch die
Unterschiede könnten kaum größer
sein“, schreibt Hasel.
„Neuseeländische Schulen sind
noch strenger und klarer in ihren Re-
geln als normale Schulen in Deutsch-
land. Auch wenn der Unterricht indi-
vidualisiert und auf die Bedürfnisse
des einzelnen Schülers abgestimmt
ist: Ein neuseeländischer Lehrer hält
die Fäden stets fest in der Hand.“ Er
hat mehr Entscheidungsautonomie
als jeder Kollege in Deutschland, wo


  • so Hasel – der Bildungsföderalis-
    mus „ein großes Thema künstlich
    klein“ mache.
    Ende der 80er-Jahre wurde Neu-
    seelands Schulministerium radikal
    entmachtet, „der Erkenntnis ge-
    schuldet, dass Standardlösungen in
    der Bildung nicht funktionieren“.
    Hasel lobt das lokale Miteinander im
    neuseeländischen System. Schulen
    würden sich dort nicht so sehr von
    den Eltern abschotten und auf Be-
    hördenpläne berufen, sondern auf
    praktische Erfahrungen.
    Hasel erzählt die anregende Ge-
    schichte einer Bildungshospitanz am
    anderen Ende der Welt. Voller Krea-
    tivität statt Perfektion, Motivation
    statt Tadel und trotzdem Autorität
    statt Laisser-faire. Man möchte nach
    der Lektüre sofort noch einmal neu
    in Neuseeland eingeschult werden.
    Vor allem die deutsche Kultusminis-
    terkonferenz sollte sich vom ande-
    ren Ende der Welt belehren lassen.


TVerena Friederike Hasel:
„Der tanzende Direktor“.
Kein & Aber, 192 Seiten, 20 Euro

Mehr


Neuseeland


wagen!


VONMARC REICHWEIN

Eine Bildungsreise ans


andere Ende der Welt


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zinger, war Geschwindner der beste und
unkonventionellste deutsche Basketball-
spieler, Kapitän der Nationalmannschaft
bei den Münchner Olympischen Spielen,
„ein drahtiger Mann mit einer Art Afro
und kariertem Hemd, ein Lebemann, ein
studierter Physiker mit Interesse für
Feng-Shui und Astrologie, ein Körper-
mensch mit Liebe zur Philosophie, ein
WWWeltbürger mit hessischen Wurzeln, eineltbürger mit hessischen Wurzeln, ein
Rebell und Pädagoge“.
Geschwindner erkennt das Poten-
zial, das in dem jungen Nowitzki steckt,
er sieht darin eine pädagogische He-
rausforderung. Mit den Eltern kommt
er überein, den Jungen zu trainieren.
Dafür wird er von Bamberg nach Würz-
burg kommen: „Die nächsten Wochen
sind die Grundlage für alles, was da-
nach kommen wird. Ein spielphiloso-
phischer Crashkurs, eine trainingssys-
tematische tabula rasa. Tagsüber trai-
nieren die beiden, nachts sitzt Ge-
schwindner an seinem Schreibtisch und
versucht, aus dem Gesehenen und Er-
lebten ein schlüssiges Lehrkonzept zu
konstruieren. Einen Plan.“ Die anstren-
gende, minutiös getaktete Trainings-
routine mit Holger Geschwindner wird
Nowitzki durch seine gesamte Karriere
begleiten. Geschwindner beschränkt
seine „Erziehung“ dabei nicht auf den
Basketball, er hilft Dirk, der ein
schlechter Schüler ist, durchs Abitur, er
organisiert seine Lektüre: „Dshamilja“
von Tschingis Aitmatow, „Taifun“ von
Joseph Conrad, Carl Friedrich von
WWWeizsäckers „Geschichte der Natur“.eizsäckers „Geschichte der Natur“.
Das Lesen wird seinen Platz in Dirk No-
witzkis Basketball-Alltag behalten, der
NBA-Allstar gründet mit drei Mitspie-
lern einen Leseklub und macht sich ge-
legentlich einen literarischen Spaß, in
ein Berliner Gästebuch kritzelt er eine
VVVariante von Rilkes Panther-Gedichtariante von Rilkes Panther-Gedicht
und unterschreibt mit „Rainer Maria
Nowitzki“. Wenn er Thomas Pletzinger
anruft, leuchtet auf dessen Display der
zwischen ihnen geltende Code Name
auf: „The Great Gatsby“.
Das pädagogische Experiment führt
zu einer Weltkarriere. Es ist abenteuer-
lich, wie Geschwindner und sein „Schü-
ler“ fast heimlich Deutschland verlassen
und in Amerika Dirk Nowitzki in den
AAAuswahlprozess der NBA, den „Draft“uswahlprozess der NBA, den „Draft“
einschmuggeln. Schließlich verpflichten
die Dallas Mavericks den jungen Deut-
schen, das „Weißbrot aus Würzburg“,
wie Holger Geschwindner einmal spot-
tete. Der Rest ist Basketball-Geschichte.
Im Februar dieses Jahres, Nowitzki
spielt seine letzte Saison, kommt es zu
einer in der Geschichte des amerikani-
schen Basketballs einmaligen Geste. Im
Spiel gegen die Mavericks nimmt Doc Ri-
vers, der Coach der Los Angeles Clip-
pers, neun Sekunden vor Schluss eine
AAAuszeit um Nowitzki für seine Lebens-uszeit um Nowitzki für seine Lebens-
leistung zu danken. Standing Ovations –
in gegnerischer Halle. Thomas Pletzin-
gers Buch ist eine „Writing Ovation“.

TThomas Pletzinger:
„The Great Nowitzki“.
Kiepenheuer & Witsch, 512 S., 26 Euro.

KATRINBINNER /2017

Talent, Training und Weltliteratur:


Thomas Pletzinger erzählt die


Dirk-Nowitzki-Saga wie einen


modernen Bildungsroman


E


s hatte sich gelohnt!
Knapp 20 Euro für den
NBA League Pass, um
die Endspiele der ame-
rikanischen Basketball-
meisterschaft zwischen
den Miami Heat und
den Dallas Mavericks im Netz live zu
verfolgen. Sechs schlaflose Nächte, kein
WWWecker nötig, um rechtzeitig aufzuwa-ecker nötig, um rechtzeitig aufzuwa-
chen. Zwei, drei Uhr nachts: Tip-off in
Florida oder in Texas. Herzklopfen ohne
Ende, feuchte Hände, nervöses Umher-
laufen vor dem Bildschirm, die letzte
Spielminute, die sich im Basketball stets
ins Unendliche dehnt.

Und dann, in Deutschland war es be-
reits Montag, der 13. Juni 2011: Mehr als
der Sieg der Mavericks, die zum ersten
Mal die Meisterschaft gewinnen, mehr
als der Sieg eines Spielers, der als MVP
(„Most Valuable Player“) der Finalserie
aaausgezeichnet wird. Viel mehr: dasusgezeichnet wird. Viel mehr: das
Glücksgefühl, den so lange ersehnten
Triumph nicht nur eines Superstars,
sondern eines der Großen im Sport mit-
zuerleben. In Deutschland nur mit Fritz
WWWalter oder Max Schmeling vergleich-alter oder Max Schmeling vergleich-
bar. Dirk Nowitzki.
Dabei hatte er in der ersten Hälfte
nicht gut gespielt. Distanzwürfe verfehl-
ten ihr Ziel, auch leichte Korbleger tanz-
ten vom Ring zurück, Pässe fanden den
Mitspieler nicht. Bis in die alles entschei-
denden Minuten. Nun machte Nowitzki
zehn Punkte, darunter, Symbol der ge-
samten Finalserie, 29 Sekunden vor
Schluss, den letzten Korbleger. Und ließ
dabei LeBron James stehen, das Groß-
maul, das versprochen hatte, in den
nächsten zehn Jahren werde nur sein
Team, Miami Heat, den Titel holen.
Nowitzki. The German. Im November
1 999 hatte ich ihn im Madison Square
Garden zum ersten Mal spielen sehen.
Die Mavericks verloren 82:107 gegen die
New York Knicks. Nowitzki wirkte
schmächtig trotz seiner zwei Meter drei-
zehn, er war nicht aggressiv genug. Die
Sportjournalisten sahen Vorurteile be-
stätigt: Die Europäer hätten keinen Biss.
Nichts davon ist geblieben. Nowitzki
wwwurde, als erster Europäer, Kapitän undurde, als erster Europäer, Kapitän und
Führungsspieler seines Teams, ein
Kämpfer bis zur letzten Sekunde, die
VVVerkörperung einer uramerikanischenerkörperung einer uramerikanischen
Maxime: „Never give up!“ Als Nowitzki
am 9. April dieses Jahres sein letztes
Spiel in der NBA bestritt, war er eine Le-
gende zu Lebzeiten geworden.
Superstars sind groß in ihrer Sportart.
Große Sportler sind Vorbilder über ihre
Disziplin und über den Sport hinaus.
WWWenn sie verlieren, bewundern wir sieenn sie verlieren, bewundern wir sie
immer noch. Und wenn sie gewinnen, ha-
ben wir das Gefühl, es gehe gerecht zu in
der Welt. „The Great Nowitzki“ ist daher
der passende Titel der Basketball-Saga,
die der Schriftsteller Thomas Pletzinger
vvverfasst hat, der selbst einmal Basketballerfasst hat, der selbst einmal Basketball
gespielt und davon geträumt hatte, Profi
zu werden, bevor er in realistischer Ein-
schätzung der eigenen Fähigkeiten seinen

Traum aufgab. Pletzinger, der Basketball-
Enthusiast, reiste 2012 für das „Zeit-Ma-
gazin“ in die USA, „um aus Dirk Nowitzki
schlau zu werden“. Es wurden sieben Jah-
re, in denen Pletzinger mit nicht nachlas-
sender „unjournalistischer Komplettbe-
geisterung“ Nowitzki bis zu seinem Kar-
riereende begleitete.
Sein „halbes Leben“, schreibt Pletzin-
ger, habe er mit Dirk Nowitzki verbracht,
erst aus staunender Ferne, dann aus be-
wwwundernder Nähe: „Wir haben über Bas-undernder Nähe: „Wir haben über Bas-
ketball geredet und über alles andere,
üüüber unsere Eltern, die Kinder, über Bü-ber unsere Eltern, die Kinder, über Bü-
cher und unsere alten Knochen. Wir ha-
ben sogar einmal zusammen trainiert.“
Und doch gelang es ihm nicht wirklich,
„aus Nowitzki schlau zu werden“, dessen
engerer Lebenskreis von Regeln und Ri-
tualen bestimmt wurde, die sich einem
AAAußenstehenden nie ganz erschlossen. Inußenstehenden nie ganz erschlossen. In
der NBA wirkte Nowitzki immer ein we-
nig wie ein Fremdkörper, ein innengelei-
teter Spieler, der seinem eigenen Kreisel-
kompass folgte. Er besaß keine Villen in
berühmten Ferienorten, keine Yacht und
kein Privatflugzeug, die conspicuous con-
sumptionvieler Sportstars war ihm fremd.
Den Zwängen zur Publicity konnte er sich
nicht entziehen, dann sprach er von „Zoo-
tagen“, die absolviert werden mussten.
Fans werden sich in diesem Buch zu
Hause fühlen – wie der Verfasser dieser
Zeilen, der selbst einmal von Pletzinger
kurz als Experte eingewechselt wird.
Große Spiele der Vergangenheit werden
wieder lebendig. Man darf noch einmal
staunen über den von Nowitzki kreier-
ten „Flamingo Fadeaway“, den einbeini-
gen Sprungwurf im Rückwärtsfallen, den
niemand wirklich verhindern kann.
Die Saga, die Pletzinger erzählt, folgt
der Struktur eines Bildungsromans. Dirk
Nowitzki wird am 19. Juni 1978 in Würz-
burg geboren. Die Familie ist sportbe-
geistert, Mutter und Schwester spielen
Basketball, der Vater Handball. Dirk
spielt erst Handball, dann Tennis, er ist
immer der Größte, Kinderärzte diskutie-
ren mit den Eltern über eine Hormonbe-
handlung, um dem Wachstum ihres Soh-
nes Einhalt zu gebieten. Mit zwölf Jah-
ren beginnt er Basketball zu spielen,
schafft es in die Landesauswahl Bayern.
Er ist schnell, kann für einen großen
Spieler erstaunlich sicher aus der Dis-
tanz werfen, er kann ein Spiel „lesen“.
Im April 1993 sitzt der Junge nach Spiel-
schluss auf der Bank und trinkt einen
Mezzo Mix, als ein „Opa“ auf ihn zu-
kommt und nach seinem Namen fragt.
Es ist der 48-jährige Holger Geschwind-
ner. So beginnt die Nowitzki-Saga.
WWWer zögerte, mit einem Menschen iner zögerte, mit einem Menschen in
Kontakt zu treten, der auf seiner Visiten-
karte als Heimatinstitution ein „Institut
fffür angewandten Unfug“ nennt, begingeür angewandten Unfug“ nennt, beginge
einen großen Fehler. Holger Geschwind-
ner ist ein ungewöhnlicher Mensch, Tref-
fffen mit ihm sind intellektuelle Abenteuer,en mit ihm sind intellektuelle Abenteuer,
stets lockt er den Gesprächspartner auf
ein Überraschungsfeld, und auch wenn er
Dirk Nowitzki nicht „erfunden“ hätte,
wäre ihm ein Platz in der Ruhmeshalle
des deutschen Basketballs sicher. Als Dirk
Nowitzki geboren wurde, schreibt Plet-

VONWOLF LEPENIES

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