Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

Weltwoche Nr. 32.19 15
Bilder: Christian Beutler (Keystone), Peter Schneider (Keystone)


Gegner, gar zum Feind unserer Bürger gewor­
den? Zahlreiche Beobachtungen sprechen für
diesen Befund. Betrugen die gesamten Staats­
einnahmen der Schweiz 1990 noch 104 Milliar­
den Franken, waren es 2017 bereits 222 Milliar­
den. Eine Generation erlebte ein derart
massives Aufquellen des öffentlichen Sektors.
Die Beschäftigung beim Staat wuchs in dieser
Zeit um einen Drittel, im Privatsektor nur um
einen Zehntel. Noch dramatischer war die Ex­
pansion beim Bund. Die oberste politische
Ebene der Schweiz hat in dieser Zeit die Ein­
nahmen von 31 auf 73 Milliarden Franken pro
Jahr getrieben. Die direkte Bundessteuer, als
provisorische Wehrsteuer eingeführt, wurde
zur festen Einrichtung und spült heute jähr­
lich 22,5 Milliarden Franken in die Bundeskas­
se, gleich viel wie die Mehrwertsteuer. Die Sta­
tistiker weisen eine offizielle Fiskalquote, also
Steuern und Sozialversicherungsabgaben in
Prozent des Bruttoinlandprodukts, von rund
28 Prozent aus. Rechnet man jedoch die Steu­
ern und alle Abgaben, die hoheitlich befohlen
sind, dazu, lautet der Befund: Praktisch die
Hälfte des Einkommens geht auch in der
Schweiz an den Staat.
Dass eine Staatsgewalt wie das Parlament
vom Volk angenommenes Verfassungsrecht
nicht durchsetzt – wie bei der Masseneinwan­
derungsinitiative geschehen –, muss das Ver­
trauen der Bürger in ihren Staat ebenfalls tief
erschüttern. Die jüngste Debatte über Informa­
tionsverzerrungen betrifft die Kampagne des
Bundesrats für seine Energiestrategie 2050, in
der er vor der Volksabstimmung im Mai 2017
von Kosten von lediglich vierzig Franken pro
Haushalt und Jahr sprach. Eine krasse Falsch­
information, wie sich schon sehr bald zeigte.


Verschärfte Praxis der Steuerbehörden


Der Staat, dein Feind. Dieser Eindruck kommt
im direkten Behördenkontakt auf. Die Steuer­
behörden verschärfen ihre Praxis beim Ein­
schätzen der Einkommen, Durchsetzen von
Fristen oder Einfordern von Dokumentatio­
nen. Begonnen hat der schroffere Umgangs­
ton im Verkehr mit grossen Firmen, weil die
meist grosse Taschen haben. Heute zeigen


Schilderungen von KMU, dass die Steuerbe­
hörden auf der ganzen Front angriffiger ge­
worden sind. «Was vor fünf Jahren noch kein
Problem war, wird heute nicht mehr akzep­
tiert, wo früher ein Auge zugedrückt wurde,
ist man heute pingelig», ist immer wieder zu
hören. Treuhänder berichten, dass auch private
Steuererklärungen häufiger mit Korrekturen
des Steuerkommissärs zurückkommen.
Klar, die Behörden können nicht einfach ohne
Gesetzesgrundlage Steuern erhöhen. Aber umso
kreativer sind sie beim Erfinden von neuen Ab­
gaben. Der Kanton Zürich nimmt fast 7 Milliar­
den Franken jährlich an Gebühren ein. Erfinde­
risch ist man auch bei den vorgeschriebenen
kostenpflichtigen Überprüfungen, angefangen
bei den Fahrzeugkontrollen bis zu den Feue­
rungskontrollen von Öl, Gas und Holz. Und der
Betreiber einer Helikopterfirma erhält für jede
der zahlreichen Prüfungshandlungen durch
das Bundesamt für Zivilluftfahrt eine entspre­

chende Rechnung. So gut wie jede Handrei­
chung der Verwaltung ist abgabepflichtig, so
dass die Bürger sich gelegentlich fragen: Wozu
zahlen wir überhaupt noch Steuern?
Neben den Behörden halten auch staatsnahe
Geldeintreiber die Hand auf. Die paritätischen
Kommissionen von Arbeit gebern, Gewerk­
schaften und Kantonen haben im halb hoheitli­
chen Gebiet der Sozialpartnerschaft ein dichtes
Netz von Konsultationen, Kontrollen und Kas­
sierstellen eingerichtet. Sie können Lohnabzüge
pro Mitarbeiter anordnen und kassieren, damit
diese irgendwann eine Weiterbildung verbil­
ligt beziehen können. Dies trifft auch Firmen,
die nicht Verbandsmitglieder sind, wenn ein
Gesamtarbeitsvertrag besteht, der vom Bun­
desrat als allgemeinverbindlich erklärt wurde.
Und wenn eine Firma vom Kontrolleur den Be­
scheid erhält, sie müsse 7000 Franken nachzah­
len, trägt dieser den Vermerk: nicht anfechtbar.
«Gegen diese Kommissionen hat man keine
Chance», tönt es resigniert aus den KMU. Auch
wenn Arbeit geber und Gewerkschaften die Sa­
che scheinbar in Eigenregie verwalten, steht
letztlich der Bund dahinter, der den Abma­
chungen die hoheitliche Gewalt verleiht. Und
die Grafik zeigt: Nichts wächst so schnell wie
die Bundeseinnahmen, was auch heisst: Nichts
wächst so schnell wie die Bundesgewalt.
Das ist leicht erklärbar. Auf Bundesebene
stösst das Staatswachstum auf den geringsten
Widerstand. Die Überwachung der Politiker
und der Verwaltung durch die Bürger und
Steuer zahler ist auf der obersten Ebene weniger
intensiv als in den Kantonen und Gemeinden.
So konnten sich die Bundesangestellten bes­
tens einrichten; sie werden mit einem jährli­
chen Durchschnittslohn von 122 0 00 Franken
beglückt, was über dem Niveau des vielkriti­
sierten Zürcher Finanzplatzes liegt. Die eid­
genössische Personalverordnung von 2015
schreibt vor, dass gute Jahresgespräche zwin­
gend zu Lohnerhöhungen führen müssen. Die
von Chefbeamten ausgearbeiteten Pensions­
regelungen für die Bundeskader fallen dermas­
sen üppig aus, dass es besser ist, wenn frühere
Kadermitarbeiter der Privatwirtschaft darüber
gar nichts wissen. ›››

QUELLE: EFD

Die Zentrale ge winn t an Gewicht
Einnahmen des Staatssektors sowie des Bundes,
in Milliarden Franken pro Jahr, konsolidiert.

0

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200

1990 1995 2000 2005 2010 2015

Bund

Staatssektor

Starkes Wachstum bei Bund und Kantonen.

Kriminalisierung der Autofahrer: Verkehrskontrolle. Staatsnahe Geldeintreiber: Gewerkschafter der Unia.

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