Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1

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Justiz


«Beweisausforschung ins Blaue»


Das Bundesgericht fällt einen wegweisenden Entscheid: Die UBS
muss Daten an Frankreich liefern, obschon es sich um eine Liste
unbekannter Personen handelt. Was meinen Experten?

Weltwoche Nr. 32.

Wer als Parlamentarier nach Bern geht, ist oder
wird erfahrungsgemäss eher ein Freund des
Bundes, ist er doch oft schon von seinen Nei­
gungen her eher der Typ, der Politik gerne von
zentraler Warte aus gestalten will und Lösun­
gen im grossen Stil sucht. Die Hebel zum Be­
wegen von Geldsummen, Arbeitsstellen oder
Investitionen sind länger als in den Kantonen
und Gemeinden. Die Lobbyisten der Wirtschaft
ticken gleich: Der im Mai angenommene
«Kuhhandel» der Unternehmenssteuerre­
form­AHV­Vorlage (Staf ) ist ein Geschenk für
Zentralisten. Der Bund verstärkt seinen Ein­
fluss auf die Kantone, indem er ihnen künftig
mehr Steuergeld gibt und bei Entscheiden
mitredet. Leiden werden die Bürger und Er­
werbstätigen, die neben der Erhöhung der
AHV­Beiträge auch eine höhere Steuerbelas­
tung gewärtigen müssen, weil die versproche­
nen Steuersenkungen in den Kantonen wohl
grossenteils nicht umgesetzt werden.
Es passt ins Bild, dass das eidgenössische Par­
lament seinen Kontrollauftrag gegenüber der
Bundesverwaltung mangelhaft wahrnimmt.
Das beginnt beim Entwerfen von Gesetzesvor­
lagen, die oft in Bundesbüros erarbeitet und
bisweilen von der EU abgeschrieben werden.
Und es geht weiter, wenn die Exekutive Aufträ­
ge des Gesetzgebers nicht ausführt, sondern
eigenen Vorlieben folgt. Der Gewerbeverband
kämpft seit langem gegen die Regulierungs­
kosten. Der Entwurf der neuen, landesweit gel­
tenden Lebensmittelverordnung etwa umfasst
1865 Seiten. Die Exekutive jedoch liess offiziell
verlauten, sie werde nichts mehr gegen Regulie­
rungskosten unternehmen und die vom Parla­
ment angenommenen Vorstösse nicht umset­
zen. Immerhin: Im März 2019 nahm das
Parlament die Forderung des Gewerbeverban­
des nach einer Regulierungskostenbremse an.


Speckgürtel um den Staat


Nur heisst das noch lange nicht, dass die Ver­
waltung sich auch fügen wird. Der Bundes­
apparat kann auf viele Verbündete zählen und
baut seine Vernetzung aus. Zahlreiche NGOs
erhalten Unterstützung durch den Bund, etwa
bei der Umsetzung der von der Uno verab­
schiedeten Agenda 2030 für eine nachhaltige
Entwicklung. Daraus ergibt sich ein Regulie­
rungs­ beziehungsweise Speckgürtel um den
eigentlichen Staat herum, gebildet aus Orga­
nisationen, die von Aufträgen aus dem Bun­
desapparat abhängig sind und einen verlässli­
chen Verwaltungs­Fanklub darstellen.
«Der Zweck des Staates ist das Glück seiner
Bürger», lautet ein weises Sprichwort. Ein gu­
ter Freund zeichnet sich dadurch aus, dass er
sich nicht in jeden Lebensbereich von uns
ein­mischt. Und dass er unsere Entfaltung för­
dert, statt sie zu behindern. Sobald unserem
Staat und seinen Angestellten dies wieder
gelingt, würde er vom Feind der Bürger wieder
zu ihrem Freund. g


V


or gut einem Jahr, im Juli 2018, ent­
schied das Bundesverwaltungsgericht,
Daten von französischen UBS­Kunden
nicht an Frankreich auszuliefern. Es kas­
sierte damit einen anderslautenden Ent­
scheid der Eidgenössischen Steuerverwal­
tung (ESTV). Das französische Ersuchen
habe «starke Ähnlichkeit mit einer ‹fishing
expedition›», einer spekulativen Gruppen­
anfrage ohne ersichtlichen Zusammenhang
mit einer laufenden Ermittlung, urteilte
das Verwaltungsgericht.
Der Entscheid betrifft drei Listen – A, B
und C –, die nach einer Razzia bei der UBS in
Deutschland 2015 an Frankreich übergeben
wurden. Auf der ersten Liste, A, seien genau
identifizierbare Konten aufgeführt, die alle
mit einem französischen Domizil­Code ver­
sehen sind. Die Kontoangaben auf den Lis­
ten B und C tragen zwar den Domizil­Code,
seien aber nur mit Kontonummern ausge­
wiesen und nicht weiter identifizierbar. So
könnten «nicht zwingend» Schlüsse von
Liste A auf B und C gezogen werden, heisst
es im Urteil.
Die ESTV reichte dagegen Beschwerde
beim Bundesgericht ein, das sich am 26. Ju­
li dieses Jahres öffentlich beriet und die
Datenauslieferung knapp, mit zwei zu drei
Stimmen, befürwortete. Der Informations­
austausch zeige «klar den Trend der Zu­
kunft», argumentierte Richter Yves Don­
zallaz (SVP). Es handle sich um «40 000
Einzelanfragen und nicht um eine Grup­
penanfrage», so Richterin Florence Aubry
Girardin von den Grünen. Herrscht nun,
wie die ESTV in ihrer Beschwerde begrün­
dete, «Rechts sicherheit»?

«Les Suisses» als Gehilfen und Portiers
«Die Rechtssicherheit ist nicht grösser,
sondern kleiner geworden», schreibt Peter
Nobel, emeritierter Rechtsprofessor, in
der NZZ. Die Grenzen zwischen zulässigen
Amtshilfeersuchen und unzulässigen
«Fisch zügen» seien durch das Urteil unkla­
rer denn je. Er bezieht sich auf das Doppel­
besteuerungsabkommen zwischen der
Schweiz und Frankreich mitsamt Ände­
rung im Zusatzprotokoll: «Der klare Wort­
laut dieser Vereinbarung, nach der Aus­
kunftsbegehren über Kunden, die den
ausländischen Behörden nicht namentlich
bekannt sind, nicht für beliebige Zeiträume

der Vergangenheit verlangt werden kön­
nen, wurde nun von der Mehrheit der Bun­
desrichter einfach weggewischt.» «Les Suis­
ses», wie sie Nobel nennt, seien nichts weiter
als «Gehilfen» oder «Portiers» für Inhaber
«regulärer Konti» in der Schweiz.
Ähnlich formuliert es Stefan Tobler,
Autor des Buches «Der Kampf um das
Schweizer Bankgeheimnis». Er sieht das
Problem in nur «mit Nummern identifi­
zierten Kunden». Denn obwohl sich unter
den 40 000 Kunden eine grosse Anzahl der
französischen Steuerbehörde namentlich
bekannten Steuerhinterzieher befänden,
könne nicht daraus geschlossen werden,
dass dies auch für die unbekannten Kunden
gelte. «Was wäre denn das Steuerhinterzie­
hung begründende Verhaltensmuster?»,
fragt Tobler, um anzufügen: «Dass sie auf
einer Kundenliste der UBS sind?» Er glaubt,
dass selbst wenn sich der Verdacht Frank­
reichs als richtig erweisen würde, das klare
Verhaltensmuster fehlte. «Das ist eine reine
Beweisausforschung ins Blaue.»
Nicht festlegen möchte sich Steuerrechts­
professor René Matteotti. Er wolle die
schriftliche Begründung des Bundes­
gerichts abwarten, verstehe aber die Auf­
regung über das Urteil. «Das Bundes­
verwaltungsgericht hat sehr sorgfältig
argumentiert und auch mich überzeugt»,
sagt er. Er erwarte von den obersten Lan­
desrichtern, dass sie in ihren Erwägungen
genügend Fakten darlegten, dass man den
blossen Verdacht auf die Nummernkonten
ausweiten könne.
Allerdings sieht Matteotti ein weiteres
Problem: das «Spezialitätsprinzip», das es
Frankreich verbiete, die erhaltenen Daten
für andere Verfahren weiterzuverwenden.
Die Bundesrichter meinten, dass die franzö­
sischen Behörden die Daten nach Treu und
Glauben nicht weiterverwenden würden.
Dem sei wahrscheinlich so, vermute er. «Pro­
blematisch wäre aber, wenn sich herausstel­
len sollte, dass auf diesen Nummernkonten
tatsächlich unversteuertes Geld liegt.» Es
wäre dann nicht unrealistisch, dass die Kun­
den versuchten, die UBS in den gegen sie ge­
richteten französischen Strafverfahren zu­
sätzlich zu belasten. Ob die von den Kunden
erhaltenen Informationen unter das Spezia­
litätsprinzip fielen, beantworteten dann
französische Richter. Roman Zeller
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