Weltwoche Nr. 32.19 33
Bilder: Scherl (Süddeutsche Zeitung Photo, Keystone), zVg
mit den Euro Turbulenzen von heute: «Die
Währungsunion wurde von Anfang an falsch
aufgezogen, und jetzt wird nur daran herum
gedoktert statt richtig reformiert. Die Pfad
abhängigkeiten sind einfach zu stark.»
Sein ganzes Buch ist eine einzige Warnung,
die er im Gespräch in einem Satz umreisst:
«Finanzkrisen haben ein enormes Tempo, und
die diplomatischen Verfahren sind immer
regel basiert und damit schwerfällig.» Man
solle, sagt Straumann, mehr auf die Bedingun
gen, weniger auf die Akteure der Politik achten.
«Ein System, das nur funktioniert, wenn die
Politiker genial sind, ist zum Scheitern verur
teilt.» Was in einem solchen Fall passieren
kann, zeigt er mit seiner Erzählung über die
deutsche Finanzkrise exemplarisch. «1931»
trägt dazu bei, ein wichtiges Jahr im kollektiven
Bewusstsein zu verankern, liest sich wie ein his
torischer Roman und bereichert die Debatten
der Gegenwart. Braucht es dieses Buch? Richtig,
die Frage hat sich inzwischen erübrigt.
nicht nur mit «The Great Crash 1929», dem
Klassiker von John Kenneth Galbraith, son
dern denkt öffentlich darüber nach, wie es sich
bekannter machen liesse, vor allem in Deutsch
land: «Vielleicht könnte ein weitsichtiger ita
lienischer Wohltäter überredet werden, eine
Übersetzung zu sponsern. Es wäre gut an
gelegtes Geld.» Warum? Die Deutschen sind
heute nicht mehr Bittsteller, sondern bestim
men mit ihrer EuroPolitik massgeblich über
Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften.
Eine künftige Krise abzuwenden, wird auch
ihre Aufgabe sein. «Es ist», schildert Tooze
seinen Lektüreeindruck, «als würde man eine
Wiederholung der Griechenlandkrise erleben
oder eine Antizipation der grossen italieni
schen Schuldenkrise, die sich möglicherweise
noch einstellen wird, aber dieses Mal endet die
Geschichte wirklich mit der Machtübernahme
von Adolf Hitler.» Es seien ihm, bekennt er,
Schauer über den Rücken gelaufen, als er das
Buch gelesen habe.
Tooze ist nicht der einzige Historiker von
Weltruf, der sich von Straumanns Arbeit begeis
tert zeigt. Harold James, der Wirtschaftsge
schichte in Princeton lehrt, bezeichnet «1931»
als «atemberaubende, rasante und tiefgründig
recherchierte Erzählung, die die Verbindung
zwischen finanzieller Panik und politischem
Zusammenbruch in dem ikonischsten von al
len Fällen genau umreisst: der Zerstörung der
Demokratie in Weimar». Straumann verhehlt
seine Freude über all das Lob nicht: «Ich arbei
tete jahrelang an dem Buch, und solche Kriti
ken zeigen einem, dass man seine Zeit nicht ver
geudet hat.» Zurzeit kontrolliert er die deutsche
Übersetzung, die nächstes Jahr erscheinen soll.
Und es reizt ihn, den Stoff nochmals zu über
arbeiten: «Die fiebrigen Verhandlungen, als die
Krise sich zuspitzte, sind für die Theaterbühne
wie gemacht.»
Herumdoktern am Euro
Dass er mit «1931» einen Saal füllen kann, be
wies Straumann im Mai, als er in der Aula der
Univer sität Zürich sprach. Das Publikum, das
in der Schweiz meist nicht übertrieben frage
freudig ist, wollte ihn danach kaum mehr
gehen lassen. Es sind nicht zuletzt die Paralle
len zur Gegenwart, die sein Buch für eine
breite Leserschaft interessant machen. Tooze
schreibt: «Straumann lässt uns keinen Zwei
fel. Dies war eine Krise der demokratischen
Politik.» Straumann sagt: «Die Politiker
wussten, dass der Versailler Vertrag für
Deutschland nicht tragbar war – aber sie be
gnügten sich damit, ihn schrittweise zu revi
dieren.» Er vergleicht die damalige Situation
Der Vertrauensverlust war komplett: Ansturm auf eine Bank in Berlin, 1931.
Tobias Straumann: 1931 – Debt, Crisis,
and the Rise of Hitler.
Oxford University Press. 272 S., Fr. 26.90