Die Weltwoche - 08.08.2019

(Ben Green) #1
Weltwoche Nr. 32.19 35
Infografik: TNT-Graphics AG; Bild: zVg

Als Bart Stephens mit seiner Investmentfirma,
Blockchain Capital, anfing, konnte man einen
Bitcoin für hundert Dollar kaufen. Das war vor
sieben Jahren. Am 17. Dezember 2017 erreichte
die neuartige Internetwährung das Allzeit-
hoch von 20 089 Dollar. Dann kam der Crash:
Panikverkäufe und ein «Ich habe es ja schon
immer gesagt» aus der traditionellen Banken-
welt. Seither wurde der Bitcoin grösstenteils
zwischen 3000 und 4000 US-Dollar gehandelt.
Bis im April, als plötzlich ein erneuter, anhal-
tender Aufstieg einsetzte, welcher den Bitcoin
und seine finanziellen sowie politischen Mög-
lichkeiten wiederum zum Gesprächsstoff
machte.
Präsident Donald Trump, als Immobilienent-
wickler ein «Ziegel-und-Mörtel-Mann», wie
man in den USA sagt, bleibt skeptisch. Auf
Twitter holte er kürzlich gegen die Cyberwäh-
rung aus. Er sei «kein Fan von Bitcoin und an-
deren Kryptowährungen». Und der Chef der
amerikanischen Notenbank, Jerome Powell,
warnte, er habe «ernste Bedenken» gegen die
von Facebook geplante neue Kryptowährung
Libra.
Das Konzert der Kritiker beeindruckt Ste-
phens nicht. Sein ganzes Unternehmen hat er
auf der Annahme errichtet, dass Kryptowäh-
rungen und Blockchain ein wichtiger Bestand-
teil der technologischen Zukunft werden. Seit
der Gründung 2013 spezialisiert sich seine
Risiko kapital-Boutique in San Francisco auf
Blockchain-Start-ups. Über die Jahre hat er ein
bedeutsames Portfolio von Investitionen in –
Stand heute – 81 Krypto-Unternehmen aufge-
baut. Darin enthalten sind unter anderem
Coinbase, die bedeutendste Börse für Krypto-
währungen, und Xapo, die weltweit führende
Verwahrstelle von Bitcoin mit grösseren Aktivi-
täten in der Schweiz. Der gegenwärtige Markt-
wert der Beteiligungen von Blockchain Capital,
Stephens Firma, wird auf weit über 500 Millio-
nen Dollar geschätzt.
Wie erklärt Bart Stephens das jüngste Kurs-
feuerwerk? Seines Erachtens liegt der wich-
tigste Grund dafür in einem «Konsens, dass
Krypto währungen nicht mehr verschwinden
werden». Man könne die Erfindung nicht
mehr rückgängig machen. Die Facebook-
Ankündigung einer eigenen solchen Internet-
währung sei ein wichtiges «bekräftigendes
Ereignis» gewesen. Damit rückten Krypto-
währungen in die Reichweite der 2,8 Milliar-
den Facebook-Nutzer, also fast der halben
Weltbevölkerung. Zum Vergleich: Heute wird

der Nutzerkreis von Bitcoin und Co. auf etwa
70 Millionen Menschen geschätzt.
Ebenfalls zur Stärkung der Glaubwürdig-
keit trage bei, dass der Kreditkartengigant Visa
kürzlich angekündigt hat, sich an der Seite
von Stephens’ Blockchain Capital an einem
40-Millionen-Dollar-Investment in das Unter-
nehmen Anchorage zu beteiligen, einen neu-
artigen Anbieter für die Verwahrung von
Kryptowährungen für grosse institutionelle
Investoren. «Grosse Unternehmen nehmen
diese Technologie mittlerweile richtig ernst»,
erklärt Stephens. In der Folge trage auch «nor-
male Marktpsychologie» zur Preisbildung bei.
Wenn die Perspektiven rosig aussehen, dann
haben viele Leute Angst, etwas zu verpassen.
Sie steigen ein in der Hoffnung, einen Profit
realisieren zu können.
Das derzeitige weltwirtschaftliche Umfeld
unterfüttere das Bitcoin-Comeback zusätzlich.
Stephens und sein Team beobachten, dass die
Unsicherheiten, die vom Handelskrieg mit Chi-
na ausgehen, sowie die am Horizont aufschei-

nenden Zinssenkungen der Europäischen Zen-
tralbank (EZB) und der Fed die Nachfrage nach
Alternativen ankurbeln. «Traditionell hat jede
grosse Ausweitung der Geldmenge zu Inflation
geführt», sagt Stephens und weist darauf hin,
dass die führenden Zentralbanken seit der
Finanzkrise Papiergeld im Wert von rund drei-
zehn Trillionen US-Dollar aus dem Nichts er-
schaffen hätten. Aus dem gleichen Grund, aus
dem manche Investoren Gold kaufen, um ihr
Vermögen abzusichern, tun dies auch viele Bit-
coin-Käufer. «Für mich ist Bitcoin eine Art Gold
2.0.» Während Gold aber eher ein älteres, kon-
servatives Publikum anziehe, sei es bei Bitcoin
eher die Millennial-Generation.

«Libertärer Touch»
Stephens, dessen Firma ihren Sitz in einem
schmucken Stadthaus in einem der besten
Quartiere San Franciscos hat, beobachtet einen
massiven Zufluss von Talenten der besten Tech-
Universitäten. Der «libertäre Touch» der Kryp-
towährungen übe Anziehungskraft auf viele
junge Hightech-Köpfe aus. Viele von ihnen
«misstrauen den Regierungen, den Banken
und den grossen Internetfirmen». Die Block-
chain-Technologie mache solche zentralen Ak-
teure im Finanzbereich überflüssig. Man ver-
traut stattdessen auf ein dezentrales System.
Dieses funktioniere so gut, dass «es erstmals
eine ernsthafte Konkurrenz zu den staatlichen
Notenbanken gibt».
Letztes Jahr startete die amerikanische
Finanzmarktaufsicht SEC eine regelrechte
Offensive gegen manche Formen von Krypto-
Investitionen. Mittlerweile meint Stephens aber
festzustellen, dass die Regulierungsbehörden
«zu verstehen beginnen, dass das ein globaler
Markt ist», bei dem ein zu enges Korsett die
Firmen an andere Standorte wie die Schweiz,
Singapur und London vertreibt. Laut Stephens
«sind die US-Regulatoren von Seiten der Wirt-
schaft enorm unter Druck geraten». Er sieht
eine Tendenz zur Besserung. Mit ungebroche-
nem Optimismus will der Bitcoin- Enthusiast
dieses Jahr seinen fünften Fonds aufsetzen. Ziel-
grösse sind rekordhohe 250 Millionen Dollar.
Zur Kritik von Trump an Bitcoin sagt
Stephens: «Es ist bemerkenswert, dass sowohl
der Fed-Chairman Jerome Powell als auch Prä-
sident Trump eine Notwendigkeit verspüren,
diese neue Technologie zu thematisieren.» Das
zeige, dass sie «auf der globalen Bühne ange-
langt ist und dass die etablierten Mächte fürch-
ten, was sie nicht verstehen». g

Bitcoins zweiter Frühling

In den letzten Monaten ist der Preis von 4000 auf rund 10 000 Franken gestiegen. Bart Stephens aus


San Francisco, einer der ersten und potentesten Investoren in die Kryptowährung, analysiert den


überraschenden Kurs-Wirbelwind im Gespräch mit der Weltwoche. Von Florian Schwab


Erneuter Aufstieg.

Bitcoin-Kursverlauf

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November 2015 bis heute, in Franken

«Eine Art Gold 2.0»: Investor Stephens.
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